Tod auf der Trauminsel. Thomas Bornhauser

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Название Tod auf der Trauminsel
Автор произведения Thomas Bornhauser
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038182788



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Stadt Bordeaux spielte im Zusammenhang mit der Blauen und Roten Mauritius eine wichtige Rolle: «Zwischen 1864 und 1869», hatte ihr Philippe vorgelesen, «hatte Madame Jeanne Borchard 13 Marken entdeckt, die sie mit Sammlern tauschte oder an die Händlerin Marie Desbois aus Bordeaux verkaufte.» Der Ehemann von Borchard war ein Kaufmann mit geschäftlichen Kontakten nach Mauritius. Alle Marken stammten aus dem Briefverkehr mit Kunden auf der Insel. Untrennbar verbunden mit diesen Raritäten war auch der sogenannte Bordeaux-Brief, frankiert mit einer Roten und einer Blauen Mauritius und im Laufe der Zeit mehrfach versteigert, für mehrere Millionen Franken.

      Véronique fuhr nun unbeirrt fort: «… dass vor Jahrzehnten in Bordeaux eine weitere Blaue Mauritius entdeckt wurde, von deren Existenz bis heute niemand weiss.»

      Was in dieser Sekunde geschah, beliebte man beim Boxen als «Technischen K.o.» zu bezeichnen. Monsieur le directeur wurde blass im Gesicht, und hätte er sich nicht an den Armlehnen seines Stuhls festgehalten, er wäre glatt vom Stuhl gekippt.

      «Mon Dieu, soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?»

      «Nein, danke vielmals. Aber das ist doch nicht möglich …»

      «Nehmen wir einmal an, das stimme – was würde das bedeuten?»

      «Es wäre eine Sensation», stammelte der Direktor.

      «Ja, das nehme ich an. Wie aber wäre der Wert dieser Marke einzuschätzen?»

      «Woher sollte diese fünfte Marke aber stammen?»

      «Sagen wir, aus bisher unbekannter Quelle.»

      «Was heisst, dass sie von Fachleuten geprüft werden müsste.»

      «Auch das ist mir klar. Nochmals aber die Frage: Welchen Wert hätte sie?»

      «Unschätzbar.»

      Mit dieser Einschätzung konnte Véronique allerdings herzlich wenig anfangen, sie hatte auch das Gefühl, dass es keinen Sinn hatte, das Gespräch in diesem Rahmen fortzuführen.

      «Monsieur le directeur, ich schlage vor, dass ich mich wieder bei Ihnen melde und ein Bild der Marke mitbringe. Sind Sie damit einverstanden? Ich würde Ihnen bei jener Gelegenheit etwas mehr über die Geschichte erzählen. Sind Sie einverstanden?»

      «Oui, Madame de Senarclens, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.»

      Nach diesen Worten verabschiedete der Direktor die geheimnisvolle Frau und begleitete sie zum Ausgang.

      «Herr Direktor, geht es Ihnen nicht gut? Sie sind so blass, haben Sie einen Geist gesehen?», wollte die Mitarbeitende von ihrem Chef wissen, der Madame de Senarclens nachschaute, wie sie in der Menschenmenge verschwand.

      Jaidev hatte Véronique zwei gute Tipps gegeben: Sie hatte wirklich in einem Restaurant an der Waterfront sehr gut – und preiswert – gegessen, vor allem aber lohnte sich der Besuch auf dem Bazaar, wo sie, als gross gewachsene Europäerin mit hellbraunen Haaren, im Bereich der Kleider und Accessoires nonstop angegangen wurde, ganz unter der Motto «Madame, schauen! Heute billig, morgen teuer!» Den Fleischmarkt, den hätte sie sich hingegen lieber erspart: In der Halle wurden zum Beispiel bei brütender Hitze Innereien feilgeboten, unmittelbar daneben standen die dreckigen Mopeds der Fleischhauer. «Das wäre jetzt aber etwas für unsere Schweizer Lebensmittelinspektoren und Kantonschemiker, die ständig das ohnehin nicht vorhandene Haar in der Suppe suchen, hier wirklich eine Nase voll zu nehmen», dachte sie. Und auf einmal waren ihre Gedanken wieder beim Angebot von Jonathan B. Crooks. Annehmen, mit der Aussicht auf einen Posten im Aufsichtsrat in Palo Alto? Ablehnen, und dafür die Übersicht über die beschauliche Schweiz behalten? Nein, sie war sich überhaupt nicht im Klaren darüber, in welche Richtung ihr Entscheid gehen würde. «Kommt Zeit, kommt Rat, ich habe ja noch zehn Tage Zeit.»

      Véronique von Greifenbach war bereits eine halbe Stunde vor der abgemachten Zeit vor der Pferderennbahn – obwohl sie zwischendurch noch die Aussicht von der Zitadelle genossen hatte –, der Wagen samt Chauffeur ebenso.

      «Sind Sie mit Ihrem Aufenthalt in Port Louis zufrieden, Madame?»

