Название | Der erste Landammann der Schweiz |
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Автор произведения | Georges Andrey |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783039198467 |
DER ERGEBENE SOHN
Ganz wie sein Vater und sein Grossvater beginnt der junge d’Affry 1753 offiziell eine militärische Laufbahn als Kadett der Schweizergarden.61 Gleichzeitig bildet er sich weiter. Als sein Vater von seinem Auftrag in den Niederlanden nach Frankreich zurückkehrt, hat Louis d’Affry sein Studium abgeschlossen. Ohne seinen Vater hätte der junge d’Affry seine glänzende Militärkarriere nicht gemacht. Am 18. Februar 1758 lässt ihn der Vater als ausserplanmässigen Fähnrich in die Oberstenkompanie der Schweizergarden eintreten.62 Eine Gefälligkeit, denn seit dem Vorjahr ist die Zahl der Fahnen auf zwei Bataillone reduziert worden. Es erstaunt nicht, dass der Einfluss von Vater d’Affry immer grösser wird. Manchmal tut er zugunsten seines Sohnes auch des Guten zu viel. In einem Aide-Mémoire, das er Ludwig XV. am 8. März 1761 vorlegt, äussert Graf d’Affry «den angelegentlichen Wunsch, Eure Majestät möge die Güte haben, den Befehl über Seine Oberstleutnant-Kompanie zwischen seinem Neffen, dem Chevalier de Maillardoz, der ihn bereits ausübt, und seinem ältesten Sohn, Sire Louis-François, aufzuteilen, der seit drei Jahren überplanmässiger Fähnrich im Regiment ist und zwei Feldzüge als Adjutant absolviert hat. Der junge Mann ist im 18. Lebensjahr; er ist vielversprechend und man versichert mir, dass er eine Truppe führen kann.»63 Der Rapport stützt sich weitgehend auf die Verdienste des Vaters; «Abwarten» lautet die Marginalie. Der Siebenjährige Krieg liefert Graf d’Affry eine letzte Gelegenheit zum Kampf und Louis eine der seltenen Chancen, sich selbst auszuzeichnen. Der Vater verlässt Holland am 4. Juni 1762 und dient im Bas-Rhin als Generalleutnant. Louis zieht 1759 ins Feld. 1760 befindet er sich in Aire-sur-la-Lys. Anschliessend dient er sich in der Rheinarmee hoch. Er wird Adjutant des Generalleutnants Graf von St. Germain64 und nimmt an den Feldzügen von 1759 bis 1762 in Deutschland im Regiment der Schweizergarden teil. Der Sohn d’Affry setzt seine Karriere im Schatten des Vaters fort, aber die lange Friedenszeit, die nach 1763 einkehrt, bietet ihm keine Möglichkeit, sich im Feld zu bewähren. Am 19. Februar 1766 wird er befehlsführender Hauptmann im Rang eines Obersten, am 6. November 1774 Hauptmann zu Fuss und erhält die Grenadierkompanie von Reynold und am 5. November 1775 nach dem Tod von Rodolphe-Ignace de Castella die der Füsiliere. Am 21. Januar 1772 wird der Befehlshabende Hauptmann der Oberstenkompanie mit dem Ritterkreuz des Königlichen Militärordens von St. Louis ausgezeichnet. Am 5. November 1775 schlägt Graf d’Affry seinen ältesten Sohn zum Hauptmann der Grenadiere vor, damit er die Kompanie von Rodolphe-Ignace de Castella wieder übernehmen kann: «Die Kompanien des Garderegiments sind keinem Kanton zugeordnet, und Seine Majestät besitzt alle Freiheit, sie bei Freiwerden dem Offizier der Schweiz oder eines mit der Schweiz verbündeten Landes zu übertragen, die Seine Majestät für richtig befindet.» Ludwig XVI. nimmt d’Affrys Vorschlag an, womit der Kanton Freiburg eine dritte Kompanie erhält.65 Dennoch muss Louis bis zum 1. März 1780 warten, bis er zum Brigadier ernannt wird, und bis zum 1. Januar 1784, bis ihm der Rang eines Brigadegenerals verliehen wird. Am 30. Mai 1779 erhält er eine Pension von 1000 Pfund aus der königlichen Schatztruhe, wie ihm sein Vater mitteilt, «aufgrund des Berichts, den ich dem König über Eure Verdienste und Eure Anciennität als Hauptmann der Schweizergarden [...] erstattete. Ihr werdet sicherlich das Vergnügen abschätzen können, das ich empfinde, Euch diese Gnade verkünden zu dürfen, und ich beglückwünsche mich dazu, Euch dazu mit verholfen haben zu können.»66 Über Ludwigs «Reifejahre» gibt es wenig Bedeutsames zu berichten. Nach einem Leben entsprechend seines Gesellschaftsstandes verkehrt er in langen Zeiten der Musse in der guten Gesellschaft. Er ist gerade zwanzig Jahre alt, als Frankreich am Ende des Siebenjährigen Krieges in eine lange Friedenszeit auf dem Kontinent eintritt, und als 1792 wieder Krieg ausbricht, beeilt sich Louis d’Affry, in die Schweiz heimzukehren. Beim Antritt seines Urlaubs in Freiburg nimmt er, wie es sich für einen Edelmann seines Zuschnitts gehört, seinen Sitz im Grossen Rat ein.
