Название | Thorburg |
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Автор произведения | Ute Stefanie Strasser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701180516 |
Schon vorher ist kübelweise (meine Mutter und Ama haben dafür Kübel zur Verfügung gestellt) Wasser vom Hausbrunnen ins Stübchen geschleppt und der Holzfußboden mit alten Wochenschauen (von der Frau Orthelfer, schon gelesen) ausgelegt worden. Jetzt schöpft die Großtante mit einem Krug heißes Wasser aus dem Schiff im Herd und gießt es in die Lavur, die auf einem Stockerl in der Mitte des Raumes steht. Anschließend schöpft sie kaltes Wasser aus dem Kübel und schüttet es dazu bis die Temperatur passt. Die junge Mitzi sitzt, oben herum nur mit einem Hemdchen bekleidet, auf einem Stuhl vor dem Stockerl. Sie beugt sich nach vorne und lässt ihr Haar kopfüber in die Lavur hinunterfallen. Weil sie so ihr Haar nicht zur Gänze nass machen kann, wird ihr noch von oben aus dem Krug lauwarmes Wasser über den Kopf gegossen. Jetzt werden Kopfhaut und Haar gründlich mit Schichtseife – Shampoon gibt’s hier nicht – eingeseift, und die beiden Frauen, die Großtante und meine Mutter, eine rechts und eine links, reiben und drücken und wringen das Haar wie ein Stück Wäsche. Die junge Mitzi jammert dazu, weil ihr trotz eines um den Hals gelegten Handtuchs Wasser in die Ohren und über Schultern und Brust rinnt. Das kitzelt und brennt, behauptet sie. Danach wird die Seife gründlich ausgespült. Aus dem Krug wird dreimal lauwarmes Wasser über den Kopf gegossen und dem letzten Spülgang mit kaltem Wasser – da schreit die junge Mitzi auf – wird Essig beigegeben, für den Glanz. Nach dem Waschen und nach jedem der Spülgänge wird das gebrauchte Wasser in den Schmutzwasser-Kübel geleert. Und jedes Mal, wenn der voll ist, geht meine Mutter damit hinunter vors Haus und entleert ihn in den Straßengraben. Zum Schluss wird das Haar mit einem am Herd angewärmten Handtuch möglichst trocken gerubbelt und anschließend ölt die alte Mitzi der jungen Mitzi die Kopfhaut mit Klettenwurzelöl ein – für den gesunden Haarwuchs. Dann wird das Haar unter beidseitigem Gezeter mit einem Kamm frisiert, und die junge Mitzi setzt sich mit einer Illustrierten an den Herd oder in den Garten, je nach Wetter und Jahreszeit.
Liebe Leser, vielleicht hat Sie das Lesen dieser Prozedur, das erlesene Zu-schauen, gelangweilt, aber ich hoffe, Sie haben dadurch eine Vorstellung davon bekommen, wie umständlich und zeitaufwändig gewöhnliche Verrichtungen in den Fünfzigerjahren sein konnten. Sie füllten das Alltagsleben der Menschen aus, weshalb sie des Fernsehens und dergleichen Zerstreuungen noch nicht bedurften.
Irgendwann freilich wurde den beiden Mitzis diese Reinigungsprozedur zu umständlich, das Haar wurde abgeschnitten: moderne Kurzhaarfrisur. Auf die war die junge Mitzi stolz, und froh war sie, die Last vom Kopf zu haben. Ich war traurig über den Verlust ihrer Haare, denn ich war stolz darauf gewesen, eine Verwandte mit Haaren wie Rapunzel zu haben. Nur einmal noch habe ich so lange und dichte rotbraune Haare gesehen, bei Marcia in Chile. Marcia mussten die Haare abgeschnitten werden, weil sie so schwer waren, dass sie ihr den Kopf nach hinten unten zogen und dadurch Kopfschmerzen verursachten. Über Kopfschmerzen hat die junge Mitzi nie geklagt, woraus ich schließe, dass sie keine hatte. Das verdankte sie womöglich ihrer verhältnismäßig großen Nase, deren Gewicht dem Gewicht ihrer Haare entgegenwirken konnte. Das ging bei Marcia nicht, denn die hatte eine Nase wie Kleopatra, die legendäre Königin mit der hübschen Nase. Und diese so zierliche Nase konnte ob ihrer Leichtigkeit die Schwere der Haare nicht ausgleichen, Marcias armer Kopf wurde ungebremst nach hinten unten gezogen.
Nebenbei bemerkt: Die Mitzi und die Marcia gehörten zu den weiblichen Wesen, deren Haare so prachtvoll sind, dass ich die Sitte, sie mit einem Tuch zu bedecken, damit ihre erotische Strahlkraft die Männer nicht verwirre, nachvollziehen kann.
Es war kein bequemes Wohnen dort oben unter dem Dach, es war eine Notlösung, bis man was Richtiges fände. Ich aber ging gerne zu den beiden Mitzis, ich fühlte mich wohl bei ihnen im Shabby Chic-Dachstübchen mit Herd Kredenz Kleiderkasten Tisch Stuhl Stockerl und dem einen Bett, das sie sich teilen mussten.
