Der erste Landammann der Schweiz. Georges Andrey

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Название Der erste Landammann der Schweiz
Автор произведения Georges Andrey
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039198467



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der ‹Bürger und souveränen Herren des Banners von Neuveville› sass. Die d’Affrys hatten auch den Besitz des Gebäudes am Place Notre-Dame erneuert, Louis Auguste Augustin d’Affry wurde während seiner Zeit in Holland zum Mitglied des Kriegsrats der Republik ernannt, und 1765 wurde sein Sohn Mitglied des Rats der Sechzig, dem er bis zur Revolution 1798 angehörte. Darauf beschränkten sich die offiziellen Funktionen beider.»76

      

      12 Das Schloss Saint-Barthélémy unweit von Echallens auf einer Ansicht von 1796. Der Stammsitz der Familie der Ehefrau von Louis August Augustin d’Affry, Marie Elisabeth d’Alt, wird Landsitz der Familie d’Affry.

      

      13 Das kleine Schloss der d’Affry in Givisiez, Ansicht aus dem frühen 19. Jahrhundert.

      Die Schweizer Kompanien in Frankreich konnten zur Not als Abschreckung auch innenpolitisch wirksam werden. So bat beispielsweise Freiburg am 8. April 1782 den französischen Botschafter, wegen der Unruhen in der Stadt bei Hofe einen Verlängerungsurlaub für die Offiziere zu erwirken, die sich vor Ort befanden. Die Verfügungsgewalt über diese Truppen lag bei Graf d’Affry, der sich bereithielt, die Männer nach Freiburg zu entsenden, die der Stadtregierung nützlich sein konnten. Fürsprech Blanc sagte auf der Consulta: «Einzig die Macht Frankreichs verhinderte Aufstände oder erstickte alle Forderungen, vor allem jene, die 1781 und 1782 gewaltsam ausbrachen, und es wäre äusserst falsch, anzunehmen, die Völker des Kantons hätten sich dem freiwillig ergeben.»77 Die d’Affrys wollten unter keinen Umständen, dass sich die in Freiburg herrschende politische Struktur änderte, wenngleich sie eine Aufwertung der Position des Adels wünschten. Diese herkömmliche Machtverteilung stand allerdings rechtlich auf schwachen Füssen, wie Fürsprech Blanc zwanzig Jahre später betonte: «Die gänzliche Usurpation der Rechte aller durch die Einzelpersonen einiger Familien wurde 1627 entworfen und 1681 endgültig gekrönt. Man glaubte, ein halbes Jahrhundert zuwarten zu müssen, ehe man dieses ungewöhnliche Dekret veröffentlichte, das von Anfang an als Geheimbourgeoisie qualifiziert wurde [ ]. Ab dem Jahre 1681 war das Interesse der Regierenden und der Regierten nicht mehr dasselbe.» Erstere «kümmerten sich nur um die Ausweitung ihrer Privilegien; alles, was der Kanton nach innen und aussen, insbesondere Frankreich, leisten und beschaffen konnte, betrachteten sie als ihr exklusives Eigentum. Gesetzgebung, Handel, Erziehung, Landwirtschaft – alles wurde verächtlich beiseite geschoben; es galt einzig, Positionen und Patriziat, von denen sie lebten, zu wahren und ihre Untertanen daran zu hindern, sich die Mittel zu verschaffen, mit denen sie das erniedrigende Joch hätten abschütteln können; all das stand im Widerspruch zu den Prinzipien, die sich aus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts entwickeln sollten.»78

      Jahrelang wachte Versailles aufmerksam über alle Vorgänge in Freiburg, wie uns Hunderte Seiten von Agentenberichten lehren.79 Vater d’Affry dürfte die wahre Lage im Kanton Freiburg gekannt haben und sich der Anfälligkeit bewusst gewesen sein, die diese Berichte hervorheben, die aber von Amtes wegen ignoriert wurden. Er wusste besser als sonst wer, dass gewisse Reformen unerlässlich waren, wenn man das an den Ufern der Saane geltende Regime erhalten wollte. Sein Sohn würde sich diese Lektion zu Herzen nehmen und in seinem Kanton die Mindestneuerungen durchführen, die es brauchte, um das Regime am Ruder zu halten. Eine erste Gelegenheit dazu bot sich schnell, ganz als handle es sich um einen Probegalopp, mit dem Louis erstmals alle Vorteile aus den Aktivitäten des Vaters zog.

