Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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konnte inzwischen vorab ein wenig musizieren. Der hatte vom Instrument sowie künstlerischer Interpretation keinen Schimmer, sah das Pfeifeninstrument so nah das erste Mal. Dennoch riss er für seine Verhältnisse sehr beherzt den Hauptstromschalter nach oben und wollte mit seiner Darbietung beginnen. Doch die sakrale Stille am gottgeweihten Ort wurde nicht unterbrochen. Nach einer langen Ruhe, worüber ich mich bereits wunderte, kam der Musikant nach oben, um mir zu vermelden, die Orgel spiele nicht mit. Als wir der Ursache auf den Grund gingen, stellten wir mit Entsetzen fest, dass keine Himmelsmacht das Konzert blockierte, sondern ein satanischer Gestank den gesegneten Ort erfüllte. Der Motor, der sonst in einem separaten Raum für gehörigen Pfeifendampf sorgte, tat keine einzige Umdrehung. Dafür brannte er lichterloh. Technische Blockade, auch in unseren Köpfen. Alexander in Schreck und Panik nutzte die Wetterlage und kippte hastig mehrere Eimer Neuschnee, der sich neben der Kirchentür als Wehe auftürmte, über den brennenden Motor seiner Heiligkeit. Worauf es so höllisch zischte und donnerte, als wäre im Gotteshaus eine Dampflok der Baureihe 01 explodiert. Der Brand wurde effektiv gelöscht, der Motor war effektiv ruiniert. Ein Jahr lang brummte die christliche Gemeinschaft zahnloser alter Weiber ihre Gesänge ohne die tonangebende Unterstützung des Orgelinstruments. Das war ein klägliches Gewimmer. Herausgekommen ist die ganze Geschichte nie und wurde letztlich als unerklärliches Mysterium gedeutet. Wenigstens ging Alex diesmal straffrei aus. Die alte Kirchenorgel besaß genug Pfeifen. Mit uns beiden hatte sie noch zwei dazubekommen. Halleluja!

       An der Zellentür klappert es, dann wird sie aufgeschoben. Es ist früh am Morgen. Für mich zumindest. Anweisungsgemäß stehe ich neben der Pritsche und zeige, dass ich am Leben bin. Das Frühstück ist karg. „Mit wem reden Sie eigentlich die ganze Nacht?“, fragt der Uniformierte. Ohne meine Antwort abzuwarten, verriegelt er die schwere Tür. Ich halte inne. Sinniere, ob es überhaupt das ist, was mein Auftraggeber hören will. Vielleicht ist alles durchweg zu lang, zu breit, zu unbedeutend. Rasch findet man Selbsterlebtes wichtig und erzählt beschwingt. Nun denn, Strelow, der Drehbuchautor, wird mir bald kundtun, was er davon hält. Ich bin gespannt, wann er mir erscheint.

