Goldmond. Tamara Glück

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Название Goldmond
Автор произведения Tamara Glück
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990014714



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Hast du dir für die Prüfung schon etwas angeschaut?«, fragte er.

      »Na ja, meine Eltern haben geplant, dass wir am Abend bei Freunden sind, aber da ich noch nicht für die Mathematikprüfung gelernt habe, bin ich mir nicht sicher, ob es klug ist, mitzugehen.«

      Jetzt sah er mich komisch an. Das war nicht gerade, was zum Beispiel mein Vater sagen würde, aber ich musste wirklich noch lernen. Egal, sagte ich mir, das geht sich aus. Und wenn du dir das gut einteilst, bleibt auch noch Zeit für etwas anderes.

      »Du bist so gut in der Schule, du musst bestimmt nicht heute schon den ganzen Abend lernen«, fand auch Norman. Ich lächelte. Gut in der Schule. Ach ja. Schließlich war es so, dass alle ein »Fehlerlos« anstrebten. Und die meisten bekamen es auch.

      »Du hast recht«, lenkte ich ein. »Ich werde natürlich mit meinen Eltern unsere Freunde besuchen gehen. Mein Vater würde mich ohnehin nicht zuhause bleiben lassen.«

      Norman nickte. Wenn man gute Beziehungen hatte, dann vereinsamte man nicht so leicht und blieb gesund und lebensfroh, wie mein Vater immer sagte.

      »Ich denke, ich werde meinem Vater auch zusagen. Es wird bestimmt interessant, einen Einblick in die Politik zu bekommen und etwas über unser Rechtswesen zu lernen. Er hat gesagt, sein neues Gesetz wird dafür sorgen, dass gefährliche Adelige besser überwacht werden und das Justizsystem gerechter wird. Außerdem versucht er, neue Regelungen für Redbloods durchzusetzen.«

      Bevor ich mir überlegen konnte, was das zu bedeuten hatte, wurde ich durch plötzliche Stille aus meinen Gedanken gerissen. Alle Gespräche waren verstummt. Der Prüfer stellte sich vor die Klasse und sagte mit gewichtiger Stimme: »Die Ergebnisse sind gekommen.«

      ELENA

      Heute war ein Tag wie jeder andere. Es gab nicht viel Neues. Meine Schwester würde bald zu Besuch kommen, doch sonst blieb alles wie immer. Glücklicherweise verlief der Winter mild. Das freute meine Eltern, denn das sparte Feuerholz und sorgte gleichzeitig dafür, dass wir weniger froren, was wiederum die Stimmung hob.

      Ich stand auf und holte Wasser, frühstückte und machte mich auf den Weg in die Arbeit.

      Ich arbeitete am Fließband. Meine Aufgabe war es, Waren zu sortieren. Normalerweise bekam jeder, wenn er mit der Arbeit anfing, einen Job zugeteilt und verrichtete ihn, bis er nicht mehr konnte, weil er zu alt wurde oder starb.

      Ich musste blitzschnell sein. Eine Ware nehmen, auf das richtige Fließband schieben, die nächste nehmen …

      Doch wenn etwas bereits verpackt war, dann musste ich es flink und feinsäuberlich in eine Schachtel räumen und, wenn diese voll war, schnell eine neue auseinanderfalten. Es war ein anstrengender Job und doch gut zum Nachdenken. Normalerweise überlegte ich mir, was ich machen würde, wenn ich Geld oder einen Mann hätte. Heute jedoch dachte ich an ein Nachbarsehepaar, bei dem eingebrochen worden war. Ich hatte mich immer gefragt, warum diese Leute anderen etwas wegnahmen, wenn sie doch selbst wussten, wie es war, so wenig zu haben. Wir waren alle arm, aber in gewisser Weise schweißte uns die Armut zusammen. Außerdem konnten wir von der Fabriksarbeit ganz gut leben. Es zahlte sich nicht aus, beim Stehlen eine Verhaftung zu riskieren. Leider wurden aber nicht alle Diebe erwischt und stahlen weiter.

      Als ein paar wunderschön bestickte T-Shirts in Bio-Plastik am Fließband an mir vorbeifuhren, wurden meine Gedanken unterbrochen und ich vergaß den Vorfall.

      Als mein Vater und ich nach Hause kamen, hatte meine Mutter bereits Essen gekocht. Ich fragte mich, ob ich ihr erzählen sollte, dass bei den Nachbarn eingebrochen worden war. Ich wusste es auch erst seit gestern, als ich ein Gespräch am Brunnen belauscht hatte. Ich wollte nicht, dass sie ausflippte. Aber sie sollte es wissen, damit sie unser Haus nicht unbeaufsichtigt ließ. Doch sobald ich den Reis roch, war ich so hungrig, dass ich nicht mehr aufhören konnte zu essen.

