Welche Farbe hat der Wind. Aleksandar Žiljak

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Название Welche Farbe hat der Wind
Автор произведения Aleksandar Žiljak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957771100



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im Rücken den Blick eines Wachmanns, der hinter ihm und seinen Kollegen wachsam auf und ab geht. Der Bokor ist in der Nähe. Einmal hat er mit seiner düsteren Stimme »Arbeitet! Arbeitet!« befohlen. Es gibt nicht viel für ihn zu tun. Das Fließband trägt den Handy-Deckel zum nächsten Fertigungsschritt weiter und befördert einen neuen Deckel zu 41-571512. Er nimmt eine neue Tastatur und setzt sie vorsichtig ein. Das Fließband bringt einen neuen Deckel. Er nimmt eine neue Tastatur...

      Nach dem Appell bringen die Wachen die Zombies zum Frühstück. Sie werden die ganze Zeit von Bokors begleitet, von Wachen aufmerksam beobachtet, von Kameras in den Ecken hoch unter der Decke aufgenommen. Sie bekommen einen Brei auf weißen Plastiktellern vorgesetzt. Sie essen mit weißen Plastiklöffeln. »Essen!«, befiehlt der Bokor, und sie essen. Wie Maschinen schaufeln sie den Brei mit ihren Löffeln zusammen, führen die Löffel an ihre Münder und schlucken den Brei. Niemand weiß, woraus der Brei besteht, aber die Zombies werden bald wacher, als seien ihre Sinne geschärft worden. Die Befehle der Bokor sind auf einmal klar zu verstehen. Die Worte verhallen nicht mehr hohl in ihren Kleinhirnen, sondern werden zu genau bestimmten Abfolgen gelernter Operationen, die ausgeführt werden müssen. Danach führen die Wachen die Zombies in die Duschen. Zunächst übergießen sie die Zombies mit einem flüssigen Desinfektionsmittel und einem Enthaarungsmittel. Wenn der Bokor es befiehlt, verteilen alle Zombies die Substanz über ihren Körper, bis sie schäumt. Dann duschen sie mit kaltem Wasser und werden zuletzt mit warmer Luft getrocknet. Erst dann hüllen die Zombies ihre nackten Körper in weiße, kittelartige Anzüge mit großen Zombietech-Logos auf dem Rücken. Sie streifen sich graue Überschuhe über die Füße und Latexhandschuhe über die Hände und betreten, gemäß dem Befehl des Bokor, gehorsam in Viererreihen die kühle, weißgestrichene Fabrik. Hier verteilen sie sich, und jeder Zombie nimmt seinen Arbeitsplatz ein, der mit einer weißen Nummer auf einem blauen Schild über dem Fließband gekennzeichnet ist. Um genau 7:00 Uhr morgens signalisiert eine elektrische Glocke, dass das Fließband in Bewegung gesetzt wird. Der Bokor befiehlt »Arbeitet! Arbeitet!«, und die Zombies machen sich ans Werk.

      Eine Schicht dauert vierzehn Stunden mit zwei fünfzehnminütigen Pausen für Latrinengänge, aber 41-571512 weiß das nicht. Er weiß nicht, wie spät es ist. Er weiß nur, ob es dunkel oder hell, Nacht oder Tag ist. Er fängt mit der Arbeit an, wenn die Glocke schellt und der Bokor den entsprechenden Befehl erteilt. Er hört mit der Arbeit auf, wenn die Glocke erneut schellt und der Bokor den entsprechenden Befehl erteilt. Zwischen den beiden Momenten, wenn die Glocke klingelt, besteht sein Leben ausschließlich aus dem sorgfältigen Einsetzen von Silikontastaturen in die Deckel von Mobiltelefonen.

      Ganz plötzlich schreit der Zombie, der drei Plätze hinter 41-571512 arbeitet, ohne erkennbaren Grund drauflos. Er nimmt einen Kasten und schlägt wild darauf ein. Einzelteile verstreuen sich über das Fließband und fallen zu Boden. Wütend drischt er mit den Fäusten auf den Deckel vor ihm ein und zerschmettert ihn. Dann steht er auf, hüpft auf und ab, heult und brabbelt wie irr, während er die Plastikteile zertrampelt. Der nächste Wachmann zückt seinen Schlagstock. 41-571512 wendet seinen Blick sofort wieder dem Handy-Deckel zu, der vor ihm angehalten hat, während der Wachmann fluchend auf den Rücken des Zombies einprügelt. Der Zombie schreit und versucht sich mit den Händen gegen die Schläge zu verteidigen, die auf ihn einprasseln. »Das reicht, du Schwanzlutscher!«, schreit der Wachmann und schlägt dem Zombie quer über die Rippen. »Hörst du auf damit? Hast du mich verstanden, hörst du auf?« Die Zombies ringsum wahren Abstand, murmeln ihre unartikulierten Proteste, wagen es aber nicht, ihrem Kameraden zu helfen. 41-571512 sitzt einfach an seinem Platz und wirft nur Seitenblicke auf den Tumult links von ihm. 41-571512 sitzt immer nur an seinem Platz und schaut weder nach links noch nach rechts. Er ist ein gehorsamer Zombie. Auf diese Weise bekommt er weniger Schläge ab als die anderen.

