VirOS 4.1. Alexander Drews

Читать онлайн.
Название VirOS 4.1
Автор произведения Alexander Drews
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770967



Скачать книгу

      Lisa kam zurück, enterte den Sessel und schaute gebannt auf den Schirm, wo sich gerade das NDR-Logo aufbaute.

      »Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es heute im Kindergarten war.«

      »Ganz gut«. Lisa nahm den Blick nicht vorm Fernseher und tat so, als ob sie Dinge wie die Krise in Griechenland oder Serbien oder überhaupt irgendwelche Krisen interessierten. »Das ist deutsch«, stellte sie schließlich fest.

      »Soll ich umschalten?«

      Lisa nickte. »Ich will Mamasprache!«

      Soledad musste grinsen. Das war auch so ein Knackpunkt gewesen. Als sie versucht hatte, Lisa zweisprachig zu erziehen, oh, was hatte es da einen Krawall gegeben. Dann würde sie ja zwei Sprachen halb und keine ganz sprechen. Also hatte sie es um des lieben Friedens willen aufgegeben. Witzigerweise begann sich Lisa, als es ihr verboten worden war, erst recht, für Spanisch zu interessieren, und als sie hierher zogen, war es das erste, eine Satellitenschüssel zu installieren. Eigentlich hatte Soledad sich damit nur ein wenig Heimat nach Deutschland holen wollen, dann aber stellte sich heraus, dass Lisa viel lieber das spanische Fernsehen anschaute als das deutsche.

      Die Nachrichten waren eh nicht interessant. Weiterbau der A26 gefährdet, na und, da fuhr sie sowieso nie lang, und zehn Touristen hatten den gestrigen Nachmittag im Aufzug der Nikolai-Kirche verbringen müssen, weil aus unerklärlichen Gründen die Steuerung des Lifts ausgefallen war. Die Fachleute rätselten noch, wie das passieren konnte, die Touristen waren entsprechen angepisst - eine Frau im wahrsten Sinne des Wortes, denn es hatte im Fahrstuhl ja keine Toilette gegeben - und das Wetter würde so bleiben wie bisher. Kalt. Nass. Windig. Zeit für ein paar sonnige Gedanken. Also schaltete sie um auf Canal Sur, wo gerade ein alter spanischer Spielfilm lief, der Besetzung nach zu urteilen aus den 50er Jahren.

      »Mamasprache kingt viel schöner«, fand Lisa.

      Ja, das fand Soledad auch.

      »Warum wohnen wir nicht da?«

      »Liebes, weil ich dich da nicht mit hinnehmen könnte. Papa will das nicht.«

      Lisa verschränkte die Arme vor der Brust: »Papa ist doof.«

      »He«, Soledad streichelte Lisa am Kinn und drehte dann ihren Kopf zu sich. »Sowas darfst du nicht sagen. Er will nur das beste für dich.«

      »Er will nicht, dass ich rede wie du. Bei ihm muss ich immer deutsch reden. El idiota.«

      »Lisa, wirklich. Papa ist eben ... naja ...«, sie suchte nach dem richtigen Wort und fand aber keines. »Er ist eben anders ... aber er hat dich sehr lieb. Und er ist kein Idiot.«

      »En Español, por favor.«

      Das machte Lisa immer. Gerade wenn es um ihren Vater ging, wollte sie plötzlich nur noch spanisch sprechen. Vermutlich gerade weil er derjenige war, der es ihr verboten hatte.

      »Tu padre no es un idiota. El es ... el es ...«, Soledad schüttelte den Kopf. Selbst in ihrer Muttersprache fiel ihr kein Wort ein, das dazu taugen würde, Leon zu beschreiben. Jedenfalls keines, das sie in Gegenwart seines Kindes aussprechen würde.

      »Un imbécil«, schlug Lisa vor.

      »No, no digas esto.«

      »Un estúpido?«

      »Lisa Mercedes!« Die Nennung ihres Zweitnamens sollte Lisa klarmachen, dass es ernst wurde - das kleine Mädchen befürchtete jedes Mal, es könne sich herumsprechen, dass sie wie eine Automarke hieß. Etwas, woran Soledad bei der Namensfindung überhaupt nicht gedacht hatte, weil ihr der Name aus ihrer Heimat völlig geläufig gewesen war. Und Leon hatte den Namen vermutlich genau deshalb »cool« gefunden.

      Lisa schaute ihre Mutter aufmerksam an.

      »Sag mal, woher kennst du eigentlich diese ganzen Worte?«, fragte Soledad.

      »Von Joaquin.«

      »Ach, der. Klar.«

      Joaquin ging in Lisas Kindergarten, aber Soledad selber kannte ihn nicht. Sie hörte immer nur von Lisa, dass er sich oftmals einen Spaß daraus machte, auf spanisch zu fluchen, was die deutschen Erzieherinnen nicht verstanden. Und natürlich fand Lisa ihn deswegen ganz besonders cool - oder, wie sie sagen würde, muy chulo.