Es überrascht wenig, dass seine militärische Laufbahn ebenso wie seine Ehe vom väterlichen Willen diktiert erscheinen. Im 18. Jahrhundert spielte sich das Gefühlsleben nicht notwendig im familiären Rahmen ab. So ist es kaum erstaunlich, dass weder zwischen Louis’ Eltern noch zwischen ihm und seiner Gemahlin (die Vernunftheirat ist fraglos an der Tagesordnung) besonders tiefe Gefühlsbande zu bestehen scheinen; hingegen weist ein ganzer Briefwechsel auf ein ausgeprägtes geschwisterliches Einvernehmen zwischen Louis und seiner Schwester Madeleine, Gräfin von Diesbach, ebenso auf eine spätere Empfindung des Vaters für seine jüngste Tochter Minette hin. Wann immer ein Heim gegründet werden soll, wenden sich die d’Affrys ihrem Heimatland, der Schweiz, zu. Louis hat sich in ein acht Jahre jüngeres Mädchen verliebt, Louise Charlotte von Diesbach; warum kommt es nicht zu dieser passenden Verbindung? Hat Vater Louis d’Affry eine grosse französische Heirat im Sinn, und hat sich der Sohn widersetzt? Louise Charlotte ist nicht vemögend – vielleicht ist das eine Erklärung. Jedenfalls ehelicht Louis d’Affry am 4. Juni 177067 eine seiner Kusinen, Marie Anne Constantine von Diesbach-Steinbrugg.68 Ghislain von Diesbach meint dazu grimmig: «Die Rasse musste schon ungewöhnlich solide sein, um solcher Inzucht zu trotzen.»69 1771 wird der Sohn Charles geboren, dem zwei Mädchen folgen: Julie 1774 und Elisabeth 1775, und 1779 kommen der zweite Sohn Guillaume und schliesslich 1781 Marie, die Minette gerufen wird. Zu Beginn der Ehe wohnt die gesamte Familie – der Vater, die junge Familie und der zweite Sohn Jean Pierre – im Winter im väterlichen Stadthaus in der Rue du Bac. Sie führen ein spendierfreudiges und prunkvolles Leben. Im Sommer geniessen sie die Landluft von Saint-Barthélémy. Aber in seinen Gefühlen leidet Louis d’Affry weiterhin, denn wie es das Schicksal will, heiratet die Frau, die er liebt, den Bruder seiner Ehefrau, wodurch sie einander wieder näherkommen und ihre Empfindungen neu geweckt werden. Eine Situation wie in einer klassischen Tragödie: Alle Welt ist unglücklich, aber die Ehre ist gerettet. Das Ganze löst sich auf traurige, damals allerdings nicht ungewöhnliche Weise auf: 1773 stirbt Louise Charlotte70 bei der Geburt eines Sohnes.71
Gab es einen verdeckten oder offenen Vater-Sohn-Konflikt? Bildete die unerlaubte Liebe von Louis zu Louise Charlotte den Zankapfel in der Familie? Jedenfalls enthalten zwei Briefe von 1779 Andeutungen von «jugendlichen Verirrungen» und lassen seitens des Sohnes eine Mischung aus Liebe und Furcht erkennen. In einem Brief vom 20. November 1779 aus Saint-Barthélémy erweckt Louis den Anschein, als wolle er sich gegenüber seinem Vater rechtfertigen: «Ich hoffe, dass Euch mein Verhalten seit langem keinen Anlass zur Unzufriedenheit bietet und ich nicht zu befürchten brauche,72 dass Ihr Euch je über mich zu beklagen habt. Die ungestümen Zeiten meiner Jugend sind längst vorbei. Ihr wart so gütig, meine Fehler zu vergessen (die ich korrigiert zu haben glaube),73 und das Unrecht, das ich in meiner Jugend beging, ist wiedergutgemacht (dank Eurer Güte).»74 Der Vater spricht ihm am 9. Dezember 1779 umgehend seine Zuneigung aus: «Ihr wisst, dass ich Euch versprach, gewisse Verirrungen der Jugend voll und ganz zu vergessen, und ich habe Wort gehalten; im Übrigen ist Euer Verhalten in jeder Beziehung gut, seitdem die aufrichtigste Freundschaft und wahre Hochachtung meinerseits an die Stelle der kleinen Unzufriedenheiten getreten sind, die mir die Jugend, der Leichtsinn und Unvorsichtigkeiten verursacht haben mögen, und ich Euch seit mindestens zehn Jahren als meinen Freund ebenso wie als meinen Sohn empfinde.»75 Was für «Unvorsichtigkeiten», welche «Verirrungen»? Belassen wir den Protagonisten das Geheimnis ihrer Meinungsverschiedenheiten.
DIE ROLLE VON LOUIS D’AFFRY WÄHREND DER FREIBURGER UNRUHEN
Der im Wesentlichen oligarchische Stadtstaat Freiburg war eine auf einige wenige alteingesessene Familien beschränkte Gemeindedemokratie. Bis in die 1780er-Jahre hinein, schrieb Fred von Diesbach, «kümmerte sich Louis d’Affry kaum um die Angelegenheiten seiner Geburtsstadt. Seine Pariser Laufbahn nahm ihn vollkommen in Anspruch. Zumal der französische Hof unvergleichlich prächtiger war als die kleine Freiburger Republik [...]. Freilich gab er sein Land weder auf, noch vergass er es. Bislang hatte er das Nötigste unternommen,