      Als die Affäre Chenaux ausbrach (benannt nach dem Greyerzer Aufrührer, der an der Spitze eines Bauernaufstandes beinahe die Stadt Freiburg eingenommen hätte), befand sich Louis d’Affry in Paris. Doch gleich nach der Heimkehr im Mai 1781 «spielt er eine Schlüsselrolle in den anschliessenden Unruhen in der Stadt Freiburg, bei denen sich Adel, Patrizier und gemeine Bürger gegenüberstanden».80 Am 17. Mai 1781 warnte er den Schultheiss und Rat Freiburgs, Fürsprech Castella, einer der Anführer der Verschwörung habe soeben die Franche-Comté durchquert. Sodann stellte er gemeinsam mit anderen jungen Adligen und Patriziern seinen Degen in den Dienst der Republik. Diese als «Messieurs d’Etat» bekannte improvisierte Garde verteidigte, «um jeder Überraschung vorzubeugen»,81 am 12. November 1781 das Rathaus. Dann wechselt d’Affry das Fach. Im Anschluss an die Chenaux-Revolte übernahm er 1781/82 den Vorsitz in den Versammlungen des Adelskorps und intervenierte bei den Mediationskantonen Bern, Luzern und Solothurn. Fred von Diesbach schrieb: «Das Adelskorps, wie man es damals nannte, beriet über die Berufung ihrer Sprecher. Auf diese Weise wurde Louis d’Affry ihr Hauptvertreter kraft seiner bekannten Qualitäten: Erfahrung (er ist schon 38 Jahre alt), Sinn fürs Geschäft, Takt, Mässigung; obwohl nicht in Freiburg anwesend, ging es ihm in dieser Angelegenheit weniger um den Eigennutz als den Adligen, die für gewöhnlich dort wohnten.» Der ihm eingeräumte Rang und die bei diesen heiklen Aufträgen unter Beweis gestellten Fähigkeiten brachten ihm allerdings in einer von Kleinlichkeit geprägten Kaste, aber auch in der Familie allerlei Eifersüchte ein. Sein Neffe Baron Marie François von Alt, Sohn des Schultheissen von Alt, stellt Louis d’Affry in seinen unveröffentlichten Erinnerungen vom Herbst 1792 als «einen ehrlichen Mann, hochmuterfüllt und für eine ruhmreiche Rolle wie geschaffen» dar, der «mit seiner ganzen Süffisanz» an die Spitze des Adels trat.82 Er fügt hinzu: «Sie betrachteten ihn als ihren Retter und waren ihm und seinen Fehlern zugetan, wie Ertrinkende sich an jeden Strohhalm klammern.»83 Fred von Diesbach meinte dazu: «Halten wir von diesem von offenkundiger Böswilligkeit diktierten Urteil lediglich die herausragende Rolle fest, die d’Affry in den Unterhandlungen spielte. Er wusste sich durchzusetzen, und gewillt, sich nützlich zu zeigen, ging er augenblicklich ans Werk.»84 D’Affry nahm an der Versammlung der Adligen Freiburgs teil.85 Angesichts der Böswilligkeit von Schultheiss Werro «schickten die Adligen am 7. Dezember 1781 ihre Vertreter, je zwei pro Familie, zum Grafen von Diesbach-Steinbrugg, d’Affrys Schwiegervater». Die Versammlung, in der 33 Personen tagten, darunter Louis d’Affry und sein Schwager François Pierre von Diesbach, der in die Unterdrückung der Unruhen verwickelt war, zog Bilanz über den Adelsstand und verabschiedete einen Antrag, in dem sie «Gleichheit der Aufteilung der Mandate im Einklang mit der Gerechtigkeit und dem Wohl der Republik forderte».86 Adel und Patrizier beharrten auf ihrer Position. «In dieser eigenartigen Phase der Geschichte Freiburgs» spielte d’Affry «eine beträchtliche Rolle».87 Ihm werden die heikelsten Aufgaben übertragen. So «beschlossen die neunundzwanzig Vertreter der Versammlung der Adligen, als ihnen die Schmähreden, die sich ihre Gegner im Rat der Zweihundert gegen sie erlaubten, zu viel wurden, dem Schultheissen mitzuteilen, bei der nächsten Beleidigung sollte man die Schandmäuler mitten in der Sitzung am Kragen packen, und Louis d’Affry wurde gebeten, dieses sonderbare Ansinnen im Verein mit dem vom sächsischen Hof heimgekehrten Kammerherrn Philippe Griset de Forell auszuführen.»88 D’Affry riet seinen Amtskollegen zu mehr Flexibilität und Diplomatie.

      Die Verhandlungen89 schlossen am 17. Juli 1782 mit der Unterzeichnung eines «Vertrags» zwischen Adel und Bürgertum in Murten. Der Adel verlor alle ausländischen Titel und erhielt Zugang zu sämtlichen Mandaten. Das Bürgertum sollte fortan diese Titel tragen, als wäre es geadelt worden. «Die Herren haben sich vergöttlicht!», meinte dazu Friedrich II., König von Preussen und Fürst von Neuchâtel. Die «Verordnung bezüglich der Einführung der Gleichstellung der Patrizierfamilien und ihre Titelführung»90 ist ein Musterbeispiel für einen Kompromiss. Ganz im Sinne eines d’Affry. Die Vertragsunterzeichner hatten begriffen, dass «die Feststellung der vollkommenen Gleichheit aller Bürger unserer Hauptstadt, die zur Regierung fähig sind», das einzige Mittel war, «gegenseitiges Vertrauen unter den Bürgern» zu wecken, heisst es in der Präambel. Dennoch: Die Mehrzahl der Forderungen seitens der Landgegend und des ländlichen Bürgertums war abgelehnt worden. 1782 schaffte das der Adel, indem er sich auf das Bürgertum stützte, «dem er sich durch seine Grosszügigkeit und seine freundlichen Manieren sympathisch zu machen verstanden hatte. Erstaunlicherweise behielt der Adel auch dann noch seine Beliebtheit, als er seine Verbündeten und Hilfstruppen im berühmten Vertrag von Murten geopfert hatte.»91