Welche Farbe hat der Wind. Aleksandar Žiljak

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Название Welche Farbe hat der Wind
Автор произведения Aleksandar Žiljak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957771100



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Stacheldraht reißt Fleischstücke von ihren Rippen. Andere Wachen schreiten ein, schieben die Frauen mit Schlagstöcken zur Seite, dirigieren sie in eine Richtung und bringen sie zum Schweigen. Jemand ruft etwas. Ein Bokor eilt herbei, holt mit seiner Peitsche aus und lässt sie auf den Rücken des Aufsehers niederfahren.

      Der Aufseher blickt mit einem mordlüsternen Ausdruck in den Augen auf. Seine Faust umklammert den Knüppel, von dem Blut und kleine Fleischstücke tropfen. »Vor aller Augen, du Dummkopf?« schreit der Bokor, außer sich vor Zorn. »Willst du, dass sie alle Amok laufen, du Idiot?«

      »Was zum Teu...«, knurrt der Aufseher mit Schaum vor dem Mund, aber der Bokor schlägt noch einmal zu, diesmal quer über seine Arme, und der Aufseher verstummt, zitternd vor Wut.

      »Melde dich auf der Stelle in der Zentrale! Und jetzt raus hier. Ich entbinde dich von deinem Posten!« Sofort flankieren zwei Wachen den Aufseher, und auf ein Nicken des Bokors hin bedeuten sie ihm, dass er mitkommen soll. Er wirft noch einen Blick auf das blutig geprügelte Mädchen und spuckt angewidert aus, bevor er sich von den Wachen abführen lässt.

      Der Bokor geht auf das Mädchen zu. Ein Wachmann sieht ihn fragend an. Der Zauberer schüttelt nur den Kopf. Der Schaden ist zu groß. Ohne ein Wort zieht der Wachmann eine Pistole und feuert zwei Schüsse in den Kopf des Mädchens ab. Andere treiben die Frauen mit Schlagstöcken zum Frühstück, während der Bokor über sein Mikrofon meldet, dass ein Zombie eingeäschert werden soll.

      Erst in diesem Moment wird sich der Bokor der starren Blicke durch den Zaun bewusst, der Schlange von Männern, die stehengeblieben sind, und ihrer Wachen, die wütend ihre Schlagstöcke zücken und deren Blicke ihn streifen, bevor sie sich wieder den Zombies zuwenden. Einige Wachen legen die Hände auf ihre Pistolen und Maschinenpistolen und sind bereit, bei der leisesten Provokation zu ziehen. Und dann lässt ihr Bokor seine Peitsche knallen, hebt theatralisch eine Hand und befiehlt mit seiner düsteren Stimme: »In einer Reihe aufstellen! In einer Reihe aufstellen!«

      Der Bokor muss seinen Befehl mehrmals wiederholen, bevor die Zombies sich endlich beruhigen, langsam, viel zu langsam, und widerwillig gehorchen. Unter den aufmerksamen Blicken ihrer Wachen bilden sie wieder eine Schlange. 41-571512 folgt ihnen wie in Trance, während ein unerklärlicher Schmerz seinen Brustkorb durchbohrt. Den Blick auf den Nacken des Toten vor ihm gerichtet, marschiert er zur Arbeit. Das letzte, was er hört, sind die Worte, die der Bokor über sein Mikrofon an die Wachen richtet.

      »Strenge Überwachung heute, verstanden? Heute und die nächsten zwei Tage! Und diese Vollidioten da drüben werden noch von mir hören!«

      *

      »Freier Wille? Lächerlich. Wie kann ein Toter einen freien Willen haben?«

      *

      Der Schmerz wird unerträglich, zerreißt ihn von innen, brennt und ätzt wie Säure, zerrt an ihm, durchbohrt und zerfleischt ihn, während 41-571512 eine Silikontastatur aus dem Kasten nimmt und in den Deckel eines Handys einsetzt. Das Fließband trägt den Deckel weg und holt einen neuen. 41-571512 zwingt sich, nach einer neuen Tastatur zu greifen und sie in den Deckel einzusetzen. Das Fließband bringt einen neuen Deckel. Er nimmt eine neue Tastatur. Und dann verschwimmt sein Blick, eine Träne rinnt ihm über die Wange und noch eine, eine nach der anderen, und er kann nichts dagegen tun. Er sieht den geschundenen Körper des Mädchens vor sich, zerfleischt von aufgewickeltem Stacheldraht. Und das animalische Gesicht des Aufsehers, während er brüllt und ihr Fleisch mit Schlägen bis zu den Knochen aufreißt, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen ist, bis zum Tod.

      Die Augen voller Tränen, sitzt 41-571512 einfach nur da, und die Handy-Deckel ziehen ohne Tastaturen an ihm vorbei. Der Zombie neben ihm sieht ihn verwirrt an. Die Deckel stapeln sich, verursachen eine Stauung auf dem Fließband. Die Ordnung des Fließbands ist gestört, löst sich ganz auf, und eine vorhersehbare Gleichmäßigkeit schlägt in Chaos um. Der Fertigungsprozess ist unterbrochen, während die Tränen strömen und auf die Deckel tropfen.

