Название | Thorburg |
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Автор произведения | Ute Stefanie Strasser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701180516 |
Einmal reichte sie mir mit ihren knochigen Fingern eine Bensdorp Schokolade, ich nahm sie mit Grausen entgegen und warf sie in den Abort. Eine arme Frau, sagte meine Mutter. Ama hielt sich die Nase zu und zog eine Grimasse, wenn die Kathi erwähnt wurde. Heute frage ich mich: Was hat diese Frau gegessen? Wer hat für sie eingekauft? Gekocht? Gewaschen? Welches Schicksal hat sie in dieses Elend und in diese Verlassenheit gebracht? Ich erinnere mich nicht, dass sie Besuch bekommen hätte. Wie alt war sie eigentlich?
Irgendwann war die Kathi plötzlich verschwunden, ob ins Krankenhaus, ins Altersheim oder schon ins Jenseits, weiß ich nicht. Ihr Zimmer direkt hinter dem Ortgang, von dem aus es durch ein Fenster einsehbar war, wurde ausgeräumt und gründlich renoviert. Ein neuer Boden wurde gelegt, Wände Tür Fenster wurden frisch gestrichen – alles neu! Und Ama zog mit ihrer Küche dorthin. Meine Mutter fand das irgendwie ungustiös und behauptete noch jahrelang, an feuchten Tagen rieche es dort nach Kathi, beziehungsweise nach ihrem … naja, muss ja nicht ausgesprochen werden.
Solange die Kathi dort gewohnt hatte, war ein Vorhang am Fenster gewesen, aber typisch: Ama machte keinen dran, es sei dort dunkel genug. Auf dem Weg zum Abort konnte man deshalb in ihre Küche hineinschauen. Wenn drinnen das Licht brannte – tat es meistens, weil: Stromsparen kennen die ja nicht –, sah man auf einem Stuhl die Lavur mit der eingeweichten Wäsche stehen – vom Einweichen ist noch keine Wäsche sauber geworden. Oder man sah den Großvater beim Geschirrabtrocknen, das kommentiert meine Mutter mit: Also, normal mocht a Mau a sou a Orbeit net, also da Vata dadat souwos nia (ihr Vater täte so etwas nie).
Nachdem Ama mit ihrer Küche zum zweiten Mal umgezogen war, wurde ihre zweite Küche, das ehemalige Roth-Bortwisch-Zimmer, ein Büro, denn meine Großeltern waren beide selbständig und Hausbesitzer. Da gab es stets irgendwelche Schreibarbeiten zu erledigen, zum Beispiel mussten für die Mie-ten, die ihnen jeweils am Monatsersten in bar übergeben wurden, Bestätigungen ausgestellt werden. Ein paar Jahre später zog ich in dieses Zimmer ein – ich sollte in Ruhe lernen können.
So, das Erdgeschoss sind wir durch. Vielleicht noch zu erwähnen ist der über den Ortgang zu erreichende Abort, einer für fast alle im Haus. Davor stehen häufig Dschrawodlerinnen, weshalb einem dort nicht die Inspirationen kommen können, von denen Tanizaki Jun’ichiro und Nabokov schreiben. Was Tanizaki Jun’ichiro schreibt, können Sie bei ihm oder in Feenthal nachlesen; Nabokov schreibt: … von dieser Ecke des Hauses aus (dem Abort) konnte man den Abendstern sehen und die Nachtigallen hören, und an diesem Ort verfasste ich meine unumarmten Schönen gewidmeten jugendlichen Verse. Ehrlich gesagt, mir kamen auf unserem Abort, auch nachts ohne Dschrawodlerinnen vor der Tür, keine Verse in den Sinn. Ich stierte traumverloren vor mich hin oder durch das Fensterchen in die Schwärze, begann zu frieren und rannte ins Bett zurück.
Übrigens, was es doch alles gibt zu dem Thema Abort. Vor einiger Zeit las ich in der Frankfurter Rundschau: Tempo sucht Deutschlands öffentliche Vorzeigetoilette. Bitte fotografieren. Einsendeschluss: 28.2.2013. Aus dem Internet toilettenpapier.tempo.net/Vorzeigetoilette erfahre ich, dass die Tempo-Jury aus den zehn meistgewählten Toiletten drei Sieger auswählen wird. Die erhalten dann eine Auszeichnung in Form einer Plakette, da steht drauf: Stilvollstes stilles Örtchen 2013. Dieser Titel wird – grammatikalisch gesehen fälschlicherweise – dreimal vergeben, und dazu erhalten die Titelträger noch je tausend Rollen des neuen 4-lagigen Tempo Klopapiers.
Dazu möchte ich anmerken: Erstens, unser Thorburg-Abort war öffentlich, nicht nur die Hausbewohner, sondern jeder, der von der Straße in großer oder kleiner Not herbeigeeilt wäre, hätte ihn und hat ihn benutzen dürfen. Zweitens, ich besaß damals schon einen Fotoapparat mit den Einstellungen Sonne und Wolke und nah und fern und hätte unseren Abort fotografieren können, zum Beispiel vom Garten her mit einem ins Bild hineinragenden Zweig. Aber leider: Wieder einmal habe ich von nichts gewusst und bin zur falschen Zeit (damals statt heute) am falschen Ort (Österreich statt Deutschland) gewesen. Dabei hätten wir uns über echtes Klopapier von der Rolle statt der harten Zeitungspapierblätter, die man immer erst lange und vorsichtig weich rubbeln musste, alle gefreut, und auch über eine glänzende Plakette. Die hätten wir außen an die Tür schrauben können, da hätte sie nächtens ein wenig geblinkt, da wäre ich nicht, wie einmal geschehen, tramhapert (verschlafen) gegen den Türstock gerannt und mit blutiger Nase zu mir gekommen. Ach ja, hättenhättenhättewäre !
