Название | Karmische Rose |
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Автор произведения | Ulrike Vinmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783937883588 |
Marisa schaute sie betroffen an und nahm ihre Hand. »Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist. Wie lange willst du das noch mitmachen?«
»Als ich ihm sagte, dass er nicht für ein Kind sorgen könne, trat er auf mich zu und packte meinen Arm. Er funkelte mich an und presste zwischen den Zähnen hervor: ›Ich brech dir den Arm.‹ Ich erschauerte, denn so hasserfüllt habe ich ihn noch nie gesehen, und ich hatte große Angst. Dann riss ich mich los und rannte weg. Der einzige Raum in der Wohnung, den man von innen abschließen kann, ist Alejandros Zimmer.«
Sie schluckte, als würde sie nun vollends von der schrecklichen Erinnerung überwältigt. »Ich öffnete die Tür, ging in das Zimmer und schloss die Tür hinter mir ab. Dann brach ich in Tränen aus. Alejandro lag im Bett und schlief. Ich hörte seine gleichmäßigen Atemzüge, während ich weinte, und wusste, dass ich von diesem Mann wegmusste.
In dem Moment sah ich eine Vision von mir selbst in zehn Jahren, wenn ich mit Sergio zusammenbleiben würde. Ich sah mich krank und verbittert und nahm mir vor, dafür zu sorgen, dass das nicht geschehen würde. Ich spürte, dass ich bereit war, alles zu tun, um mir und meinem Sohn dieses Schicksal zu ersparen.«
Marisa nickte und erwiderte mit leiser Stimme: »Ja, das verstehe ich voll und ganz.«
»Ich setzte mich auf Alejandros Bettrand. Dann legte ich mich neben ihn, um zu schlafen. Ich versuchte, leise zu sein, aber das Bett war schmal und er wachte auf. Er sagte: ›Mama, was ist los? Warum weinst du?‹ Ich schluchzte erneut. ›Ich habe Angst vor Papa. Er hat mir wehgetan.‹ Schon als ich mich selbst reden hörte, fühlte ich mich schlecht und schuldbewusst.
Ich fragte mich, ob es richtig war, meinem schlaftrunkenen Sohn das zu sagen. Aber sollte ich ihn etwa belügen? Das fühlte sich noch schlechter an. Wenigstens die Wahrheit wollte ich ihm sagen, auch wenn sie bitter und schwer war. Aber Lügen, das wusste ich ganz genau, würden das Kind nur verwirren.«
»Und dann?«, fragte Marisa gespannt.
»Du wirst es nicht glauben. Mein kleiner Sohn wandte sich mir zu und strich mir über den Arm, so als wäre er der Erwachsene und ich das Kind. ›Schlaf jetzt, Mama, es wird alles gut.‹ Daraufhin fing ich wieder an zu schluchzen. In dem Moment wusste ich, dass ich diesen Zustand nicht länger will.«
Sie atmete tief. »Alejandro soll als Kind aufwachsen dürfen und nicht als Puffer zwischen zwei Elternteilen, die sich bereits so weit voneinander entfernt hatten, dass es keinen Weg zurück mehr gibt.«
In dem Moment kam der Kellner und nahm die Bestellung auf.
Sarah – Mai 2007
Knapp fünf Wochen waren seit dem fürchterlichen Termin bei Gericht vergangen, als Sarah die hellen Stufen des Jugendstilhauses, in dem sich die Kanzlei Hartmann & Gebert befand, hinaufstieg. Sie sah der Besprechung mit ihrer Anwältin mit gemischten Gefühlen entgegen. Auf jeden Fall, so hatte sie entschieden, würde sie in dem heutigen Gespräch Frau Gebert gegenüber ihrer Enttäuschung über deren mangelndes Engagement vor Gericht Ausdruck verleihen. Allerdings wusste sie nicht, wie die Anwältin ihre Kritik aufnehmen würde.
Als sie sich in dem luxuriös eingerichteten Büro gegenübersaßen, gab sich Frau Gebert äußerst freundlich und zuvorkommend, als würde sie ahnen, mit welchen Überlegungen Sarah schwanger ging. Plötzlich sprach sie nur noch von ›Wir‹ statt wie bislang von ›Ich‹ und ›Sie‹ und verbreitete einen seltsam anmutenden Optimismus, der so gar nicht zu ihrer bisherigen Arroganz und Skepsis passte. Sie machte Sarah große Hoffnungen auf den zweiten Gerichtstermin, der im November stattfinden sollte und bei dem weitere Zeugen des Geldinstitutes gehört werden würden.