      »He!« ruft eine Stimme hinter 41-571512. »Was zum Teufel ist mit dir los? Arbeite!« Der Wachmann winkt seinem Kollegen zu und kommt mit gezücktem Schlagstock vorsichtig näher. Auch der zweite Wachmann kommt herüber, und als er die Stauung auf dem Band sieht, gibt er ein Handzeichen. Eine Glocke tönt durch die Fabrikhalle, und das Fließband hält an.

      »Wir haben hier einen Aussetzer!« warnt der zweite Wachmann über sein Mikrophon.

      »Arbeite, hörst du?« befiehlt der erste Wachmann, aber 41-571512 reagiert nicht, als habe er den Wachmann gar nicht wahrgenommen. Er sieht nur den zerhackten Körper des Mädchens und das Monster, das mit dem Knüppel in der Faust über ihr steht. »Komm schon, arbeite!«

      »Das liegt wohl an der Scheiße, die heute passiert ist«, sagt der zweite Wachmann mit Unbehagen. Er schaut sich nervös um. Sein Blick geht zwischen 41-571512 und der anderen Wache hin und her, dann wirft er einen Blick über die Schulter. »Warte besser auf den Bokor!«

      »Ja ja, der Bokor wird's schon richten! Du willst mir doch nicht sagen, dass dieser Kadaver sich verliebt hat? Arbeite, du Scheißkerl!« Der erste Wachmann stößt 41-571512 die Spitze seines Schlagstocks in die Rippen. 41-571512 zuckt zusammen, hebt den Blick und wischt sich wütend die Tränen weg. »Na los, arbeite!« fährt ihn der Wachmann noch einmal an. 41-571512 nimmt eine Tastatur aus dem Kasten, doch im selben Moment hat er wieder das Mädchen vor Augen und knirscht mit den Zähnen. Sie knacken und quietschen. Er beißt sie so fest aufeinander, dass er sie fast im blutenden Zahnfleisch zermalmt. Etwas kocht in ihm, steigt hoch und zerplatzt, etwas, das wer weiß wie lang in Ketten gelegen hat, versklavt von Obszönitäten und Tritten und Peitschenschlägen und den Befehlen einer Grabesstimme. Und schließlich bricht es unaufhaltsam aus, wie ein Vulkan. Mit einem wilden Geheul drischt der Zombie mit beiden Fäusten auf die Handy-Deckel vor ihm ein. Er zertrümmert, was er in die Finger bekommt, das Plastik zerspringt, und Splitter fliegen umher, während der Zombie zerstört, zerlegt und auseinanderreisst und eine unsagbare Befriedigung bei all der Zerstörung empfindet. Er schlägt wieder und wieder zu und greift nach dem Kasten mit den Tastaturen und wirft sie durch die Gegend. Er springt von seinem Stuhl auf, hebt ihn hoch und schleudert ihn mit unbändiger Wut gegen das Metallgestell des Fließbands, während beide Wachen Verstärkung herbeirufen und fluchend und mit hoch erhobenen Schlagstöcken auf ihn losgehen.

      Schläge treffen seinen Rücken, seine Rippen, seinen Kopf, doch 41-571512 beachtet sie nicht. Zwei weitere Wachleute laufen herbei und schlagen ihn, doch 41-571512 spürt keinen Schmerz mehr. Er wirft den Stuhl, der scheppernd zu Boden fällt. Ringsum eifern ihm die anderen Zombies nach, schreien wild durcheinander und zerstören alles in Reichweite. Einer wirft mit Leiterplatten und stürzt sich dann mit Begeisterung auf die Gehäuserückseiten, in die er sie montieren soll. Ein anderer drischt mit einem Stuhl auf den Nietroboter ein. Der Tote neben ihm schleudert die montierten Mobiltelefone auf den Boden, trampelt darauf herum und zertrümmert sie zu winzigen Bruchstücken. Weiter unten am Fließband, an der Teststation, schlagen zwei Zombies die Monitore ein. An der Packstation zerreißen die Zombies Kartons, Bedienungsanleitungen und Garantiescheine. Sirenen heulen durch die Werkshalle, als 41-571512 den Arm eines Wachmanns packt, den Mann zu sich zieht, auf das Fließband wirft und sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn lehnt. Der Wachmann schreit, als 41-571512 ihm mit einem einzigen brutalen Ruck den Arm von der Schulter reißt. Blut spritzt ihm entgegen, und 41-571512 genießt das Blut, seine Farbe, den Geruch, die Wärme, die Fülle, mit der es aus der Wunde schießt und seinen dünnen Kittel durchtränkt.

      Ein Wachmann feuert mit seiner Pistole. Mehrere Kugeln treffen 41-571512 im Rücken, aber er nimmt sie bloß als vage, stumpfe Piekser wahr. Zwei Zombies stürzen sich auf den Wachmann. Andere flüchten, als die Toten ihm den Helm vom Kopf reißen. Ein Toter vergräbt seine Zähne in den Hals des Wachmanns, und der andere drückt ihm die Augen aus dem Schädel. Überall fließt Blut, während 41-571512 schreit, auf das angehaltene Fließband springt, den Arm hochhebt und wild krakeelt, heult und unverständliches Zeug brabbelt. Alle Zombies in der Halle springen auf und rufen durcheinander. Ihre Schreie, die Sirene, Schüsse und Detonationen verschmelzen zu einem ohrenbetäubenden Lärm.

      Die Techniker und die restlichen Wachen laufen hinaus. 41-571512 springt