Goldmond. Tamara Glück

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Название Goldmond
Автор произведения Tamara Glück
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990014714



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      Tamara Glück:

      Goldmond

      Alle Rechte vorbehalten

      © 2021 edition a, Wien

      www.edition-a.at

      ISBN gedruckte Ausgabe 978-3-99001-470-7

      ISBN E-Book 978-3-99001-471-4

      E-Book-Herstellung und Auslieferung:

      Brockhaus Commission, Kornwestheim

      www.brocom.de

      Für meine Familie und meine Freunde, die mir alle so unendlich viel bedeuten.

      Für meine Eltern, die mit Abstand die besten sind.

      Für all diejenigen, die in diesen kurzen Zeilen keinen Platz finden konnten.

      Für die Welt, die mich mit offenen und liebevollen Armen willkommen geheißen hat.

      PROLOG

      Grundgesetz, erster Abschnitt:

      Die Natur und der Umweltschutz stehen über den Eigeninteressen einzelner Menschen. Jede und jeder ist verpflichtet, zum Schutz des Planeten beizutragen und ihm keinen unnötigen Schaden zuzufügen. Der Ausstoß von Treibhausgasen, der Abbau fossiler Brennstoff und das fahrlässige Aufheizen der Atmosphäre ist verbotenbeziehungsweise nur mit Genehmigung der Regierungdes Weltstaates erlaubt.

      Grundgesetz, zweiter Abschnitt:

      Die Welt soll in zwei Gruppen geteilt sein: Die einen sollen unser Wissen bewahren, auf dass es niemals verloren gehen mag. Doch unsere Welt ist zu klein, um für alle Menschen dauerhaft Platz zu bieten. So sollen die anderen zum Wohle der Welt den einen Platz lassen. So sollen die einen – wir sollen sie adelig nennen – die Welt in eine gute Zukunft führen und dafür Sorge tragen, dass die Gesetze befolgt werden und kein Bürger wahllos dem Tod überlassen wird. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, sollen die Adeligen mit der Technologie ausgestattet werden, die wir allen wünschen würden, die jedoch jenen mit der höchsten Bildung vorbehalten sein soll: Die Lebensverlängerung soll nur den Adeligen zugänglich sein.

      Grundgesetz, dritter Abschnitt:

      Um diese Welt nicht zu überfordern, sollen alle Menschen, wenn möglich, nur ein Kind zur Welt bringen. Werden Mehrlinge geboren, so trifft die Eltern keine Schuld. Doch jene, die willentlich die Bevölkerung der Erde vermehren, sollen dafür zur Verantwortung gezogen werden. Bei allen Verbrechen trifft die Kinder keine Schuld. Um ihr Wissen weitergeben zu können und die Zahl der Adeligen aufrechtzuerhalten, ist es den Adeligen erlaubt, sofern beide Eltern adelig geboren wurden, zwei Kinder zu bekommen.

      Grundgesetz, vierter Abschnitt:

      Alle Adeligen, die ihr Wissen geteilt haben soweit sie können und in dieser Welt keine Aufgabe mehr erfüllen, sollen sich, um die Bevölkerung der Erde nicht zusätzlich zu erhöhen, mit ihren Partnern auf dem Mond niederlassen.

      ELENA

      Mein Tag begann ganz normal. Ich war noch mitten im Tiefschlaf, als die Stimme meiner Mutter mich weckte: »Steh auf, El!«

      El stand für Elena. Meine Mutter hatte angefangen, mich El zu nennen, sobald sie sicher sein konnte, dass ich ganz genau wusste, dass ich Elena hieß und nicht El.

      Müde rieb ich mir die Augen und schlug die Decke zurück. Es war Winter. Die Kälte ließ mich schaudern. Schnell sprang ich auf und schlüpfte in meine alten Jeans und mein löchriges T-Shirt.

      »El?«, rief meine Mutter aus der Küche.

      »Komme schon«, dachte ich, bemühte mich aber nicht, das laut zu sagen, denn ich bog bereits um die Ecke. »Mmh, mmh«, brummte ich verschlafen.

      »El, hol Wasser.«

      »Mmh, mmh«, sagte ich und machte mich auf den Weg.

      Um diese Zeit waren die Straßen voller müder Kinder und Erwachsener. Sie alle trugen Wasserbehälter auf dem Kopf, den Schultern oder in der Hand. Vor dem Haus schnappte ich mir einen leeren Kübel und machte mich auf den Weg zum Brunnen. Dort stand bereits eine kleine Menschenmenge. Ich schob mich nach vorne und stellte mich an.

