VirOS 4.1. Alexander Drews

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Название VirOS 4.1
Автор произведения Alexander Drews
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770967



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      Ihre Augen brauchten nicht lange, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und viel zu sehen gab es in dem kleinen Raum ohnehin nicht. Ein Aktenschrank, eine Kommode, ein Schreibtisch und zwei Stühle - und den Server, der links neben dem Schreibtisch stand und mit zwei grün leuchtenden kleinen Lampen anzeigte, dass alles in Ordnung war.

      Er schob Burkhard den Stuhl hin und schlug auf der Computertastatur die Leertaste an. Der Monitor aktivierte sich, und während sich auf dem Schirm das Windows-Logo aufbaute, steckte er den mitgebrachten USB-Stick in den dafür vorgesehenen Anschluss. Der Stick fing sofort an zu blinken, und noch ehe Windows die User dazu auffordern konnte, das Passwort einzugeben, um Zugriff auf den Rechner zu erhalten, hatte sich der Stick bereits selber Zugriff verschafft. Na gut, selbstverständlich war es das auf dem Stick gespeicherte Programm gewesen, das Windows da endlich mal klargemacht hatte, wer hier der Boss war. Das musste man Burkhard lassen, was Computer anging, war er ein Genie. Er selber würde es nicht glauben, dass es so perfekt funktionierte - wenn er es nicht gerade mit eigenen Augen sähe.

      Der Windows-Schirm verschwand, stattdessen tauchte ein großes, schräg gestelltes, goldfarbenes »A« vor hellblauem Hintergrund auf dem Monitor auf, und der Computer gab ein kurzes Signal von sich, das wie »Düdeldü« klang.

      Er verzog die Mundwinkel. »Ich hatte doch gesagt, keine Soundeffekte.«

      »War doch bloß ganz leise«, murrte Burkhard und drückte eine Taste. Das A wurde abgedunkelt, ein Text wurde Buchstabe für Buchstabe in orangefarbener Schrift in den Vordergrund geschrieben:

      »PRESS RETURN TO CONTINUE OR HELP TO ABORT«.

      Er runzelte die Stirn. »Help? Seit wann haben PCs eine Help-Taste?«

      Burkhard grinste. »Darum ja«, sagte er und ließ die Spitze seines Zeigefingers einen Moment lang über der Enter-Taste schweben, ehe er sie zustoßen ließ.

      Der gesamte Schirm blitzte einmal rot auf, dann erschien wieder das goldene A mit einem neuen Text:

      »PRESS RETURN TO CONTINUE OR SPACE FOR ANOTHER TRANSFER«.

      »Wenn wir jetzt auch die anderen beiden Sticks hätten, könnten wir sie jetzt der Reihe nach anschließen und die Dublizierfunktion aktivieren«, sagte Burkhard. »Dann würde es richtig abgehen. Aber dies soll ja nur ein Test sein.« Er schlug wieder die Enter-Taste an, der Schirm blitze einmal komplett blau auf, und dann wurde der ganze Monitor schwarz. Nur noch eine einzige, weiße Textzeile war zu lesen:

      »THE END. PRESS RETURN«

      Burkhard drückte ein drittes Mal, der Schirm blitzte noch einmal komplett rot auf, und dann war wieder nur der ganz normale Windows-Screen zu sehen, der nach einem Passwort verlangte.

      »Und jetzt?«, flüsterte er.

      Burkhard stand auf. »Das war´s.«

      »Wie, das war´s?«

      »Das war alles.« Er bückte sich ächzend und zog den Stick aus dem Port. »Wir sind fertig.«

      Er starrte noch immer auf den Monitor. Es sah so aus, als habe es diesen Bildschirm mit dem goldenen A und der dunkelblauen Schrift nie gegeben. Hatte er sich das vielleicht bloß eingebildet? Dann fiel ihm am rechten unteren Bildschirmrand ein kleiner Zähler auf, der vorher nicht dagewesen war. Er war so klein, dass man ihn sehr leicht übersehen konnte, wenn man den Schirm nicht eingehend betrachtete, und zeigte einen Countdown, der wohl bei »9999« begonnen hatte und nun im Sekundentakt runterzählte. Inzwischen war er bei 9990 angekommen.

      »166 Minuten«, sagte Burkhard.

      »Irre«, flüsterte er.

      Burkhard lächelte. »Gut, oder?«

      Er holte tief Luft. »Zunächst mal - beeindruckend. Ob es gut ist, wird sich dann in 166 Minuten zeigen.«

      »165 Minuten«, korrigierte Burkhard nach einem Blick auf den Monitor.

      Sie verschwanden, wie sie gekommen waren, durch das Fenster. Er zog den Fensterrahmen ran, so fest es ging, mit etwas Glück würde niemand bemerken, dass diese Tankstelle heute nacht ungebetene Besucher gehabt hatte - zumindest nicht in den nächsten hundertsechzig Minuten, und danach, nun, danach würde die Zapfstation eh ganz andere Probleme haben als bloß ein nicht ordnungsgemäß verschlossenes Fenster.