Hier nun, liebe Leser, ist meine Führung durch die Fünfzigerjahre-Thorburg zu Ende. Wir haben uns Räume und Leute angeschaut und ein wenig von deren Alltag erfahren. Wie ich es schon für das Feenthal beschrieben habe, hatten auch hier alle einen annähernd gleichen Lebens-Rhythmus: das Wäschewaschen am Montag und am Dienstag, das Flicken und Bügeln am Mittwoch und Donnerstag, das Putzen am Freitag, das Backen mit seinem Wohlgeruch am Samstag, und am Sonntag – die Stille. Und in den Nächten schliefen selbst die Halbwüchsigen. Am Samstagabend spät heimkommen hieß gegen Mitternacht. Das ist die Zeit, wo die jungen Leute heute weggehen, denn: Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, dass was geschieht …
Also wenn das möglich wäre, würde ich Ihnen dieses fröhliche Lied zum Abschluss des Kapitels vorsingen.
Drittes Kapitel
Auf d’Nacht und in da Nacht
Die Großmutter trägt Zöpfchen und dem Großvater entfallen die Zähne, ich verteile meine Kleider und schlafe darüber ein, eine Königstochter isst Delikatessen, russische Silvester, eine rassige Person; meine Eltern gehen auf den Ball, anfangs mit und dann nur noch ohne T.Resa, und warum dies, erzählt mir meine Mutter; sie erzählt mir auch sonst noch allerhand von Seinerzeit, und so weiter – zum Beispiel: ich – äh, pinkle auf Mehlspeisen
Der späte Nachmittag, der Vorabend, begann bei uns um fünf Uhr. Um sechs Uhr gab es das Abendessen. Den anschließenden Zeitraum bis zum Schlafengehen um acht Uhr nannten wir nicht Abend, sondern auf der Nacht – kürzer: auf d’Nacht. Auf d’Nacht ging man an gewöhnlichen Tagen nicht mehr aus dem Haus.
Bald nach unserem Umzug in die Thorburg bildete sich ein abendliches Ritual heraus: Ich ging nach dem Abendessen – es war in der Regel ein Abendbrot –
einen Stock tiefer zu den Großeltern. Die saßen am Tisch im Wohnzimmer und spielten Schnapsen, dieses Wirtshaus-Kartenspiel. Häufig gewann der Großvater; weil er besser schummeln kann, behauptete Ama. Wenn sie sein Schummeln bemerkte, rief sie empört: Jo, Schnecken! (mit Jo meinte sie Ja, nicht meinen Großvater). Bei diesen Schnecken handelt es sich nicht um die im Garten kriechenden, sondern um die Mehrzahl von Schneck, womit im Osten Österreichs ein Stück verdickter Nasenschleim (Raunga Rammel Wuzl Popel) bezeichnet wird (Robert Sedlaczek). Der Ausruf Schnecken bedeutet, etwas sei nichtiger Nasendreck, ein Nichts, durch die Verwendung der Mehrzahl zu einem totalen Nichts gesteigert. Wenn meine Großmutter Schnecken rief, meinte sie: Nichts da! Das gilt nicht! Da wird nichts draus! Und in Konsequenz: Ich lass mich von dir nicht beschummeln! Der Großvater grinste vergnügt in sich hinein.
Wenn ich bei ihnen ankomme, nehme ich alsogleich einen Kamm und zwei Bürsten, eine normale Haarbürste und eine Babybürste, aus der Stofftasche, die unter dem Spiegel in der Nische zwischen Kachelofen und Kredenz hängt, und lege sie rechts von Ama auf den Tisch. Aus der Blechdose, die in der Nische der Kredenz steht, nehme ich Schleifen Kämmchen Haarspangen Haarklammern Haarnadeln Gummiringe und lege sie dazu; dann stelle ich mich hinter Ama und gehe ans Werk. Als erstes entferne ich die u-förmigen Haarnadeln aus ihrer Nackenrolle, löse eine Art borstigen Lockenwickler heraus und lege ihn in die Blechdose. Ich fasse diesen Rollenfüller mit Widerwillen an, denn er enthält Verunreinigungen, deren nähere Beschreibung ich mir und Ihnen, liebe Leser, hier nicht antue. Als nächstes nehme ich die normale Bürste zur Hand und beginne vorsichtig Amas schwarzes schulterlanges Haar zu bürsten, und Ama beginnt zu gurren und zu schnurren, um mir zu signalisieren, welches Behagen ihr diese Berührung bereitet. Vielleicht, denke ich heute, waren es die einzigen Streicheleinheiten, die sie erhielt, denn wer streichelt schon eine alte Frau. Was sage ich da: alte Frau? Sie war damals jünger als ich es jetzt bin, kaum sechzig. Und selbstverständlich bin ich keine alte Frau; schon erstaunlich, dieser Unterschied, meinen Sie nicht?
Wenn ich finde, dass ich Ama lange genug gebürstet habe, tausche ich die Bürste gegen den Kamm. Mit dem ziehe ich ihr einen Mittelscheitel, teile ihr Haar und flechte zwei dünne Zöpfe oder, wenn es besonders lustig sein soll, vier ganz dünne. Die binde ich an den Enden mit Gummiringen und klammere oder stecke sie