Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Zechs Biographie einzubetten in das Panorama der Geschichte des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit allen Brüchen, Krisen und Kriegen, zugleich aber der kulturellen Vielfalt in Literatur, Bildender und Darstellender Kunst, Philosophie und Musik. Mein Ziel war es, ein Buch vorzulegen, das wissenschaftlich fundiert und unterhaltsam zugleich ist.

      Alfred Hübner, im August 2021

      Erstes Kapitel

      Paul Zech, nach eigenen Worten ein „Dickschädel aus bäurisch-westfälischem Kornsaft“1, ist – um bei seiner landwirtschaftlichen Bildsprache zu bleiben – der Herkunft nach zur Hälfte eine „Spreewaldgurke“: Der Ur-Ur-Großvater mütterlicherseits, Schuhmachermeister Johann Gottfried Leberecht, heiratet 1782 in der Spreewaldstadt Lübben die 1749 als Tochter eines Leinewebers zu Lieberose geborene Johanna Christiane Golzen.2 Beider Sohn Johann Leberecht, Zechs Urgroßvater mütterlicherseits, kommt 1785 zur Welt.3 Er wird Lehrer und ist zu Anfang seiner Laufbahn an mehreren Orten im Spreewald tätig, später einige Zeit im heutigen Ostbrandenburg, zunächst in Mittweide und schließlich in Lindenberg bei Beeskow. Außer schulischen Aufgaben muss er am jeweiligen Wirkungsort das Amt des Küsters versehen.

      Johann Leberecht heiratet 1806 in Fürstenberg an der Oder Regina Karoline Jordan.4 Zwei Jahre nach der Hochzeit bekommt das Paar erstmals Nachwuchs, eine Tochter Caroline.5 Dem Mädchen folgen nacheinander vier Söhne: Traugott, Theodor, Albert und Franz. Im Dezember 1827 wird Ehefrau Regina in Lindenberg von einer weiteren Tochter entbunden, die den Namen Auguste Henriette Emilie erhält; sie ist Zechs Großmutter mütterlicherseits. Für ihre Taufe können die Eltern den Verwalter des Gutes Lindenberg, einen Gerichtsherrn namens Schliebener, als Paten gewinnen.6 Auf Auguste folgt schließlich noch ein Mädchen namens Berta.7

      1832 stirbt Johann Leberecht und hinterlässt eine erwachsene Tochter sowie sechs minderjährige Kinder.8 Seine Witwe zieht mit den Halbwaisen nach Beeskow, wo ein Bruder des Verstorbenen lebt. Als ihre älteren Söhne über eigenes Einkommen verfügen, helfen sie der Mutter, indem sie jüngere Geschwister in ihren Hausstand aufnehmen. Dazu sind sie in der Lage, weil die in Straupitz und Lübben ansässige herrschaftliche Familie Houwald drei von ihnen zu Lehrern ausbilden lässt.

      Theodor, der zweite Sohn, unterrichtet in Laasow, einem kleinen Dorf nahe Straupitz. 1838 heiratet er Elisabeth Kossatz, zwei Jahre später wird er Vater einer Tochter namens Marie.9 1856 verlässt Theodor Laasow und bestreitet den Lebensunterhalt für sich und die Familie einige Zeit lang als Windmüller. Der Grund für den Weggang sind, wie es heißt, Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung, weil ihm die gräfliche Herrschaft vier Morgen Ackerland sowie drei Morgen Wiese zur Nutzung überlassen hat. Das Geschehen ist in der Ortsgeschichte von Laasow festgehalten.10

      Albert Leberecht, dritter Sohn von Johann und Regine Leberecht, 1820 in Mittweide zur Welt gekommen, arbeitet während der Vierzigerjahre als Lehrer und Küster in dem kleinen Ort Butzen, einem Nachbarort von Laasow.11 Urkundlich belegt ist seine Versetzung im Jahre 1854 von Butzen nach Bomsdorf bei Neuzelle an der Oder.12

      Franz Leberecht, der vierte Sohn von Gottfried und Regina Leberecht, durchläuft als „Seminarist in Neuzelle“ eine Ausbildung zum Lehrer. Förderer der dortigen pädagogischen Anstalt ist Graf Houwald.13 Nach Abschluss seines Studiums arbeitet er als Lehrer in Straupitz. 1848 heiratet er Friederike Hinze, die 23 Jahre alte Tochter des Schuhmachermeisters Carl Ludwig Hinze aus Müncheberg, Kreis Lebus, im preußischen Regierungsbezirk Frankfurt an der Oder.14 Das Paar hat durch Caroline Leberecht, die älteste Schwester des Bräutigams, zueinander gefunden. Sie wohnt seit vielen Jahren in Dahmsdorf, einem Dorf bei Müncheberg in der Mark, und ist mit dem Mühlenbesitzer Carl Grohmann verheiratet. Franz und Friederike Leberecht bekommen 1849 Nachwuchs, einen Sohn.