Wir gehen weiter durch die Thorburg – sollen wir aufi oder obi? Gehen wir obi, die enge gewundene Holzstiege hinunter zu den Kellerräumen. Vom Keller-Vorhaus führt die hintere Haustür nach draußen in den Hof und die Kellertür nach hinten in die drei Gewölberäume ohne elektrisches Licht, mit Fußböden aus gestampfter Erde und eisernen Ringen an den Wänden, deren Zweck wir nicht mehr kennen. In diesen Räumen sind Kohlen und Erdäpfel und unser Regal mit den Vorräten in Gläsern. Rechts und links vom Vorhaus liegt noch einmal jeweils ein Raum mit einem Fenster zum Hof. Im kleineren der beiden Räume wird Holz gelagert; früher war darin Opa Rumplers Schusterwerkstätte. Dort ist er gesessen und hat die Weiße Frau vorbeihuschen sehen, und dann hat er durch das Fenster gesehen, wie sie sich draußen im Hof aufgelöst hat – ihr Fading-away hat er gesehen, ganz deutlich. An der Seitenwand des kleinen Raumes, nach Osten zum Gassl hin, gibt es ein jetzt zugemauertes Riesenfenster. Vielleicht wurden da früher einmal die kaputtenSchuhe hinein- und reparierten Schuhe hinaus- und des Schusters Lohn hinein- und das Wechselgeld hinaus- und die neuesten Neuigkeiten hinein- und hinausgereicht.
Im größeren der beiden Räume hausen Herr und Frau Steiner, ein Ehepaar. Die beiden gehen und kommen über die hintere Haustür und haben ihren eigenen romantischen Abort im Hof. Ich sehe sie selten. Wenn ich sie grüße, geben sie mir keine Antwort, schauen so komisch vor sich hin und durch mich durch. Die zwei sind mir nicht geheuer, ich drücke mich hurtig an ihnen vorbei. Der Mann, schwarzborstig und braunhäutig – a schiacha Louta, sagt meine Mutter – schaut dem Bierführer ähnlich, der Amas Gasthaus im Feenthal beliefert hat, aber er ist ein Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger) und er lacht nie. Seine Frau trägt das glatte aschblonde Haar ganz kurz und hat auf einer Wange ein großes Feuermal. Sie übt den Beruf eines Maurers – ei-ner Maurerin aus. Wüsste man nicht, dass sie des Rauchfangkehrers Frau ist, könnte man sie für einen kleinen Mann ohne Bartwuchs halten – also auch nicht eindeutig Mann. Ein fremdartiges Wesen in Hosen, das ist sie für mich gewesen.
Diese beiden, die ich stets nur in Arbeitskleidung gesehen habe, zogen bald aus. Ihr Name blieb dem von ihnen bewohnten Raum erhalten, der hieß fortan
Steiner-Keller. Meine Großeltern und meine Eltern nutzten ihn zur Lagerung alter Möbel – als ein Mobiliendepot hinter dem Hof, unterscheide davon das Hofmobiliendepot (Wien).
Bevor wir jetzt treppauf zurückgehen, machen wir einen kurzen Abstecher in den Hof hinaus. Wir lümmeln uns aufs Geländer über der Stützmauer, an die sich ein Aprikosenbaum lehnt, und schauen in den sommerlichen Garten hinunter: Blumen, Gartenbeete mit Salat und Gemüse, Beerensträucher, Leinen für die Wäsche, ein Apfelbaum mit Tisch und Bank darunter, eine saftige Wiese – Augenweide. Wir genießen den Ausblick und die frische Luft, denn durchs Haus ziehen nicht immer frische Gerüche.
Wir gehen die Stiege wieder aufi und weiter die gleiche enge gewundene Holzstiege in den ersten Stock. Dort wohnen wir, ich und meine Eltern, und wie wir dort wohnen, habe ich schon erzählt. Uns gegenüber in zwei Räumen, der größere ist wie bei uns abgeteilt, aber bei denen nur mit einem Vorhang, wohnt die Familie Trappl: Vater, Mutter und zwei halbwüchsige Söhne, etwas älter als Hemu & Wene und ganz desinteressiert an mir. Wenn diese Buben miteinander raufen, hören wir’s poltern, und in das Holterdiepolter hinein
schreit die Mutter, droht ihnen Schläge mit dem Pracker (Teppichklopfer) an. Wenn sie tatsächlich hinhaut, erwischt sie keinen, denn vor dem mütterlichen
Schlag springen die beiden behände auseinander, und da Pracka schnalzt ins Leere. Woher ich das weiß? Vielleicht habe ich durch die halboffene Tür gespäht oder durchs Schlüsselloch oder gar durch die Wand – Kinder können so etwas. Der erzieherische Einfluss, den Frau