Als Sarah den Auftritt der Anwältin vor Gericht kommentierte und ihrer Unzufriedenheit Ausdruck gab, veränderte sich deren Gesichtsausdruck. Sarah konnte sehen, wie es in ihr arbeitete und wie sie hin- und hergerissen war zwischen einer scharfen Erwiderung und der Angst, den Fall zu verlieren und ihrem Chef womöglich Rede und Antwort über die Gründe hierfür stehen zu müssen. Schließlich siegte aber doch wieder ihre Arroganz. »Frau Breuner, ich habe mein Möglichstes getan. Aber es ist eben einfach nicht gut gelaufen. Es wäre besser gewesen, wenn Sie sich an einige Sachen nicht mehr genau erinnert hätten.«
Sarah war irritiert. Nach einer kurzen Pause erwiderte sie: »Wie bitte? Sie haben mir doch vor dem Prozesstermin gesagt, ich solle die Geschichte einfach wahrheitsgemäß erzählen. Ich dachte, es wäre wichtig, die Erinnerungen so präzise wie möglich zu reproduzieren.«
Sie hielt einen Moment inne. »Frau Gebert, ich muss Ihnen sagen, dass ich mich nicht gut von Ihnen vorbereitet gefühlt habe.«
Die Anwältin ignorierte Sarahs Vorwurf und setzte stattdessen zum Gegenangriff an. »Ich weiß nicht genau warum, aber für den gegnerischen Anwalt scheinen Sie eine Reizperson zu sein.«
»Eine Reizperson? Was wollen Sie mir damit sagen?« Und dann setzte Sarah hinzu: »Selbst wenn es so sein sollte, wäre das kein Grund, mir dies entgegenzuhalten. Es ist Ihre Aufgabe, mich vor den Angriffen des cholerischen Anwalts zu beschützen.«
Sie fühlte Zorn in sich aufsteigen und dachte: »Wofür bezahle ich diese Frau eigentlich?« Laut sagte sie: »Frau Gebert, auf welcher Seite stehen Sie eigentlich? Ich kann nicht spüren, dass Sie hinter mir stehen. So können wir nicht weiterarbeiten. Wenn Sie von der Sache nicht überzeugt sind, sagen Sie es mir bitte jetzt. Dann werde ich mir einen anderen Anwalt suchen.«
Der Hieb hatte gesessen. Die Gesichtsfarbe der Anwältin nahm eine andere Tönung an und sie lenkte ein. »Nein, nein, Frau Breuner, davon kann doch gar keine Rede sein. Selbstverständlich stehe ich voll und ganz hinter der Sache.« Sarah bemerkte, dass die Frau hin- und hersprang und hätte gerne gewusst, was sie wirklich dachte. Wahrscheinlich wusste sie es selbst nicht genau.
Nachdem dieser Teil des Gesprächs erledigt war, besprachen sie die Strategie für den November-Termin. Frau Gebert war der Meinung, dass die Zeugen der Bank sich in Widersprüche verwickeln würden, da sie logen. Sarah war derselben Meinung. Als sie nach knapp einer Stunde das Büro der Anwältin verließ, hatte sie wieder Hoffnung auf ein gerechtes Urteil.
Sarah – Mai 1974
Wie so oft hatte es heftigen Streit zwischen Liselotte und Heiner gegeben. Lilo hatte getrunken und sicher auch schon ein paar Beruhigungspillen geschluckt. Sarah saß am Küchentisch und sollte essen. Sie hatte zwar Hunger, aber die angespannte Stimmung in der Küche nahm ihr den Appetit. Jeder Bissen, den sie in ihren Magen brachte, fühlte sich an wie ein Stein. Schließlich schob sie ihren Teller weg. Dann wollte sie aufstehen und in ihr Zimmer gehen, aber Liselotte hielt sie fest. Sie schrie: »Du gehst jetzt nicht, du hörst mir jetzt zu!«
Sie versuchte, sich loszureißen, aber ihre Adoptivmutter war stärker als sie. Auf dem Herd stand ein Kessel, in dem das Wasser gerade eben zum Kochen kam. Als Sarah nicht nachgab, nahm ihre Mutter mit einem irren Blick den Kessel vom Herd und brüllte: »Dir werde ich's zeigen«, und schüttete dabei das heiße Wasser über Sarahs Arm.
Das Mädchen schrie vor Schmerz und begann zu weinen. Heiner erwachte aus seinem gelähmten Zustand und packte seine Frau am Arm. Schwer atmend nahm er ihr den Kessel aus der Hand. Liselotte riss sich von ihm los und rannte schreiend aus der Küche. »Ich verlasse euch sowieso. Das Leben hier mit euch gefällt mir nicht. Ich gehe nach Südamerika.«
Dann war sie verschwunden und ließ ihr schluchzendes Kind und ihren geschockten Mann in der Küche zurück. Gott sei Dank trug Sarah an diesem Tag einen langärmeligen Pullover und darunter ein ebenfalls langärmeliges Unterhemd. Aber ihre rechte Hand und das Handgelenk waren rot und schmerzten sehr.
Heiner nahm sie in den Arm. Er versuchte, sie zu trösten. »Es ist doch nicht so schlimm.« Die Worte erreichten Sarah nicht, denn