Karmische Rose. Ulrike Vinmann

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Название Karmische Rose
Автор произведения Ulrike Vinmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783937883588



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im Frühjahr 1956 auf einer Party in Düsseldorf kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Vielleicht war es ihr mysteriöses Flair, das sie aufrechterhielt, indem sie nichts über ihre Vergangenheit erzählte. Alexander wusste nur, dass sie zuvor mit einem anderen Mann verlobt gewesen war. Sie erzählte ihm nie genau, aus welchen Gründen die Verlobung gelöst worden war, und ließ nur durchblicken, dass ihre Familie mit der Verbindung nicht einverstanden gewesen war.

      Sie war neunundzwanzig Jahre alt und eine gewisse Torschlusspanik mochte auch dazu beigetragen haben, dass sie die Verbindung mit Alexander einging. Im Oktober 1960 heirateten sie.

      Als im März 1961, auf dem Höhepunkt seines geschäftlichen Erfolges, bei seinem Vater Kehlkopfkrebs diagnostiziert wurde, geriet das familiäre Gefüge komplett durcheinander. Wilhelm war das Herz der Familie, ein Mann, in dem sich Intelligenz, Geschäftstüchtigkeit, Warmherzigkeit, Fleiß, Humor und Beliebtheit auf eine einzigartige Weise mischten. Seine Krankheit war glücklicherweise kurz. Helene brach nach seinem Tod im August 1961 völlig zusammen und es war klar, dass sie das Geschäft nicht alleine würde weiterführen können.

      Alexanders junge Frau war gerade schwanger geworden. Sie hatte ihrem Schwiegervater noch mitteilen können, dass sie ein Kind erwartete, und er hatte sich sehr gefreut. Am nächsten Tag war er gestorben. Alexander und Andreas waren untröstlich und bei der sensiblen jungen Frau kamen alte Existenzängste wieder hoch. Da sie schwanger war, konnte sie keine Beruhigungsmittel nehmen, was ihren Zustand noch verschlimmerte.

      Kurz darauf, im dritten Monat der Schwangerschaft, gab es einen schlimmen Streit zwischen ihr und Alexander, der ihr vorwarf, dass sie hysterisch sei und ihm nicht die Unterstützung gebe, die er von ihr brauche. In jenem Moment brannten bei ihr die Sicherungen durch. Sie bekam einen Panikanfall und musste von einem Arzt behandelt werden.

      Als ihr Mann im Geschäft war, packte sie einen kleinen Koffer und verließ das Haus. Sie hinterließ keinen Abschiedsbrief, einfach nichts. Als Alexander ihr Verschwinden bemerkte, redete er sich zunächst ein, sie würde sicher nach ein paar Tagen wieder nach Hause kommen. Aber es war nicht so. Nach einer Woche meldete er sie als vermisst.

      Er schöpfte in den nachfolgenden Wochen und Monaten alle Möglichkeiten aus, etwas über sie in Erfahrung zu bringen, ohne Erfolg. Auch seine Versuche, über den Verbleib seines Kindes Auskunft zu bekommen, führten ins Nichts. Er schaltete sogar einen Privatdetektiv ein, dessen Recherchen ebenfalls ohne Ergebnis blieben.

      Schwankend zwischen Verzweiflung, Wut, Selbstvorwürfen und Resignation begann er an zu trinken. Schließlich fand er sich damit ab, dass er sein Baby wohl nie sehen würde. Es verging jedoch kein Tag, an dem er nicht mit Wehmut, Liebe und Sehnsucht an dieses Kind dachte, von dem er noch nicht einmal wusste, ob es eine Tochter oder ein Sohn war.

      Sarah – April 2007

      Es war stickig in dem nüchternen, neonbeleuchteten Gerichtssaal an diesem sonnigen Apriltag. Sarah hatte soeben Platz genommen und beobachtete die Menschen um sich herum. Da war ihre Anwältin – blond und mondän. Sie war Mitarbeiterin einer renommierten Stuttgarter Rechtsanwaltskanzlei. Als Sarah sie in diesem Moment sah, mit Sonnenbrille, Kostüm und einer Attitüde, die besser in ein Luxusrestaurant als in einen Gerichtssaal hineingepasst hätte, fragte sie sich, ob sie nicht doch besser einen anderen Anwalt gewählt hätte. Aber in Stuttgart war die Kanzlei Hartmann & Gebert die beste Adresse für Prozesse gegen Geldinstitute und außerdem wäre ein Wechsel zum jetzigen Zeitpunkt schwierig gewesen, zumal sie dann zu einer Kanzlei nach München hätte wechseln müssen, was mit noch mehr Aufwand verbunden gewesen wäre.

      Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Frauen hatte sich schon seit dem ersten Treffen im Oktober 2005 schwierig gestaltet. Sarah hatte immer das Gefühl, dass die Anwältin sie nicht wirklich verstand. Wenn sie versuchte, Frau Gebert die Motive darzulegen, aus denen heraus sie ihre Bank verklagt hatte, konnte sie sich nie ganz des Eindrucks erwehren, dass diese ihre Absichten nicht ganz begriff. Es war, als ob sie sich auf einer anderen Wellenlänge befand.