      Als ich endlich fertig war, hatten meine Eltern auch schon aufgegessen. »Warte«, sagte ich, als meine Mutter gerade aufstehen wollte. »Ich muss euch noch etwas erzählen.«

      »Was ist denn so Spannendes passiert? Laufen die Fließbänder seit heute von rechts nach links statt von links nach rechts, oder was?«, meckerte sie, doch sie hielt in der Bewegung inne.

      »Also … ähm … Als ich gestern beim Brunnen war …«

      »Als du gestern beim Brunnen warst, hab‘ ich hart gearbeitet!«, murmelte sie mürrisch vor sich hin. Auf einmal wurde mir bewusst, dass sie auch nicht mehr die Jüngste war. Musste ich ihr wirklich davon erzählen? Machte es einen Unterschied? Vermutlich nicht. Sie passte ja ohnehin auf. Und ich wollte nicht mit ihr streiten. Je älter sie wurde, umso gereizter wurde sie. Vielleicht lag es am Alter, oder aber daran, dass ich jeden Moment ausziehen könnte.

      »Ach nichts«, murmelte ich. »Wenn’s dich nicht interessiert, dann mach weiter.«

      »Was ist?«, rief sie. Sie wurde bereits schwerhörig … Ich zuckte zusammen, als mir klar wurde, wie alt sie sein musste, und auch wenn meine Mutter oft keifte, so hatte ich sie doch lieb. Sie zu verlieren …

      »Was ist?«, brüllte sie mir ins Ohr.

      »Nichts, Mutter. Mach den Abwasch«, antwortete ich und hielt mir mein Ohr. Ich hoffte, dass ich nicht taub werden würde.

      »Ach, und dafür schreckst du mich auf! Du … du …« Sie fuchtelte mit ihrer Faust in der Luft herum. »Wirklich!« Sie wurde wieder leiser, doch ich hörte sie noch lange brummeln. Ich sah zu meinem Vater. Auch er war nicht mehr der Jüngste. Ich zuckte zusammen. Nicht darüber nachdenken, mahnte ich mich. Es half nichts.

      LEANDER

      Und, was gedenkst du jetzt zu tun, junger Leander?«, fragte mich der Freund meines Vaters. »Jetzt, da du ja bereits fast alle Prüfungen erfolgreich absolviert hast?«

      Ich hatte meine Prüfung tatsächlich mit einem glatten »Fehlerlos« bestanden. Norman hatte nur einen kleinen Fehler gemacht. Das war kein Problem, obwohl ich ihm angesehen hatte, dass er sich ärgerte.

      »Nun ja, ich denke darüber nach, auf die Universität Felix Austria zu gehen. Sie hat einen sehr guten Ruf und das Schloss hat ein ausgezeichnetes Ambiente.«

      Der Freund meines Vaters nickte. Seine Frau lächelte. Wie alles, was sie taten, sah es aus wie in Zeitlupe. Obwohl man sie auf zwanzig geschätzt hätte, waren die beiden nämlich schon sehr alt. Mein Vater hatte gesagt, dass sie eventuell bald auf den Mond fliegen würden.

      »Nun.« Er senkte langsam den Kopf. »Das ist für jemanden wie dich natürlich ideal. Dein Vater hat mir schon etliche Male von deinen, nun ja, perfekten Noten berichtet. Da ist die Felix Austria eine vorzügliche Wahl.«

      Mein Vater setzte hinzu: »Außerdem glaube ich, dass es für Leander dort genau die richtige Ausbildung gibt. Er ist schließlich in allen Fächern begabt. Ich nehme daher an, dass er sich dort viele Interessensgebiete ansehen kann, damit er etwas findet, das ihm gefällt.«

      »Und es ist nicht allzu weit weg«, sagte meine Mutter lächelnd. Tirol war mit dem Zug rund drei Stunden entfernt.

      »Das ist natürlich vorteilhaft«, stimmte die andere Frau zu und sah dann lächelnd ihren Mann an. »Schließlich möchte man ja sehen, wie es dem Nachwuchs so geht. Wann ist es denn soweit?«, fragte sie meine Mutter.

      »Nun, Sheila«, antwortete meine Mutter, »wir wollen ihm nach dem Schulabschluss noch etwas Zeit lassen, also vielleicht in eineinhalb Monaten.«

      Ach ja, der große Tag. Angeblich veränderte es nicht viel, doch ich war trotzdem irgendwie nervös, wenn es um das Unsterblichkeitsserum ging. Wenn man den Erwachsenen Glauben schenken konnte, dann spürte man es kaum. Ich nahm mir vor, meine Mutter danach zu fragen. Sie würde mich nicht auslachen.

      Die Konversation ging weiter. Ich versuchte zuzuhören und bekam dabei mit, wie mein Vater seinen Freund fragte: »Isaac, ich hoffe ja, dass er sich gut macht … Jemand mit so viel Erfahrung wie du … Was denkst du?«

      Isaac schien nachzudenken: »Man kann es natürlich nie