Название | Karmische Rose |
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Автор произведения | Ulrike Vinmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783937883588 |
Sie fühlte sich verunsichert, denn sie war davon ausgegangen, dass die Geschichte als solche und nicht die genauen Termine und Uhrzeiten wichtig seien. Jedenfalls hatte ihre Anwältin ihr das so vermittelt. Wenn sie gewusst hätte, dass die Zeiten so wichtig waren, hätte sie sich eine Liste erstellt. »Vielleicht wäre das aber auch die Aufgabe von Frau Gebert gewesen«, dachte sie in diesem Moment.
Sie fuhr fort: »Ich hatte, nachdem der Detektiv in Buenos Aires angekommen war, telefonisch und per E-Mail mit ihm korrespondiert und die Gebühren überwiesen, die er von mir verlangt hatte. Zu dem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass er vertrauenswürdig war.«
Dann machte sie eine kurze Pause, die der gegnerische Anwalt wiederum nutzte. »Wie konnten Sie nur so naiv sein«, stieß er in aggressivem Ton hervor.
Sarah fühlte sich in ihrer Glaubwürdigkeit angegriffen und blickte hilfesuchend zu ihrer Anwältin. Diese verfolgte das Ganze mit neutralem Gesichtsausdruck. Sarah fragte sich, warum sie nicht eingriff, denn sie fühlte sich zusehends unter Druck.
Der Höhepunkt der Befragung war erreicht, als der Richter wissen wollte, mit welchem Mitarbeiter der Bank sie das erste Gespräch über die Rückbuchung geführt hatte. »Mit meinem Kundenberater, Herrn Manfred Müller.« Der gegnerische Anwalt brüllte los: »Ich habe hier eine Erklärung von Herrn Müller, dass er zum fraglichen Zeitpunkt in Urlaub war. Ich werde Sie wegen Prozessbetrugs verklagen!«
Sarah war schockiert. Die Gespräche mit der Bank waren zwei Jahre her und sie hatte mit mehreren Mitarbeitern des Geldinstituts über die Rückbuchung gesprochen, nicht nur mit einem, war sich aber relativ sicher, dass sie das erste Gespräch mit Herrn Müller geführt hatte.
Sie fühlte sich immer unwohler und fragte sich, was in diesem Gerichtssaal für ein Spiel gespielt wurde. Immer noch griff ihre Anwältin nicht ein. Sarah spürte das Mitgefühl ihrer Freundin, die ihr schräg gegenüber saß, aber auch deren Verunsicherung, und gleichzeitig die Bestürzung ihres Ehemannes, der hinter ihr saß.
Nach zwei Stunden war die Befragung abgeschlossen und der Richter schickte Sarah nach draußen. Er würde als Nächstes den Hauptzeugen der Bank, Sarahs Kundenberater Manfred Müller, befragen. Als sie sich ermattet auf der Holzbank niederließ, fühlte sich ihr Kopf an, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Nach etwa zehn Minuten trat ihre Anwältin aufgebracht auf den Gang. Sie kam mit energischen Schritten auf sie zu und sagte: »Frau Breuner, ich muss Sie darauf hinweisen, dass die gegnerische Seite Sie wegen Prozessbetrugs verklagen kann, falls sich herausstellen sollte, dass das erste Gespräch in der Bank nicht mit Herrn Müller, sondern mit einem anderen Mitarbeiter geführt wurde.«
Sarah verstand weder den feindseligen Ton ihrer Anwältin noch wusste sie, was sie falsch gemacht hatte.
Sie wandte sich an Frau Gebert. »Man kann die Sache doch nicht einfach herumdrehen und die Anklägerin zur Beklagten machen.«
Die Anwältin verzog das Gesicht zu einer missbilligenden Grimasse. »Frau Breuner, Sie müssen sich jetzt sofort entscheiden, ob Sie den Prozess weiterführen oder aufhören wollen. Wenn Sie weitermachen, kann es sein, dass man Sie wegen Prozessbetrugs belangt.«
Sarah straffte sich, atmete durch und erwiderte mit fester Stimme: »Ich werde weitermachen.« Die Anwältin verschwand ohne ein weiteres Wort im Gerichtsaal.
Sarah setzte sich wieder auf die Holzbank. Ihr war schwindelig und sie hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. Ihr Kopf war wie in Watte gehüllt. Sie schloss einen Moment die Augen und wünschte sich, einfach unsichtbar zu sein.
Das Öffnen der Türe zum Gerichtssaal riss sie aus ihren Gedanken. Die Anwältin bat sie in kühlem Ton, in den Gerichtssaal zurückzukehren. Sarah ging zu ihrem Platz. Der Richter verkündete, dass an diesem Tag noch kein Urteil ergehen werde, weil noch weitere Zeugen von der Bank vernommen werden sollten. Der neue Termin wurde auf November 2007 festgelegt. Die Verhandlung war beendet. Sarahs Anwältin verabschiedete sich knapp und ohne weitere Erklärungen oder gar aufbauende Worte für ihre Mandantin.