      Die Anwältin hatte zwar keine gute Meinung von dem Geldinstitut, gegen das Sarah klagen wollte, aber sie war von Anfang an distanziert ihr gegenüber und sie zweifelte am Erfolg eines etwaigen Vorgehens gegen die Bank. »Vielleicht hätte ich nach diesem ersten Gespräch einen anderen Anwalt kontaktieren sollen«, dachte Sarah, als sie sich jetzt in dem grell beleuchteten Gerichtssaal wiederfand. Aber sie hatte entschieden, es mit dieser Anwältin zu versuchen.

      Nun saß sie an diesem frühlingshaften Montag hier, atmete die muffige Atmosphäre ein und merkte, wie ihre eigentlich optimistische Grundstimmung ins Wanken zu geraten drohte. Der Richter, der vor ihr saß, war ein junger, gutaussehender Mann, der sich nonchalant gab. Sarah fragte sich, ob er genügend Erfahrung besaß, um ihre Geschichte richtig beurteilen und ein gerechtes Urteil fällen zu können.

      Gerade betrat der Anwalt der Bank, begleitet von deren Assessorin, den Gerichtssaal. Er hatte ein rotes Gesicht und war übergewichtig – er sah aus wie jemand, der zu viel aß und trank und sich damit einen Ausgleich zu seinem Beruf schuf. Er bedachte Sarah mit einem Blick, als hätte sie ihn tätlich angegriffen. Es war ihr sofort klar, dass dieser Mann alles versuchen würde, um die Bank aus dem Schlamassel herauszuholen und Sarah und ihre Geschichte zu diskreditieren. Die Assessorin machte einen eher schuldbewussten Eindruck und versuchte, dies hinter einem möglichst neutralen Gesichtsausdruck zu verbergen. Außerdem waren noch Sarahs Ehemann und ihre beste Freundin im Saal.

      Die Verhandlung begann. Der junge Richter räusperte sich. Er blickte Sarah mit einer Mischung aus Neugier und kaum spürbarer Missbilligung an. »Dann fangen Sie mal an zu erzählen, Frau Breuner. Und bitte, möglichst lückenlos.«

      Sie holte tief Luft. Zwei Tage vorher hatte sie die letzte Besprechung mit Frau Gebert gehabt, die ihr erzählt hatte, der gegnerische Anwalt sei ein ›netter Mensch‹ und vor Gericht gehe es ›gesittet‹ und ›normal‹ zu. Nun, als sie die extrem angespannte und feindselige Atmosphäre im Raum spürte, fragte sie sich, ob die Anwältin ihr die Wahrheit gesagt hatte. Sie hatte Frau Gebert gefragt, ob sie noch etwas tun könne, um sich gut vorzubereiten, aber diese hatte lässig abgewinkt. Sarah solle einfach die Wahrheit erzählen.

      So begann sie: »Im Mai 2004 beauftragte ich einen Privatdetektiv, nach meinen leiblichen Eltern zu forschen, nachdem ich einige Gespräche mit dem Jugendamt in Stuttgart und Berlin geführt hatte, in deren Verlauf mir mitgeteilt wurde, dass mir leider keine Auskünfte erteilt werden könnten.«

      Sie hielt kurz inne und ließ die unangenehmen Gespräche Revue passieren, bei denen sie wie eine lästige Fliege abgewimmelt worden war mit den lapidaren Worten: »Mit Ihren Adoptiveltern wurde vereinbart, dass keinerlei Auskünfte über Ihre leibliche Familie erteilt werden dürfen.«

      Weder Tränen noch Wut noch die Intervention ihres damaligen Anwaltes hatte etwas genutzt. Schließlich hatte sie in ihrer Verzweiflung einen Privatdetektiv beauftragt, der angeblich auf solche Fälle spezialisiert war.

      Sie räusperte sich und fuhr fort: »Der Detektiv fing an, für mich zu arbeiten. Ich musste recht hohe Vorschüsse an ihn bezahlen. Nach einiger Zeit teilte er mir mit, dass er fündig geworden sei. Meine leibliche Mutter lebe wahrscheinlich in Argentinien. Wir vereinbarten, dass er in das Land reisen würde, um weitere Nachforschungen anzustellen.«

      »Es wurden weitere Gebühren fällig, die ich alle von meinem Konto überwies. Eines Tages sah ich auf meinem Kontoauszug, dass ein Betrag von 45.000 € per Lastschrift von einem mir unbekannten Anwalt aus Argentinien eingezogen worden war, ohne dass ich eine Autorisierung dazu gegeben hätte. Ich ging sofort zu meiner Bank, um die Rückbuchung des Betrags zu veranlassen, aber ein paar Tage später teilte man mir lapidar mit, das sei leider nicht möglich.«

      Sie schluckte trocken und merkte, wie die Gefühle von damals wieder in ihr hochstiegen – Ungläubigkeit, Entsetzen, Wut und Hilflosigkeit.

      »Von dem Privatdetektiv habe ich nie wieder etwas gehört«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu.

      Der Richter schaute sie zweifelnd an und fragte: »Frau Breuner, an welchem Tag hatten Sie denn das Gespräch in Ihrer Bank, um das Geld