VirOS 4.1. Alexander Drews

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Название VirOS 4.1
Автор произведения Alexander Drews
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770967



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gewundert, warum Natascha nie über die Kälte hier in Deutschland jammerte. Sie selbst war aufgrund ihrer südspanischen Herkunft nämlich ebenfalls eher an dreißig Grad gewöhnt, und Kälte und Schnee war etwas, das man in Almería mehr vom Hörensagen kannte. Es hatte sie böse überrascht, als Leon ihr nach dem ersten Winter in Deutschland erklärte, dass das eigentlich jedes Jahr so sei, Schnee vielleicht nicht immer so viel wie in jenem Jahr, aber auf jeden Fall Regen, Wind, Kälte, Wolken und keine Sonne. Sonne gar nicht.

      Natascha hatte sich darüber immer amüsiert, schließlich hatte sie Soledad irgendwann mal verraten, dass sie mit ihren dreißig Grad eigentlich Minusgrade meinte - und aus Sibirien stammte. Der Liebe wegen nach Deutschland zu ziehen hatte für Natascha nur insofern etwas Gutes gehabt, als dass es hier nicht ganz so kalt war. Der Rest war Schweigen, das hieß, sie schwieg sich über ihre gescheiterte Beziehung sorgfältig aus.

      Soledad rieb sich die Schultern.

      »Willst du nicht doch rein?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Weißt du, dass ich dich manchmal beneide?«

      Natascha riss ihre braunen Augen auf: »Echt? Wieso denn das?«

      »Na, ich stelle mir manchmal vor, ich hätte so ein Wohnmobil ...«

      »Ist ja cool. Du, ich könnte durchaus eine, äh, Aushilfe gebrauchen, und bei deiner Figur würdest du mit Sicherheit auch anständig was verdienen. Glaub mir ...«

      Soledad verschränkte die Arme vor ihren Brüsten. »Nein, das doch nicht. Ich stelle mir vor, wie ich dann mit Lisa hier im Wohnmobil sitzen würde. Dann würde ich der Tanke da drüben einen letzten Gruß zuwerfen, den Motor starten und einfach wegfahren.«

      »Und wohin?«

      »Na, nach Almería natürlich. Zurück nach Hause.«

      »Dann mach das doch. Ein Auto hast du doch.«

      »Ja, aber nicht das alleinige Sorgerecht. In dem Moment, wo ich hier verschwinde, was meinst du, was Leon dann macht. Ich hab dann den einzigen Sprößling der stolzen Familie von Dingsda gekidnappt.«

      Natascha grinste. »Wie heißt die Familie noch gleich?«

      »Du Luder«, antwortete Soledad. Sie wusste genau, dass Natascha bloß Soledads ulkige Aussprache hören wollte. Aber dann lächelte sie auch.

      »Ernsthaft«, fuhr Natascha fort. »Du hast so einen geilen Akzent. Mein russischer ist einfach nur dunkel und schwerfällig. Aber dein Deutsch klingt gleichermaßen niedlich und geil. Allein die Sache mit dem E am Anfang! Oder dein R, man hört förmlich, wie deine Zungenspitze dabei flattert. Was meinst du, was das für Phantasien anregt. Endgeil. Ich kenne einen, der würde schon dafür zwanzig Euro blechen, nur um dir zuhören zu dürfen ...«

      Soledad winkte ab. Ja, das E. Wenn sie Worte wie »Stern« oder auch »Spanien« sagte, sprach sie die immer als »Es-tern« oder »Es-panien« aus. Darüber hatte sich schon Leon aufgeregt. Anfangs hatte er das noch so herrlich exotisch gefunden, am Ende war er nur noch genervt davon gewesen. Und mit ihren langen schwarzen Haaren war es dasselbe gewesen. Zuerst hatte er es klasse gefunden, ihr beim Haarewaschen zuzusehen - Männer! Aber ab und an verlor sie auch mal eines, das war nur normal, und das zeichnete sich in der weißen Wanne immer so ab wie ein feiner Riss in dem noch feineren Porzellan. Das hatte Leon für ein gemeinsames Zusammenleben nicht nützlich gefunden.

      Nützlich. Das war auch so ein unaussprechliches Wort. Bei ihr klang das immer wie »nutes-lik« - was Natascha stets für eine Nougatcreme hielt.

