Kaffee - Fahrt. Jürgen Ruhr

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Название Kaffee - Fahrt
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752927597



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dir etwas zeigen!“

      Erwin wuselte zurück hinter die Theke, stellte sich in Positur und gab ein lautstarkes ‚Tata‘ von sich. Ein paar Jugendliche, die hier ihre verfrühte Mittagspause verbrachten und vermutlich vergessen hatten, in die Schule zurückzukehren, sahen sich erschrocken um. Vor jedem der vermutlich vierzehn- bis fünfzehnjährigen stand eine fast leere Flasche Bier, die sie jetzt anhoben. Mit einem dreistimmigen ‚Tatatatata‘ beantworteten sie Erwins Ausruf und tranken auf einen Zug ihre Flaschen leer.

      Mein Freund zeigte sich für einen Moment irritiert, doch die Schrecksekunde verging. „Schau her, Jonathan, was siehst du?“

      Ich versuchte durch die schmierige Glasscheibe der Theke zu schauen, als das allerdings erfolglos blieb, blickte ich darüber hinweg. Erwin wies auf vier Soßenspender aus Kunststoff, die nebeneinander auf der Anrichte vor ihm standen. Ich zuckte mit den Schultern. „Mayonnaise, Senf und Ketchup“, riet ich und blickte fragend auf den vierten Spender. „Und wofür ist der? Salatsoße?“

      Erwin lachte. „Da wirst du nie draufkommen“, meinte er geheimnisvoll und ließ mich mit der Auflösung warten. Dann endlich hob er zu einer Erklärung an: „Hygiene, Jonathan. Meine neueste Hygiene.“

      Ich musste ihn ziemlich perplex angeschaut haben, denn mein Freund lachte laut auf und im Hintergrund erscholl wieder ein ‚Tatatatata‘. Erwin deutete mit dem fettigen Finger auf die Behälter. „Hygiene! Ja, Curry-Erwin geht mit der Zeit. In dem Spender befindet sich keine Soße, sondern ein Desinfektionsmittel. Schau her.“ Er hielt eine Hand unter den Pumphahn und ließ durchsichte Flüssigkeit darauf laufen. Plötzlich stank es fürchterlich nach Desinfektionsmittel und Erwin rieb beide Hände mit dem Zeug ein. Die weiße, schleimige Masse die er anschließend auf den Handflächen hatte, wischte er an seiner Schürze ab.

      Von dem Geruch drehte sich mir der Magen um, doch ich brachte ein Lächeln zustande. „Das ist ja wunderbar, Erwin“, nuschelte ich und unterdrückte ein Würgen. „Hygiene!“

      „Da staunst du, mein Freund, nicht wahr? Meine eigene Erfindung. Man muss halt mit der Zeit gehen ...“

      „Soll ich mal die Tür aufmachen?“, fragte ich vorsichtig. „Ein wenig lüften?“

      „Ach was, ich habe mich schon an den Geruch gewöhnt. Was kann ich dir bringen?“

      Ich riss trotzdem die Eingangstür weit auf und atmete die frische Luft - sofern man bei den Autoabgasen der vorbeifahrenden Fahrzeuge von ‚frisch‘ reden konnte - tief ein. Mir war ein wenig schwindelig und ich musste mich an der Theke festhalten. „Currywurst, Erwin“, krächzte ich. „Eine einfache Currywurst mit Pommes und Mayo.“

      „Und auch Senf oder Ketchup?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Nur die Wurst bitte mit Pommes und Mayonnaise.“

      „Marschiert Jonathan“, erwiderte mein Freund grinsend und sah mir in die Augen. „Nur noch kurz die Hände desinfizieren.“ Er hielt wieder eine Hand unter einen Spender und drückte mehrere Male auf den Hebel. Gelblich - weiße Mayonnaise spritze heraus und ohne hinzusehen rieb Erwin seine Hände aneinander. Dann stutzte er. „Oh“, gab er von sich und besah sich die fettigen, verschmierten Finger. „Das war der falsche Spender.“ Er rieb seine Hände an der Schürze ab, während ihm vor Lachen die Tränen das Gesicht herunterliefen.

      Im Hintergrund schmetterten die Jugendlichen ein weiteres ‚Tatatatata‘.