      Der Bokor läuft herbei, in Begleitung von zwei Wachen. Der Zauberer wickelt seine Peitsche auseinander und schlägt damit durch die Luft. »Ruhe!«, befiehlt er, mit einer leichten Spur Unsicherheit in der Stimme. Solche Dinge geschehen gelegentlich, und niemand weiß warum. Wer kann schon sagen, welche Schraube im Kopf eines Zombies locker ist? »Ruhe!« Diesmal klingt die Stimme des Bokors entschlossener. Aber der wild gewordene Zombie gehorcht nicht, und die beiden Wachen stürzen sich auf ihn, verprügeln ihn mit ihren Schlagstöcken und treten ihn mit ihren Stiefeln. Der erste Wachmann tritt keuchend zu Seite und greift nach seiner Pistole. »Du verfluchter Scheißkerl! Du willst mit mir Faxen machen?«

      »Das reicht!« ruft der Bokor. »Beherrschen Sie sich, verstanden?« 41-571512 starrt dumpf vor sich hin, wagt es nicht einmal, der Rauferei einen Blick zuzuwerfen. Er hört nur die dumpfen Schläge und das Wimmern, das leiser wird und schließlich in ein verweintes Winseln übergeht. »Das reicht«, vernimmt er die wütende Stimme des Bokors. »Auseinander! Schluss jetzt, habe ich gesagt!«

      Auf den Befehl des Bokors hin hören die Wachen auf und treten zurück, ohne ihre Blicke von dem reglosen, zusammengeprügelten Bündel abzulassen, das nur noch zittert und stöhnt. In einer theatralischen Geste reckt der Bokor eine eiserne Faust in die Höhe und gräbt die steifen Finger in die Luft. »Setzt euch«, befiehlt er den anderen Zombies, und als er, immer noch mit der Peitsche drohend, davon überzeugt ist, dass sie ihm gehorchen, wendet er sich dem Zombie zu, der auf der Erde liegt.

      »Schau mich an!« Von der Faust der Bokors geführt, hebt der Zombie den Kopf. Seine Augen blicken in die des Zauberers. »Steh auf«, befiehlt der Bokor, und der Zombie steht auf. »Setz dich!« Mit einem Zucken der Peitsche zeigt der Bokor auf den freien Arbeitsplatz, und diesmal gehorcht der Zombie widerstandslos.

      »Bringt neue Teile für Platz 32«, befiehlt der Bokor in sein Mikrophon, und kurz darauf bringt ein Techniker mit sichtlichem Unbehagen im Gesicht - alle haben auf den Überwachungsmonitoren gesehen, was passiert ist - einen neuen Kasten und stellt ihn neben den beruhigten Zombie. Ein anderer Techniker kehrt die Plastikscherben und verstreute Teile vom Fließband zusammen. Als sie fertig sind, entlässt der Bokor sie mit einem Nicken und befiehlt dann: »Arbeitet! Arbeitet!«

      Der Zombie nimmt ein Teil aus dem Kasten, das Fließband setzt sich wieder in Bewegung, und die Produktion geht weiter.

      *

      »Es gibt Gegner des Verfahrens, die es als eine reine Unmenschlichkeit betrachten. Als eine moralische Verfallserscheinung unserer Gesellschaft...«

      »Ich kann Ihnen versichern, dies sind die Stimmen religiöser Fanatiker und diverser Anarcho-Terroristen, Antiglobalisten und desgleichen. Lassen Sie mich eines klarstellen: ohne Zombiearbeit dürften die westlichen Wirtschaftssysteme kaum mit Regionen wie China oder Südasien oder Lateinamerika konkurrieren können. Würden Sie zwölf Stunden täglich für einen Euro arbeiten? Und das Kapital fließt dorthin, wo es Arbeit zu diesem Preis gibt oder noch billiger.«

      »Zombies sind profitabel?«

      »Zombies sind profitabel. Das Zombifizierungs-Verfahren selbst ist billig. Die täglichen Wartungskosten sind minimal. Nahrung, Hygiene, Arbeitskleidung - das alles fällt bei Zombies nicht sonderlich ins Gewicht. Was auch für die Unterbringung gilt - Zombies können alle erdenklichen klimatischen Bedingungen tolerieren. Ihre Lebenserwartung... Nun, das ist individuell verschieden, aber wir halten einige inzwischen schon seit Jahren in Betrieb. Und was die Moral anbelangt... Wissen Sie, ich betrachte es so: Zombietech, Ltd. ermöglicht es unseren geliebten Angehörigen, die nicht mehr bei uns sind, weiterhin produktive Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Und Sie werden mir sicher zustimmen, dass dies in unseren krisenhaften Zeiten sehr wichtig ist.«

      *

      Eingezwängt in einen Bewegungsspielraum von einem halben Meter zwischen den nackten Brettern unter und über ihm, starrt 41-571512 dumpf in die Dunkelheit. Er ist umgeben von stinkenden Leichen, lautem Schnarchen, gedämpftem Gemurmel. Jemand schläft unruhig, und die Bretter quietschen unter der Last eines Körpers, als er sich umdreht.

      Der Schlaf will sich nicht einstellen. Es gelingt ihm nicht, in einen dichten, zähen Strudel zu versinken. In seinen Ohren hallen Schreie und Flüche und Schläge wider. 41-571512 hat keine Ahnung, was mit dem Zombie drei Plätze hinter ihm los ist. Er kennt ihn, er schläft auf den Brettern über ihm. Jeden Tag marschiert er in derselben Schlange mit ihm zur Arbeit, aber er hat ihn nichts gefragt. Die Toten