Название | Karmische Rose |
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Автор произведения | Ulrike Vinmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783937883588 |
Helmut nickte nachdenklich.
»Wenn sie schlug, war sie völlig außer sich. Sie benutzte irgendwelche Küchengegenstände und ich war nur damit beschäftigt, meinen Kopf zu schützen, um Verletzungen zu verhindern. Nach den Anfällen ging sie türeschlagend in den Keller, in dem sie sich dann erst einmal eine Weile aufhielt, um sich wieder zu beruhigen. Dort gab es ein ganzes Arsenal von Süßigkeiten, Alkohol und Tabletten, die sie reichlich konsumierte. Wenn sie sich da unten aufhielt, war es ratsam, sie auf keinen Fall zu stören, denn sonst konnte ein weiterer Wutanfall die Folge sein.«
»Und hat denn niemand von den Nachbarn jemals etwas bemerkt? Oder von deinen Verwandten? Haben die alle weggeschaut?«
Sarah nickte traurig. »Ja, ich glaube, niemand wollte es wahrhaben.« Sie schluckte und fuhr fort: »Ich hätte es ja auch niemandem erzählt. Es war zu schlimm. Ich bemühte mich in solchen Situationen, mich alleine in meinem Zimmer zu beschäftigen und den Gefühlsaufruhr in meinem Inneren irgendwie selbst wieder zur Ruhe zu bringen. Ich bastelte, malte, häkelte oder spielte mit meinen Puppen. Es herrschte dann eine unheimliche Ruhe im Haus, eine Grabesstille, die mir Angst machte. Es gab jedoch niemanden, dem ich meine Angst hätte mitteilen können. Manchmal erzählte ich meinen Puppen davon oder betete, dann fühlte ich mich getröstet.«
Helmut nahm sie in den Arm und sagte mit fester Stimme: »Mein Gott, wie verlassen du warst! Du musstest mit deinen Ängsten ganz alleine zurechtkommen. Ich bin so froh, dass du mir jetzt all das erzählen kannst und dass ich für dich da sein kann.«
Sarah schmiegte sich an ihn und fühlte sich vollkommen geborgen.
Loredana – August 1990-Mai 1991
Es war heiß im Auto. Als Loredana das Schild mit der Aufschrift ›Zaragoza‹ sah, wusste sie, dass sie ungefähr die Hälfte der Strecke geschafft hatten. Sie und Sergio waren unterwegs von Madrid an die Costa Brava. Sie wollten die Sommerferien im Haus seiner Eltern in Pals verbringen. Alejandro war von María schon vor einer Woche abgeholt worden.
Sie kamen auf der Landstraße gut voran. Loredana freute sich einerseits auf den Urlaub, andererseits bedrückte sie die Lebenssituation ihrer kleinen Familie. Immer wieder gab es Streit zwischen ihr und Sergio und dauernd überlegte sie, wo der Ausweg war. Alle Möglichkeiten, die ihr in den Kopf stiegen, fühlten sich nach kurzem Überlegen wie Sackgassen an.
So war ihr klar, dass sie, sollte sie sich entscheiden, sich von Sergio zu trennen, in Madrid als alleinerziehende Mutter mit einem zehnstündigen Arbeitstag in der Kanzlei Enrique Martín auf Dauer keine Überlebenschancen haben würde.
Die Möglichkeit, mit Alejandro zu ihren Eltern zu ziehen, schied ebenfalls aus. Ihr Vater war bereits gestorben und mit ihrer Stiefmutter verband sie fast nichts mehr.
Immer wieder überlegte sie, ob es sinnvoll wäre, von Madrid nach Pals umzuziehen. Sergio bekniete sie ohnehin schon seit Jahren mit dieser Idee. Er wollte gerne in der Nähe seiner Familie sein und er sagte ihr immer wieder, wie viel Hilfe sie dort mit Alejandro haben würden. Sie hatte sich bislang geweigert, weil sie Angst hatte, von Sergios Familie vereinnahmt zu werden.
Nach sechs Ehejahren, von denen die letzten drei zermürbend gewesen waren, wollte sie jedoch einfach nur, dass etwas weiterging, dass sich etwas an der festgefahrenen Situation, in der sie mit ihm in Madrid lebte, veränderte, denn so wie bisher konnte es einfach nicht mehr weitergehen.