      »Natascha, ich weiß, du meinst das gut, aber - das ist nichts für mich. Echt nicht.«

      »Hab ich anfangs auch gedacht, aber weißt du, wie Kindern in meiner Heimat das Schwimmen beigebracht wird?«

      »Ihr habt doch gar kein Meer?«

      »Nein, aber Seen. Und da wartet man einfach bis zum Sommer und dann wirft man sie rein. Gibt anfangs großes Geschrei, aber dann kriegen die das sehr schnell mit, was man machen muss, um nicht unterzugehen. Weißt du, was ich sagen will?«

      »Dass ich Glück hatte, nicht in Sibirien zur Welt gekommen zu sein?«

      »Dass man einfach ins kalte Wasser springen muss. Und, eh, keine Sorge. Die Väter haben natürlich aufgepasst, dass kein Kind wirklich im Dorfteich ersoff, ist ja klar.«

      »Wie beruhigend.«

      »Soledad, wirklich. Mit deinem Aussehen, deiner Herkunft, deiner Oberweite, die, nebenbei, sogar größer als meine ist, wenn ich das richtig sehe - doch, das wäre was. Und in dem Wohnmobil fällt auch gar nicht auf, dass du etwas zu groß bist.«

      Soledad zog die Stirn kraus: »Ich bin was?«

      »Zu groß. Du bist bestimmt, na, so eins fünfundsiebzig?«

      »Eins Siebenundsiebzig.«

      »Männer mögen lieber Frauen, die kleiner sind als sie. Aber bei der Enge hier drin«, Natascha deutete nach hinten in den Fond, »würdet ihr ja eh nicht viel nebeneinander stehen, und im Liegen würdest du die langen Beine ja einfach anziehen.«

      »Vergiss es. Ich bin dafür nicht gemacht. Ich weiß das. Und außerdem ...«

      Das Geräusch eines herannahenden Wagens unterbrach sie. Sie drehte sich um - ein roter VW Golf fuhr an dem Wohnmobil vorbei, wendete und näherte sich dann erneut. Der Fahrer bremste ab und ließ das Beifahrerfenster herunter.

      »He ihr beiden. Kann man euch vielleicht zugucken?«

      »Ich sag doch, du bist ein Kundenmagnet«, feixte Natascha.

      »Ich zahl auch extra«, rief der Typ rüber und hielt sein Smartphone hoch. »Wenn ich ein paar Fotos machen darf, versteht ihr?«

      »Denk nicht mal dran«, raunte Soledad ihrer Freundin zu.

      Natascha beugte sich aus dem Fenster: »Sie ist nicht vom Fach, tut mir leid.«

      »Ach mensch. Ich war so scharf auf zwei Lesben. Naja, kann man nix machen. Schönen Tag noch«. Die Fensterscheibe hob sich wieder, der Golf bretterte davon.

      Soledad sah ihm nach. »Und auf genau solche Typen habe ich echt keinen Bock.«

      »Die musst du ja nicht nehmen. He, ich bin Freiberuflerin. Ich such mir die Kerle schon selber aus.«

      »Naja.« Soledad wollte das Thema nicht weiter vertiefen. Da hatten sie einfach unterschiedliche Ansichten - und zugegeben, wer weiß, wie sie in ein paar Jahren darüber denken würde, wenn sie endgültig den Traum aufgegeben hätte, doch noch den Mann für´s Leben zu finden. Ob sie dann die Welt doch mit Nataschas Augen sah?

      »Nein. Bevor es soweit ist, muss ich hier weg.«

      Natascha sah sie an: »Was sagtest du?«

      »Eehhm«, machte Soledad, als ihr klar wurde, dass sie den Satz eben tatsächlich laut ausgesprochen hatte. »Ich meinte, ich muss dann hier mal wieder weg. Pause vorbei. Ich hab auch meine Zigarette schon ganz durchgekaut.«

      Eine dunkelgraublaue Wolke kündigte den nächsten Schauer an. Soledad verabschiedete sich und ging über die Straße zurück zum Tankstellengelände. Nicht nur Nataschas Dienste waren an diesem Dezembertag nicht gefragt, auch an der Tanke herrschte gähnende Leere. Nicht ein einziger Wagen wurde betankt, selbst der LKW-Rastplatz hinter der Anlage war weitgehend leer. Umso besser eigentlich. Dann würde der Nachmittag ziemlich entspannt und ruhig. Ab und an hat so ein Mistwetter auch seine Vorteile, dachte Soledad, als die Glasflügel auseinanderglitten und sie das Tankstellengebäude betrat.

      Und wirklich verlief der Tag in ruhigen Bahnen, sogar in so ruhigen, dass ihr Chef fand, er könne sich selbst einen frühen Feierabend gönnen und irgendwann am Nachmittag nach Hause fuhr. Das kam Soledad natürlich sehr gelegen, mit ein bisschen Glück würde Susica, ihre ungarische Kollegin, etwas früher aufschlagen und sie eher ablösen, sodass sie noch kurz beim Supermarkt vorbeischauen könnte, ehe sie Lisa abholte. Gerade als sie die Kasse dann an Susica übergeben hatte, schaute Natascha noch mal herein und erklärte, sie