      »Na schön«, beschloss Soledad, das Thema zu beenden. »Zeit für´s Bett.«

      Lisa sprang aus dem Sessel und streckte ihre Arme aus: »Bringst du mich?«

      »Naturlich«.

      »Ü!«

      »Natürlich«. Sie hob Lisa hoch, das kleine Mädchen klammerte sich an ihr fest, und trug sie in das Kinderzimmer, ein kleiner Verschlag mit Dachlukenfenster, aber mehr konnte sie sich vom Tankstellenlohn nicht leisten. Umso mehr rührte es sie, dass Lisa trotz des gigantischen Zimmers im Hause von Leon, das so groß war, dass man darin hätte Fußball spielen können, lieber bei ihr war.

      Sie legte Lisa in ihr Bettchen und deckte sie zu. »Schlaf gut, meine Kleine«, flüsterte sie.

      »Buenas Noches!«

      Soledad streichelte ihr über den Kopf und gab ihr zwei Küsse auf die Wangen, links und rechts.

      »Buenas Noches!«

      Dann ging sie zur Tür, drehte sich dort noch einmal um, winkte zurück und ging zurück ins Wohnzimmer. Die Tür zum Kinderzimmer ließ sie offen.

      Auf dem Bildschirm trällerte Rafael gerade eine Uralt-Schnulze, aber Soledad war es egal. Sie ließ sich einfach in den Sessel fallen, zog mit den Füßen den kleinen Hocker heran und legte ihre Beine darauf. Endlich Feierabend. Und zwar für zwei ganze Tage. Die sie aber auch dringend brauchte. Natürlich war es rechtlich nicht in Ordnung acht Tage durchzuarbeiten, aber wer war sie denn, das zu kritisieren? Und schließlich hatte sie ja nun morgen und übermorgen frei. Da könnte sie zusammen mit Lisa etwas unternehmen. Fragte sich nur, was.

      Ihr Blick ging aus dem Fenster. Dort draußen herrschte bereits absolute Dunkelheit, lediglich die Regentropfen, die an der Scheibe hinunterliefen, waren zu sehen. Wäre es Sommer, hätten sie in den Wildpark gehen und die Hängebauchschweinchen besuchen können. Rosalinde, hatte Lisa eines von ihnen genannt, und obwohl sie alle gleich aussahen, hatte sich die Kleine nicht davon abbringen lassen zu behaupten, sie würde Rosalinde immer und überall wiedererkennen. Aber jetzt im Winter würden das keinen Spaß machen. Oder eine Fahrt auf der Elbe? Mit den HVV-Fähren? Das wäre bei Regen vielleicht ganz spaßig und auch nicht teuer, weil die Fähren den S- und U-Bahnen gleichgestellt waren.

      Etwas besichtigen? Eventuell, solange es nicht die Nikolaikirche war. Soledad hatte herzlich wenig Lust, im Lift in fünfzig Metern Höhe steckenzubleiben. Oder sie blieben einfach zu Hause, kochten Kakao und backten Plätzchen. War ja eh schon Vorweihnachtszeit, und in der tut man so etwas normalerweise in Deutschland. Genauso, wie ruhig und besinnlich werden und feierliche Weihnachtslieder singen wie Stille Nacht, heilige Nacht ... ihr fielen die Augen zu ... oder dieses andere, Leise rieselt der Schnee ... oder dann gab das da noch dieses ... wie hieß das noch gleich?

      2. Kapitel - Mittwoch, 6. Dezember

      Das Hochgefühl, in dem er sich befand, schwand, als die Wohnungstür geöffnet wurde. Nur mit Pyjama und Bademantel bekleidet, die Gesichtsfarbe ein ungesundes Grau und die Augen rot umrandet, sah Burkhard aus wie ein Zombie in einem SPA. Und überdies benahm er sich auch so, hob matt die Hand - was wohl so etwas Ähnliches wie ein Gruß darstellen sollte - und schlurfte dann mit hängenden Schultern in sein Wohnzimmer zurück. »Komm rein«, murmelte er, ihm den Rücken zugewandt.

      Er schloss die Tür hinter sich und befand, dass er sich seine Euphorie nicht von so einem übernächtigten Computerzombie kaputtmachen lassen sollte.

      »Hast du es schon gehört?«, rief er also Burkhards Rücken zu. »Bernd hat ganze Arbeit geleistet. Die Schwachmaten haben sechs Stunden gebraucht, ehe sie die Leute da rausgeholt hatten.«

      »Hab´s gehört«, keuchte Burkhard und