      Von Paul Zechs Großmutter, der 1827 geborenen Auguste, erfahren wir hauptsächlich durch Einträge in Kirchenbüchern. Bei der Taufe von Theodors Tochter Marie 1840 werden die „Jungfer Auguste Leberecht“ sowie ihr Bruder Albert als Paten angeführt. Auguste lebt zu der Zeit bei der Mutter in Beeskow.15 Dem jungen Mädchen bleibt Mitte des 19. Jahrhunderts ein Studium verwehrt. Nach seiner Konfirmation wird es von Bruder Albert aufgenommen und erscheint 1842 bei der Taufe von Theodors Sohn Wilhelm im Kirchenbuch von Straupitz erneut als Patin, wohnhaft „in Butzen“, ein weiterer Pate ist ihr Bruder Franz Leberecht. Möglicherweise arbeitet Auguste in Butzen als Magd auf einem Houwaldschen Gut, das sich in direkter Nachbarschaft von Kirche und Schulhaus des Dorfes befindet, um etwas zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen. Vielleicht kümmert sich die Herrschaft schließlich doch um die Tochter des verstorbenen Johann Leberecht, weil sie ihren Brüdern an Begabung und Lerneifer in nichts nachsteht. Ein Jahrhundert später verrät ihr Enkel Paul Zech den Nachnamen der Vorfahrin: „meine Großmutter [war] eine geborene Leberecht“, fügt aber hinzu: „aus Krossen an der Oder“.16 Das ist falsch. Er verwechselt die Stadt mit einem in der Nähe von Butzen gelegenen Dorf gleichen Namens, auf dessen Gemarkung sich ein Herrschaftssitz befindet, der bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den Houwalds gehört.

      Eine denkbare Version von Augustes Werdegang ist folgende: das Mädchen wird nach 1840 als Kammerzofe auf dem Houwaldschen Familiensitz Schloss Neuhaus in Dienst genommen, der sich nur zwanzig Kilometer von Butzen entfernt befindet. Dort sind während der ersten Hälfte des Jahrhunderts viele Dichter der Romantik, unter ihnen Achim von Arnim, Geibel, Chamisso, de la Motte Fouqué, Tieck und Grillparzer zu Gast. Über eine derartige Tätigkeit und deren mögliche Folgen existieren keinerlei Dokumente, aber Paul Zechs Begabung als Schriftsteller könnte vererbt sein wie eine Nervenkrankheit, unter der er lebenslang leidet.

      1849 findet sich Augustes Namen wieder in den Kirchenbüchern. Unter den Taufpaten des Sohns ihres Bruders Franz wird die „Jungfrau Auguste Leberecht“ aufgeführt.17 Darüber, wo die junge Frau während der nächsten sechs Jahre lebt, gibt es keine Aufzeichnungen. Erst aus einem Taufeintrag im Müncheberger Kirchenbuch von 1855 geht hervor, was Auguste weiter widerfährt. Sie bringt am 5. November 1855 in dieser Stadt ein uneheliches Kind zur Welt, das den Namen Emilie erhält. Bei diesem Mädchen handelt sich um Paul Zechs Mutter. Wo Auguste schwanger geworden ist, ob in Butzen, Laasow, Crossen, Straupitz, auf Schloss Neuhaus oder in Müncheberg, weiß nur sie selbst, verrät es aber niemandem.

      Fünf Monate nach dem für ledige Mütter in jener Zeit alles andere als „freudigen Ereignis“ heiratet Auguste den Landwirt August Heinrich Liebenow aus Müncheberg. Die Verbindung kommt durch Augustes Schwester Caroline Grohmann zustande. Diese hat an ihrem Wohnort nach einem passenden Mann für die Schwester gesucht. Der 1820 geborene Bräutigam ist Angehöriger einer der vielen Familien, die in Müncheberg den Namen Liebenow tragen. Er wird in amtlichen Unterlagen als „Eisenbahnbeamter“ und „Eigenthümer“ geführt, das heißt, er besitzt Land und Vermögen.18 Die zeitliche Nähe der Geburt Emilies zur Hochzeit ihrer Mutter mit August Liebenow könnte vermuten lassen, bei diesem Mann handle es sich um den leiblichen Vater von Paul Zechs Mutter. Das trifft nicht zu. Der Großvater mütterlicherseits des Autors findet nirgends Erwähnung. Er bleibt ein Unbekannter. Auf die Beziehung der Eheleute Liebenow scheint die ungeklärte Vaterschaft des Mädchens keine Auswirkung zu haben. In der Ehe bringt die Gattin noch drei Söhne zur Welt. Zusammen mit den Stiefbrüdern wächst Emilie, die bis zu ihrer Heirat im Jahre 1878 den Namen Leberecht beibehält, im Haus der Liebenows an der Müncheberger Hinterstraße auf. Das landwirtschaftliche Anwesen liegt unweit der Knabenschule und der Pfarrkirche St. Marien, dem Wahrzeichen der Stadt Müncheberg.

      Die Ahnenreihe von Pauls Vater ist weniger weit zurückzuverfolgen als die der Mutter. Zech selbst behauptet etliche Male, seine Familie habe zu jenen Protestanten gehört, die vom Salzburger Erzbischof außer Landes getrieben worden sind.19 Dokumente darüber gibt es keine. Auch die von Zech reklamierte „bäurisch-westfälische“ Herkunft ist von der väterlichen Seite her ebenso wenig nachweisbar wie von der mütterlichen.

      Pauls Großvater Wilhelm und sein Vater Adolf stammen aus Briesen in Westpreußen, dem einstigen slawischen Wambrez