      Zum Glück gab es noch genug Wasser. In einem kalten Winter wie diesem froren die Leitungen oft ein. Der automatische Schöpfmechanismus, der das Wasser aus dem Brunnen heraufholte, lieferte dann kein Wasser mehr. Das passierte nicht nur bei kaltem Wetter, sondern auch, wenn es besonders trocken oder heiß war, manchmal auch einfach so. Manchmal fragte ich mich, ob die Maschine absichtlich das Wasser abstellte, damit wir alle verdursteten. Aber das war natürlich Blödsinn.

      Auf dem Heimweg beobachtete ich einen der silbrig glitzernden Sternenvögel, wie er mit einem Paket in den Klauen über die Siedlung flog. Mein Vater sagte, dass diese Vögel die Haustiere der Adeligen waren, doch ich war mir nicht sicher, ob er das ernst meinte. Die Vögel flogen stets in geraden Bahnen und so schnell und hoch, dass man sie nur als weißen Stern am Himmel sah.

      Ich trug den schweren, schlackernden Kübel mühevoll nach Hause. Mir taten die Arme weh, als ich ihn endlich abstellte.

      Doch schon schickte meine Mutter mich, um ein wenig Holz von hinter dem Haus zu holen. Der Stapel war erschreckend klein, doch ich versuchte, nicht darüber nachzudenken. Man durfte kein Holz aus den Wäldern schlägern. Sie waren irgendwie heilig oder so.

      Danach kochte ich unseren Reis, was ewig dauerte, da es eine Temperaturbeschränkung gab, die den Ofen kühl hielt. Die Scheibe am Dach, die aus dem Sonnenlicht Strom machte, war zu klein, um mehr Energie zu liefern. Das bisschen Holz, das ich unerlaubterweise in unsere Feuerschale warf, brachte auch nicht viel. Eigentlich durfte man das Holz nur zum Bauen verwenden, aber wir verbrannten das meiste in einem kleinen Kessel, um das Haus zu heizen.

      Ich putzte den Boden, bis es Zeit war, meinen Vater zu wecken. Ich ging hinüber in den kleineren der zwei Räume unseres Hauses und sagte leise zu meinem Vater: »Aufstehen, Dad!«

      Er begann sich zu wälzen und ich beschloss, das als Wachsein zu werten. Außerdem fror ich bereits und wollte mich neben den Ofen stellen, auf dem meine Mutter das Frühstück zubereitete. Er hatte sich durch das Holz, das wir illegal verbrannten, etwas erwärmt.

      »Er ist wach«, sagte ich zu meiner Mutter, als ich mich an den Ofen lehnte.

      »Und das gibt dir das Recht, dumm rumzustehen, oder was?«, fauchte sie mich an. Ich seufzte. Eigentlich war es nicht die Schuld meiner Mutter, dass es so viel zu tun gab, aber es war schwer, nicht wütend zu werden, auch wenn ich es mir immer wieder vornahm. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass sie hier geboren worden war. Obwohl es ja eigentlich nicht darauf ankam, wo du geboren wurdest, sondern wer deine Eltern waren. Wären meine Eltern Adelige gewesen, dann wäre ich nicht in einem Barackenviertel aufgewachsen, hätte länger als nur zwei Jahre die Schule besuchen können, müsste nicht jeden Tag Wasser holen und mich von Maschinen drangsalieren lassen. Und vor allem müsste ich nicht jeden Tag in der Fabrik arbeiten.

      Nein, wenn ich die Eine aus einer Million Menschen gewesen wäre, die adelig war, dann würde ich in einer Villa leben, jeden zweiten Tag in die Schule gehen und könnte mir von Robotern alles bringen lassen, was ich gerade wollte. Aber wie gesagt, wir alle gehörten zu den 999.999, die nicht-adelige Menschen waren. Zu denjenigen, die von allen Redbloods genannt wurden – Rotblute. So, als hätten die Adeligen wirklich blaues Blut. Es war eine Erinnerung an unseren Stand als minderwertige Menschen.

      »He! Seit wann so ungehorsam? Ich dachte, du wärst diejenige, die jeden Tag was zu essen haben will! Also Marsch, geh zum Händler und kauf Reis!«, riss meine Mutter mich aus meinen Gedanken.

      »Entschuldigung …«, murmelte ich, griff nach dem wenigen Geld, das wir hatten, und ging zur Tür hinaus. Doch kaum hatte ich das Haus verlassen, rief mir meine Mutter nach: »Was? Was hast du gesagt? Red‘ gefälligst lauter mit mir!«