      «Ja, danke, Jaidev, es war wirklich sehr interessant, auch der Besuch im Blue Penny Museum.»

      «Das freut mich sehr. Wir fahren zurück zum Hotel, quer durch die Insel. Ich fürchte aber, Sie haben diese Landschaft bereits gesehen», sagte Jaidev zu Véronique und beide lachten vergnügt.

      Gegen 17 Uhr fuhr der Wagen im Hotel Crystals Beach vor, nachdem er die Sicherheitskontrollen beim Hotel passiert hatte. Es war bereits dunkel, dennoch beschloss Véronique, noch einen Strandspaziergang zu unternehmen, wenn auch nur einen kurzen. Mit dem gleichen Badekleid wie gestern lief sie an den Sicherheitsbeamten beim hoteleigenen Strand und am Hotel Amber vorbei, in Gedanken bereits bei ihm. «Und das in meinem Alter, verrückt, absolut verrückt», dachte sie, «aber eben einmalig schön, ich bin ihm ganz schön verfallen. Vielleicht sogar hörig, aber das ist mir wirklich egal.»

      «Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Tag», begrüsste Michael Hacker Véronique an der Bar, einige Minuten vor dem Abendessen.

      «Ja, danke für die Vermittlung des Fahrers, er hat seine Arbeit sehr gut gemacht.»

      «Waren Sie auch im Blue Penny Museum?» Die Frage irritierte Véronique von Greifenbach, aber vermutlich hatte sie keinen tieferen Sinn.

      «Ja, eindrücklich, die beiden Marken.»

      «Wann waren Sie dort?»

      «Herr Hacker, ich habe meine Hausaufgaben gemacht, genau zur halben Stunde, ich habe die Originale gesehen.»

      «Ich bin beeindruckt. Und nun wünsche ich Ihnen ‹en Guete› zum Znacht.»

      Zehn Stunden später, Mittwoch, 1. Juli. Obwohl sie mitten in der Nacht aufgewacht war, weil ihr Puls wieder verrückt spielte, hatte Véronique von Greifenbach erstaunlich gut geschlafen, Aufregung und Vorfreude auf den erwarteten Besuch hin oder her. Sie warf einen Blick auf ihr Handy: «Eine neue Nachricht.» Und tatsächlich: Er hatte unmittelbar vor dem Abflug in Paris geschrieben und mitgeteilt, dass die Air France vermutlich eine halbe Stunde früher auf Mauritius landen werde. Und das bedeutete: um 5.30 Uhr. Mit anderen Worten: Er konnte bereits hier sein, denn ihre Uhr zeigte 7.03 Uhr. «liebster, schreib sofort, wenn du im hotel bist, ich warte am strand. kann es kaum erwarten!» Fünf Minuten später bereits kam die Antwort, «bin da, wo bist du?» – «ich koooomme, in 15 minuten am strand vom ambre.»

      Noch selten – wenn überhaupt – hatte sich Véronique innert weniger Minuten von einer Schlafmütze in eine Strandschönheit verwandelt. Sie war bereits zehn Meter von ihrem Zimmer entfernt, als sie die Türe ins Schloss fallen hörte. In ihrer Eile übersah sie die beiden Sicherheitsbeamten am Strand, die ihr ein «Good morning M’dam» nachriefen. Nach wenigen Minuten sah sie ihn. Er sass am Strand, liess den feinen Sand durch seine Hände rieseln. Ungeachtet dessen, was «die Welt» über sie denken mochte, stürzte sie sich auf ihn, küsste ihn, bevor er überhaupt etwas sagen konnte. Erst nach dem zweiten Räuspern eines Sicherheitsbeamten am Strand des Ambre schaute sie auf. «I’m sorry!», schrie sie geradezu, und lachte. Und endlich kam auch er dazu, Luft zu holen und einige Worte zu sagen.

      «Véronique, Véronique … Willst du uns wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses hinter Schloss und Riegel bringen?»

      «Liebster, ‹Erregung› ist schon mal ein sehr treffender Ausdruck und zu zweit mit dir in einer Zelle – sofort! Wollen wir den Beamten fragen, ob eine frei ist?» «Provozieren wir mal nichts. Komm, die Sonne geht gleich auf.»

      Eine halbe Stunde spazierten die beiden Verliebten den Strand entlang, um schliesslich einen Weg ins Städtchen Belle Mare zu nehmen. Sie liefen weiter, zum Dorfausgang, wo rechterhand in nicht allzu weiter Ferne ein alter Bau zu sehen war. Zehn Minuten später standen sie inmitten einer Ruine, einer ehemaligen Zuckerfabrik, 1820 erbaut, 1920 geschlossen. Es war aber nicht eine wirkliche Ruine, man hatte sie gut erhalten und mit Bäumen, Gebüschen, Rasen und farbenprächtigen Pflanzen verschönert. Die Stimmung im morgendlichen Sonnenlicht war eigenartig und knisternd zugleich.

      «Was