Название | Der erste Landammann der Schweiz |
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Автор произведения | Georges Andrey |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783039198467 |
DIE REAKTION IN DER SCHWEIZ
Der Fall des Obersten der Schweizergarden entfesselte im Patrizierkreis einen Sturm der Entrüstung. Seine scheinbare Haltung erbitterte Henri Meister (1744–1826), dem es am 10. September gelang, Paris zu verlassen, und der in einem Brief vom 21. Baron Zurlauben fragt: «Was halten Sie, M[onsieur], vom Verhalten des M[onsieur] d’Affry? Ich kenne Ihre Meinung.»158 Sehr freundlich dürfte diese nicht gewesen sein, sodass Forestier, der Schatzmeister der Schweizergarden, der am 10. August immerhin einen Sohn verloren hatte, sich dem berühmten Zuger Offizier am 18. September 1792 zu schreiben veranlasst fühlte, er setze sich «allen gegenüber» für d’Affry ein, den er für «untadelig» halte: «Eifersucht und Neid gebären eine ungeheure Verleumdung; wie können Sie, teurer General, angesichts Ihrer Erfahrung mit dieser Wahrheit den Absurditäten über diesen unglücklichen Greis Glauben schenken, die bis zu Ihnen durchgedrungen sind. Wer dem auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenkt, verkennt völlig seine Überlegenheit. Glauben Sie mir, seine Seele ist viel zu edel, als dass sie sich so gemein beschmutzen würde. Gewiss verdankt er seine Rettung nur seiner allseitigen Beliebtheit und der Überlegenheit seines Verhaltens. Seien wir vor solchen Absurditäten auf der Hut.»159
Louis d’Affry harrte in seinem Prehler Zufluchtsort der Dinge. Er wusste, dass sich der Vater gegen Wind und Wetter für die Schweiz eingesetzt hatte. In diesem Beispiel würde er die Kraft finden, es ihm zu gegebener Zeit unter völlig anderen Gegebenheiten gleichzutun. So würde er zehn Jahre später die Schweiz der Mediationsakte begründen und aufbauen. Vorderhand aber war wohl der Ruf seiner Familie auf immer ruiniert, weil sich die Vorwürfe gegen seinen Vater zu verfestigen schienen. Durch einen Glücksfall hatten die Schweizer alles Interesse, das schmerzliche und heikle Kapitel vom 10. August 1792 abzuschliessen. Erst während der Restauration wurde es wieder aufgeschlagen. Bis dahin schwieg man sich über d’Affry am besten aus und verhinderte damit gleichzeitig ein Aufheizen der Rolle eines Teils der herrschenden Elite. D’Affry gegenüber übte man sich in der alten Kunst der damnatio memoriae. Man begnügte sich mit der schamhaften Feststellung, der die Schweizer Truppen im Dienste Frankreichs befehligende d’Affry sei im August und September auf offenbar unerklärliche Weise dem Massaker seines Schweizergarderegiments entkommen. Für die d’Affrys war der Augenblick gekommen, sich ein paar Jahre lang möglichst still zu verhalten. Die Freiburger Patrizier vergassen sie trotzdem nicht.
D’Affry wurde eher wegen seiner gemässigten Haltung während der Revolution verurteilt als wegen seiner Nichtteilnahme am 10. August. In diesem Zusammenhang wird übrigens übersehen, dass sowohl der am 2. September massakrierte Oberstleutnant Jean Roch Frédéric de Maillardoz als auch der am 3. September guillotinierte Major Charles Leodegar von Bachmann den König zur Nationalversammlung begleiteten und danach nicht ins Schloss zurückkehrten, um sich an die Spitze ihrer Männer zu stellen. Manche Autoren geben vor, diese seien bei der Ankunft in der Nationalversammlung verhaftet worden, was nicht zutrifft. Desgleichen behaupten sie, diese höheren Offiziere seien verpflichtet gewesen, bei ihrem König zu bleiben. Doch am 20. Juni 1792 waren sie nicht dort, denn da war der König nur von seinen schlimmsten Feinden umgeben. Wenn hingegen der von den französischen Patrioten verabscheute Baron Bachmann als Hauptverantwortlicher für die Verteidigung der Tuilerien galt, so zu Recht. Er drängte den König, Widerstand zu leisten, und verwechselte seine politischen Überzeugungen mit den Interessen seines Landes. Diese hätten ihn zu viel mehr Zurückhaltung in seiner konterrevolutionären Haltung veranlassen sollen.