      Zum Glück zog der Desinfektionsgeruch durch die geöffnete Tür nach draußen und jetzt roch es nur noch schwach nach dem Mittel und dafür etwas stärker nach Abgasen. Erwin reichte mir ein Bier über die Theke. „Stell dich schon mal an den Tisch, ich bringe dir dein Essen sofort.“

      „Äh, Erwin ...“

      „Ja, was ist Jonathan?“

      „Ich hätte lieber eine Cola.“

      Erwin seufzte vernehmlich. „Eine Cola? Du weißt aber schon, dass Bier kein Alkohol ist? Musst du heute noch arbeiten?“

      Ich nickte. „Ich habe noch einen Lehrgang in Mantracking. Da muss ich einen klaren Kopf bewahren.“

      Erwin nickte verstehend. „Du musst noch zur Post? Pakete tracken?“

      „Mantrailing“, korrigierte ich mich. „Aber das ist egal. Ich habe jedenfalls heute Nachmittag noch einen anstrengenden Lehrgang.“

      Er reichte mir eine Flasche Cola und schaute auf das Bier. „Die musst du aber auch nehmen, die ist ja jetzt offen.“

      Ich nickte und begab mich mit beiden Flaschen in den Händen zu meinem Tisch. Als ich die gierigen Augen der Jugendlichen sah, reichte ich einem von ihnen das Bier. Die Kids grinsten und bedankten sich mit einem überlangen ‚Tatatatatatatatata‘.

      Zwei Minuten später stellte Erwin ein Pappschälchen vor mich hin und etwas von der zu reichlich vorhandenen Mayonnaise schwappte dabei auf den Tisch. Curry-Erwin wischte es grinsend mit dem Ärmel fort. „Lass es dir schmecken, Jonathan. Eine einfache Currywurst mit Pommes, so wie du sie magst.“

      Ich suchte nach dem Gäbelchen, das wie gewohnt tief in der Mayonnaise steckte. Zum Glück war der Piekser rot, so dass ich ihn nach kurzem Suchen fand. Dann legte ich die Pommes frei und wühlte mich durch den Kartoffelmatsch bis zum Fleisch durch. Meine Finger sahen nun genauso aus, wie Erwins Hände, nachdem er den falschen Spender benutzt hatte, doch ich hütete mich davor, die Schmiere an meiner Jacke abzuputzen. Schließlich blieb mir ja keine Zeit mehr, mich vor dem Lehrgang noch umzuziehen.

      Das erste Stück Wurst fand ich, weil in der dünnen Soße etwas Pechschwarzes schwamm. Ich roch vorsichtig an dem Essen und war erfreut, dass Erwin kein Desinfektionsmittel über die Soße gepumpt hatte. Zufrieden kaute ich die lauwarme, schwarzkrustige Wurst und freute mich darüber, dass Erwin diesmal auf jedweden Schnickschnack verzichtet hatte. Es ging doch nichts über eine gute Rheydter Currywurst. Obwohl ich nach dem dritten Stück - das nicht ganz so schwarz und verkohlt war - feststellen musste, dass die Wurst ein wenig fad schmeckte.

      „Hast du eine neue Wurstsorte, Erwin?“, fragte ich beim Bezahlen und wischte mir mit einer Serviette die Finger sauber. Leider musste ich die extra bezahlen, da Erwin aus Umweltschutzgründen gegen sinnlose Verschwendung von Papier oder Papierwaren war. Ich fragte mich, wann er darauf kommen würde, die Pappschale extra in Rechnung zu stellen oder sie ganz wegzulassen.

      „Du hast es also doch bemerkt, Jonathan?“, fragte er mich grinsend. „Ich wusste, dass du einen hervorragenden Geschmackssinn hast. Wer sonst würde so einen feinen Unterschied herausschmecken?“

      Mir lag auf den Lippen, ihm zu sagen, dass die Wurst eigentlich nach nichts geschmeckt hatte, doch dann nickte ich nur.

      Erwin beugte sich über die Glastheke zu mir herüber, wobei er mit dem Bauch eine Schale mit Ketchup umstieß. „Veggie“, flüsterte er mir dann zu und lachte leise. „Der neue Trend. Das will heute jeder!“

      „Nur ich nicht“, knurrte ich leise. Der einzig gute Geschmack an der Wurst war die verbrannte Kruste gewesen.

      Curry-Erwin richtete sich wieder auf, hob theatralisch die Arme und trompete: „Veggie, Bio und Hygiene - die Zauberworte unserer modernen Zeit!“

      Im Hintergrund belohnte ihn ein dreistimmiges ‚Tatatatata‘.

      II.

      Mein Wagen stand im Parkhaus ziemlich weit oben und ich nutzte die Gelegenheit, die Stufen zu Fuß hoch zu rennen und so ein kleines Training einzulegen. Auf diese Art und Weise konnte ich die Kalorien des Mittagessens wieder abbauen.

      Als ich die Fahrertür aufschloss, bemerkte ich auf dem Beifahrersitz mehrere Briefe, die wieder irgendein Witzbold durch den schmalen Spalt des Fensters eingeworfen hatte. Ich ärgerte mich, vergessen zu haben, das Fenster richtig zu schließen, aber wieso gab es selbst hier oben in den höchsten Etagen des Parkhauses irgendwelche Spaßvögel, die ihre Witzchen nicht unterlassen konnten?

      Ich