Er hatte sich in der letzten Zeit sogar bemüht, abends weniger oft auszugehen und mehr zu Hause zu sein, aber es nutzte der Ehe nichts mehr. Sie hatte das Gefühl, dass einfach schon zu viel Porzellan zerschlagen worden war, und bezweifelte, dass es noch einmal ein Zurück geben würde. Sie dachte: »Vielleicht wäre es gut, nach Pals zu ziehen, um einfach Bewegung in diese Starre zu bringen.«
Als sie Sergio nach ein paar Wochen ihre Überlegungen mitteilte, war er sofort einverstanden. Noch vor Weihnachten entschieden sie, im kommenden Frühjahr nach Pals umzuziehen. Loredana sah der großen Veränderung in ihrem Leben mit gemischten Gefühlen entgegen, aber die Erleichterung darüber, aus der festgefahrenen Situation in Madrid auszubrechen, überwog ihre Ängste.
Ein paar Wochen vor dem geplanten Umzugstermin überraschte Sergio sie mit der Nachricht, dass ihn seine Firma für ein halbes Jahr nach München versetzt hätte. Sie fiel aus allen Wolken. Er versuchte sie auf seine gewohnte Art zu ›beruhigen‹. »No pasa nada, bonita – ist doch nichts dabei, Liebes«, sagte er zu ihr. Wütend entgegnete sie: »Doch, Sergio, und zwar allerhand. Nämlich, dass ich wieder mit allem alleine bin, mit dem Umzug, mit dem Kauf der Wohnung, die wir uns in Pals angeschaut haben, von der Eingewöhnung in die neue Umgebung, dem neuen Arbeitsplatz und der Anpassung an deine Familie einmal abgesehen.«
Sergio ging – wie meistens – nicht auf sie ein. Er wiegelte weiter ab, bis Loredana das Gespräch beendete. »Für ihn ist es wieder super – er ist weit weg in München, während ich in Pals wahrscheinlich an mehreren Fronten Schwerstarbeit leisten muss«, dachte sie.
Selbst sein Vorschlag, an dem Abend schön essen zu gehen, stieß bei Loredana auf keinerlei Gegenliebe. »Du kannst ja gehen. Ich esse lieber zu Hause.« Woraufhin er sich herabließ, im Supermarkt einkaufen zu gehen und ein Abendessen zu kochen. Dieses verlief schweigsam, wie immer, wenn sie sich nicht stritten oder über Nichtigkeiten unterhielten, denn auf beides hatte Loredana an diesem Abend keine Lust. Ihr Kopf war voll von Gedanken über alles, was in der neuen Lebenssituation auf sie zukommen würde, und sie konnte und wollte diese Gedanken nicht mehr mit Sergio teilen. Wozu auch? Er war ja sowieso nicht da.
Eine Frage schoss ihr allerdings noch durch den Kopf und diese stellte sie ihm auch: »Mein Lieber, von wem ist die Idee mit der Versetzung eigentlich ausgegangen?«
Er schaute sie überrascht an. »Na, von meinem Chef natürlich.«
»Und hast du ihm nicht erzählt, wie deine familiäre Situation ist? Dass wir gerade dabei sind umzuziehen und dass ich dann in Barcelona völlig auf mich gestellt bin?«
Sergio schwieg betreten. Dann sagte er monoton: »Nein, das hätte ja auch sowieso nichts genutzt.«
Vier Wochen später stand der Umzugswagen vor der Tür. Der Abschied von Madrid fiel Loredana nicht schwer. Die einzige Person, die ihr wirklich nahestand, war Marisa, und sie wusste, dass sie den Kontakt mit ihr auch weiterhin halten würde. Enrique Martín verabschiedete sie mit süffisanten Worten – sie hatte nichts anderes von ihm erwartet.
Loredana hoffte von ganzem Herzen, dass es in Barcelona leichter werden würde. Sie hatte eine Stelle gefunden in einer großen Firma, die eine Assessorin für ihre Rechtsabteilung suchte. Die neue Position bedeutete eine berufliche Weiterentwicklung und sie freute sich auf die Herausforderung, die auf sie zukam. Gleichzeitig aber hatte sie auch ein wenig Angst vor dem Firmenwechsel und fragte sich, wie sie wohl mit den neuen Kollegen zurechtkommen würde. Bei ihrem neuen Arbeitgeber handelte es sich um eine Motorenfabrik, in der hauptsächlich Männer arbeiteten. Sie konnte sich ausmalen, dass das Betriebsklima in einem solchen Unternehmen ganz anders sein würde als in einer renommierten Madrider Kanzlei und sie hoffte, dass ihr die Umstellung gut gelingen würde.
Loredana und Sergio hatten eine Wohnung in Pals gekauft, dem kleinen Dorf an der Costa Brava nördlich von Barcelona, in dem Sergios Familie lebte – genau genommen lag die Wohnung direkt gegenüber dem Haus von Loredanas Schwiegermutter. Von dieser war auch der Vorschlag zum Kauf dieser Wohnung gekommen – mit dem Hinweis, dass es dann für sie leichter wäre, auf Alejandro aufzupassen, da keine weiten Wege zurückzulegen wären.
Loredana konnte sich noch gut an