Als sie mit Helmut und Annelie auf der Straße stand, hielt ihr unwirkliches Gefühl an. Sie fühlte sich wie in einem Traum, aus dem sie gerne aufgewacht wäre, aber das war in diesem Augenblick anscheinend nicht möglich. Helmut musste zur Arbeit. Annelie versuchte, sie zu trösten, war aber selbst so betroffen, dass ihr dies nur begrenzt gelang. Nachdem die beiden Frauen zu Mittag gegessen hatten, brachte Sarah ihre Freundin zum Bahnhof und fuhr dann nach Hause. Sie fühlte sich so erschlagen, dass sie nicht fähig war, auch nur einen Handschlag zu tun.
Den Nachmittag verbrachte sie mit Kopfschmerzen auf dem Sofa. Als sie mit Helmut und ihrer Tochter Leonie beim Abendessen saß, brachte sie kein Wort heraus. Sie ging früh ins Bett, denn am nächsten Tag hatte sie einen vollen Terminkalender und wollte ausgeruht sein.
Sarah hatte seit etlichen Jahren eine gut gehende psychotherapeutische Praxis in Stuttgart. Sie liebte ihre Arbeit und nahm diese sehr ernst. Dazu gehörte für sie auch, dass sie ihren Klienten immer in einem souveränen und ausgeruhten Zustand begegnete. Klarheit, Präzision und Tiefgang machten die Qualität ihrer Arbeit aus und waren die Schlüssel ihres Erfolges.
Als sie am nächsten Tag erwachte, hatten sich die Kopfschmerzen noch verstärkt und sie dachte: »Irgendwie muss ich diesen Tag hinter mich bringen und dann brauche ich einen Termin bei meiner Supervisorin.«
Sie schaffte es, mithilfe von zwei Aspirin und großer Willensanstrengung ihre Aufgaben zu erfüllen. Als der letzte Klient ihre Praxis verlassen hatte, nahm sie ihre Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zur Praxis von Geneviève, bei der sie glücklicherweise noch am gleichen Abend einen Termin bekommen hatte.
Sie schilderte die Erlebnisse vor Gericht, ihre Kopfschmerzen, das Gefühl, von ihrer Anwältin völlig im Stich gelassen zu werden, die Angriffe des gegnerischen Anwaltes und die undefinierbare Haltung des Richters.
Als Geneviève sie fragte, was das Schlimmste an dem Tag gewesen sei, brach Sarah in Tränen aus. »Die Kälte meiner Anwältin zu sehen und zu spüren, war das Allerschlimmste.«
»Und was hast du in dem Moment gedacht?«
»Ich habe mir gewünscht, unsichtbar zu sein.«
»Und an was erinnert dich das?«
Unter Tränen entgegnete Sarah: »An meine Adoptivmutter. Sie war auch so kalt zu mir. Und ich hatte immer Angst, dass sie mich angreifen würde.«
»Wenn das eine solch große Wunde ist, dann wäre es vielleicht gut, wenn wir eine Rückführung in deine Kindheit machen und schauen, wo und unter welchen Umständen diese Wunde entstanden ist. Was hältst du davon?«
Sarah nickte. Minuten später lag sie auf der bequemen Couch. Geneviève leitete sie an: »Atme tief durch, vergegenwärtige dir nochmals die Situation vor Gericht, und dann geh zurück in der Zeit, in deine Kindheit hinein und in die Situation, wo es die gleichen Gefühle gab.«
Schon als die Supervisorin angefangen hatte zu sprechen, war ein Bild aufgetaucht. Sarah sah sich als etwa zehnjähriges Mädchen neben ihrer Adoptivmutter auf einer Bank sitzend. Liselotte weinte und Sarah dachte: »Am besten wäre es, unsichtbar zu sein.«
Und dann war sie auch schon mittendrin in der Geschichte.
Sarah – Mai 1973
Es war ein ungewöhnlich heißer Pfingstsonntag. Sarahs Cousin Stefan war bei ihnen zu Besuch. Er war zwei Jahre jünger als sie. Liselotte, ihre Adoptivmutter, mochte ihn, da er der Sohn ihrer Schwester war und ein bisschen wie ein Ersatzsohn für sie. Sie schenkte ihm viel Aufmerksamkeit.
Heiner, ihr Adoptivvater, mochte ihn nicht, fügte sich aber wie immer den Wünschen seiner Frau. An diesem Tag wollten sie in ein Restaurant zum Spargelessen gehen. Als sie dort ankamen, sahen sie, dass es sehr voll war, und die