      Burkhard und er liefen zurück über die Straße, am Feldrand blieb er noch einmal stehen und blickte zurück. Toni stand noch immer am Nachtschalter, vermutlich flirtete er mit der Kassiererin. Wenn sie das Feld überquert hatten, würde er ihm eine SMS schicken, damit er wusste, dass er jetzt auch abhauen konnte, wenn er wollte.

      Zu zweit kämpften sie sich über den durchgeweichten Boden, der Regen war inzwischen stärker geworden, und er freute sich auf eine heiße Dusche daheim. Und immer wieder dachte er daran, was sie vollbracht hatten. Er konnte es kaum erwarten, morgen an der Tankstelle vorbeizufahren, um zu gucken, was wohl passiert sei. Burkhard erging es anscheinend ähnlich. Den ganzen Rückweg über jammerte er kein einziges Mal, keine noch so vorsichtige Bemerkung über die Kälte, die Dunkelheit, den Schlamm, den Regen oder seine Zehen kam über seine Lippen. Vermutlich erging es ihm ebenso: Die Euphorie auf das Kommende und der Stolz auf das Geleistete trugen ihn über den Schlammacker, als hätte er Hermes´ Sandalen an den Füßen.

      Auf der anderen Seite des Feldes stiegen sie in den Wagen und fuhren davon. Als sie in die Hauptstraße einbogen, kam nocheinmal die Tankstelle in Sicht. Eine blau und weiß leuchtende Insel in tiefer Nacht. Noch!

      »Na denn«, sagte er und bog nach rechts ab, um Burkhard nach Hause zu bringen.

      *

      Mit einem Seufzen ließ sich Soledad in den schweren Sessel fallen, der eigentlich völlig überdimensioniert für das kleine Wohnzimmer war. Aber er hatte schon hier gestanden, als sie die Zwei-Zimmer-Wohnung gemietet hatte, und da er so groß war, dass sie beide darin Platz hatten, hatte sie ihn einfach übernommen. Abgesehen davon wäre für eine neue, passendere Couch auch gar kein Geld dagewesen.

      Soledad griff nach der Fernbedienung, die auf dem kleinen Beistelltisch stand, und schaltete die Flimmerkiste ein. Kurz vor den Nachrichten. Naja, wieso nicht. Eigentlich ging es ihr sowieso nur um die Hintergrundgeräusche. Zu Hause war die caja tonta, die dumme Kiste, rund um die Uhr gelaufen und wurde behandelt wie ein seniler Onkel am Esstisch, der unentwegt wirres Zeug babbelte und dem man nur ab und an, dann aber lautstark widersprach.

      Kurz darauf kam Lisa in ihrem Nachthemdchen aus dem Bad. »Augi braucht ihren Gute-Nacht-Kuß«, sagte sie und hielt mit ausgestreckten Armen Soledad ihre Puppe hin.

      Lächelnd drückte Soledad der Puppe einen Kuß auf die flachsblonden Haare. Sie hatte nie verstanden, wieso Lisa das Spielzeug »Augi« getauft hatte - wer wusste schon, was in Kleinkindhirnen so vor sich ging. Oder überhaupt in Hirnen - es gab auch genügend Erwachsene, bei denen man sich fragen musste, was die sich bei ihren Handlungen eigentlich dachten.

      Sie strich Augi über die blonden Haare und ihrer eigenen Tochter über deren pechschwarze - zweifelsfrei hatte Lisa die Haarfarbe ihrer Mutter geerbt, auch wenn ihre Schwiegereltern das natürlich anders sahen und seit der Geburt andeuteten, dass Lisa möglicherweise ja gar nicht von Leon abstammte: Wie sollte es sonst sein, dass ihr Enkelkind nicht das typische Schwitterstörffische Blond aufwies?

      »Gut!«. Lisa war zufrieden. »Dann bringe ich Augi jetzt ins Bett.«

      »Hat sie denn auch schon ihre Zähne geputzt?«, erkundigte Soledad sich.

      »Mama! Augi ist doch eine Puppe. Die hat keine Zähne«, erklärte Lisa in einem Tonfall, den nur kleine Kinder zustandebringen und auch nur dann, wenn sie ihren zurückgebliebenen Eltern etwas völlig Sonnenklares erklären müssen.

      Soledad sah ihr nach, wie sie über den kurzen Flur tappte und im Nebenzimmer verschwand. Dies war das allabendliche Ritual - bevor Soledad ihre Tochter ins Bett brachte, musste diese erst einmal Augi ins Bett bringen.

      Danach kuschelte sie sich noch für die Dauer der Nachrichten zu Soledad in den Sessel, weil Erwachsene das ja