IM SEPTEMBER 1792 1ST D’AFFRY WIEDER AUF SEINEM POSTEN
Wider alles Erwarten tritt Administrator d’Affry vorübergehend wieder in seine alte Funktion ein, ein Aspekt seiner Laufbahn, der gemeinhin schweigend übergangen wird. Kaum sind die Septembermassaker in der Hauptstadt zu Ende, ist Kriegsminister Servan in einem Schreiben an d’Affry vom 5. September damit einverstanden, dass er seinen Auftrag wieder wahrnimmt: «Ich habe, M[onsieur], den Brief erhalten, mit dem Sie mich am 29. letzten Monats beehrten und der französischen Nation anbieten, noch in Paris zu bleiben, falls man Ihre Anwesenheit für die späteren Vorkehrungen hinsichtlich der Entlassung der Schweizer Regimenter für erforderlich hält. Dieses neue Dienstangebot habe ich eiligst dem Provisorischen Exekutivrat vorgelegt, der ihm zustimmt und mich ermächtigt hat, Sie zu bitten, mit den Personen Ihres Büros weiterhin die Einzelheiten der Administration zu regeln, mit der dieses Büro beauftragt war. Insoweit verlässt sich der Exekutivrat auf den Patriotismus, die Klugheit, den Eifer und die Hingabe, die Sie bei allen Anlässen an den Tag gelegt haben, die Ihnen die Möglichkeit boten, sich um die Belange Frankreichs bei den Schweizer Kantonen zu kümmen. [ ...] Demzufolge wird vorgeschlagen, dass der Kriegsminister ausdrücklich beauftragt wird, Herrn d’Affry zu schreiben, man bitte ihn, mit den sein Büro bildenden Personen weiterzumachen.»160 D’Affry selbst wollte sich möglichst schnell zurückziehen. Am 4. September schreibt Aussenminister Lebrun an den französischen Botschafter in der Schweiz, Barthélemy, und teilt ihm die Befürchtung Frankreichs mit, Bern könnte den österreichischen Truppen ein Durchmarschrecht gewähren, und bittet ihn, der «derzeit versammelten» Tagsatzung «die Absicht der französischen Nation nahezubringen, die glückliche Harmonie aufrechtzuerhalten, die bislang zwischen den beiden Völkern herrschte.»161
Die Rolle d’Affrys ist ein weiteres Mal unklar. Soll er die Rückkehr der Soldaten seines Landes in die Schweiz ermöglichen oder aber ihre Einbeziehung in die neuen Armeen der Republik erleichtern? Das Verbleiben d’Affrys auf seinem Posten scheint allen Parteien recht zu sein. Denn auch aus Schweizer Sicht ist d’Affry im Augenblick unersetzlich. Die am 3. September in Aarau eröffnete ausserordentliche Tagsatzung schickt d’Affry ein Schreiben und beauftragt ihn, «Ihren Aufenthalt in Paris zu verlängern, um sich um das Wohl und den ehrenvollen Abzug aller Schweizer Truppen in Frankreich zu kümmern».162 In Unkenntnis seines momentanen Aufenthaltsorts schickt ihm die Tagsatzung der Schweizer Eidgenossenschaft am 5. September den Abberufungsbefehl für die im Dienste Frankreichs stehenden Schweizer Regimenter einschliesslich der Überreste des Garderegiments. Am 9. September teilt d’Affry Zürich seinen lebhaften Wunsch nach Heimkehr mit. Dies umso schneller, als er am 25. August vom Entlassungsdekret vom 20. Kenntnis erhielt. Er schreibt: «Von diesem Augenblick an war ich der Meinung, dass ich nach Erlöschen aller Funktionen als Generaladministrator und Oberst der Schweizergarden nur noch auf diesbezügliche Gewissheit oder Erklärung wartete, um die Freiheit zur Rückkehr in die Schweiz zu erbitten.»163 Wieder einmal führt d’Affry seine herausragende Funktion ins Feld, um die Freiheit zu erlangen, aber ebenso seinen Gesundheitszustand, um endlich seine Ruhe zu haben. Doch bei aller Erwartung der Heimkehr bleibt er keineswegs untätig. Insbesondere bemüht er sich um die Entfernung der Siegel im Wohnsitz des Schatz- und Quartiermeisters der Schweizergarden.164 Auf seiner 27. Sitzung macht sich der Provisorische Exekutivrat am 12. September die Mühe, sich diesbezüglich zu äussern: «Der Kriegsminister verlas ein Schreiben des Herrn d’Affry, vordem Oberst der Schweizergarden, der hinsichtlich der Entlassungsmassnahmen seine guten Dienste anbietet und darum ersucht, die auf den Registern und Papieren der Regimentsverwaltung sowie an der Kasse angebrachten Siegel möglichst bald zu beseitigen. Der Rat beschliesst, dass der Kriegsminister sich diesbezüglich an die Pariser Kommune sowie an den Allgemeinen Sicherheitsrat der Nationalversammlung wendet.»165 Am 13. September erklärt d’Affry in einem Schreiben an die Tagsatzung in Aarau, er habe «keine Mühe gescheut, um die französische Regierung zu veranlassen, die am schnellsten wirksamen Massnahmen zu treffen, damit die Unglücklichen, die vom Schweizergarderegiment noch übrig sind, geschützt werden und ihre Heimkehr gesichert wird.»166
Seinen Wunsch nach schnellstmöglicher Rückkehr in die Schweiz beantwortet die Tagsatzung mit der Bitte, seinen Aufenthalt in Paris zu verlängern und «sich um das Wohl und den ehrenhaften Abzug aller unserer Truppen in Frankreich ebenso wie all der Schweizer, die sich ihnen anschliessen, zu kümmern».167 Wenigstens kann sich d’Affry dank diesem amtlichen Mandat von dieser Seite her abdecken. Fortan kann ihm niemand mehr vorhalten, er