      Wenn es draußen wärmer wurde; hieß das auch für uns Jungen: Die Acker- und Feldarbeit ging von neuem los. Bei Rudolf, meinem älteren Bruder, und mir hielt sich die Begeisterung in engen Grenzen, zumal bei uns zu Hause mit verbissenem Ernst gerackert werden musste. Unser landwirtschaftliches Gerät und Know-how stammte aus der Zeit der Bauernkriege. So zogen wir los mit Hacke, Karst und Sichel und in meinen frühen Kindertagen noch mit dem Handwagen und dem Hund davor als unterstützende Zugmaschine. Im Herbst war die Kartoffelernte zentraler Höhepunkt jeder Minilandwirtschaft. Basisnahrung für Mensch und Tier. Auch bei uns. Zum Abtransport der mit Erdäpfeln prallgefüllten Jutesäcke wurden meist zwei elefantenschwere Kaltblutpferde des nahen Landgutes mit Fuhrwagen gechartert. Für mich, den zehnjährigen Jungen, war das eine willkommene Abwechslung. Jeder unbedarfte Trottel durfte sich diese Pferde leihen und mit ihnen machen, was er wollte. Weil die Hobbybauern höllisch schnell massig viel fertig haben wollten, wurden die ausgeborgten Sklaven unentwegt im rüden Ton forsch angetrieben. Sie mussten tagein, tagaus schwer schuften und das im Trab, Ruhepausen gab es für die Tiere nicht. In jenem Jahr waren die Erntemengen besonders reichlich ausgefallen, der Wagen brechend voll beladen und mein Großvater deshalb von höchster Zufriedenheit erfüllt. Ich durfte mit einem Neuling des landwirtschaftlichen Großbetriebes oben auf der Tonnage des Erntewagens fahren. Die späte Herbstsonne wärmte nicht mehr, als wir gemächlich vom Feld in Richtung heimatliche Kartoffelkatakombe kutschierten. Die Muskeln der Riesenrösser spannten sich bei jedem Schritt. Vor Anstrengung bogen sie ihre Hälse rund und ihr Maul presste sich gegen die breite Brust. Als wir am Dorfanger angelangt waren und der Jungkutscher sich anschickte, die Wagenlast in Richtung Bergstraße zu manövrieren, blieben die Pferde an der ersten Steigung stehen, breitbeinig wie Sägeböcke, und rührten sich nicht mehr von der Stelle. Ihre Flanken bebten. Alles probierte der unerfahrene Fuhrmann und seine Bangigkeit übertrug sich nur noch mehr auf die massigen Tiere und auf mich. Er schrie, er bettelte, er weinte, er knuffte und er schlug. Trotz aller Manöver stand das schwere Gespann regungslos, wie angenagelt. Die Straßenblockade war errichtet und allen Beteiligten mulmig zumute. Ich sah uns bereits alle Säcke abladen und einzeln nach Hause schleppen. Bis aus der nahen Nachbarschaft ein Ebenfalls-Hobbybauer mit einer Riesenpeitsche, langen Schritten und finsterem Blick erschien. Nach gewissenhafter Begutachtung stellte er sachlich fest, dass Pferde mit frisch beschlagenen Hufen, wie jene hier, freilich nicht im Stande seien, sicheren Fußes schweren Dienst zu tun. Sie laufen die ersten Tage so unsicher wie die Großmutter auf Stöckelschuhen. Und unsere armen Ackergäule wären auch noch falsch besohlt. Sprach`s und drosch so lange auf die dicken Pferdehintern ein, bis sich diese in Bewegung setzen. Wie Dampfhämmer donnerten ihre Riesenhufe auf das abgeschliffene Straßenpflaster, sodass unter den verhängnisvollen Eisen die Funken stoben wie in einer Kesselschmiede. Wir bekamen langsam Fahrt und zu Hause vor der Tür hatte der Wagenlenker Mühe, die Fuhre in der Gasse anzuhalten, so ein Tempo hatten wir erreicht. Den armen alten Rössern gingen die schweißdurchtränkten Flanken wie Blasebälge und die Augen waren noch immer angstvoll aufgerissen. Genauso saßen wir zwei mickrigen Gestalten oben auf dem Kutschbock. Dann folgte eine lange, stumme Verschnaufpause. Mitfühlend bekamen die zwei Herkulesse von mir reichlich frischen Trunk und als Abkühlung eine Dusche mit dem Wasserschlauch. Als ich das Handpferd streichelte, spürte ich, wie ein Zittern, dann ein Beben durch den Körper des massigen Tieres ging. Erschrocken zog ich meine Hand zurück. Das entkräftete Zugpferd senkte seinen Kopf, atmete schwer durch weite Nüstern. Sein nasses Fell vibrierte am Hals, das setzte sich als Welle bis zur Kruppe fort. Dann knickte es mit den Vorderbeinen ein. Die klobigen Hufe rutschten weg wie Schlittenkufen auf glatter Bahn und gaben auf dem Pflaster ein schnurrendes Geräusch. Ein dumpfer Aufschlag folgte, als das verbrauchte Tier zusammenbrach. Nach einem kurzen kehligen Wiehern tat das Kaltblut seinen letzten Atemzug. Sein Maul war leicht geöffnet. Langsam quoll die weiße Zunge zwischen den abgemahlenen Zähnen hervor. Ich starrte in das leblose braune Auge und fand die langen Wimpern wundersam. Sein Arbeitskamerad war entsetzt zur Seite gesprungen. Aufgeregt schnaubend, mit erhobenem Kopf, tänzelte das Tier unablässig auf der Stelle, versuchte der schreckensvollen Szenerie zu entfliehen. Die Wagendeichsel jedoch hielt das Pferd fest mit ihrer Kette. Ich kniete mich neben den gestorbenen Pferderiesen und weinte bitterlich. Auf meine Hand, die auf dem Hals des toten Tieres ruhte, legte sich die meiner Mutter. So weinten wir gemeinsam und hielten Totenwache, bis die Seilwinde den Kadaver auf die Ladefläche des Abdeckerkarrens zerrte. Noch Wochen danach habe ich schlecht geschlafen.

      Bereits als Kind besaß ich einen instinktsicheren Geschäftssinn und erkannte die merkantilen Zusammenhänge hiesiger Mangelwirtschaft. Mit zehn Jahren widmete ich mich der manufakturmäßigen Produktion erlesener Kunstwerke aus buntem Alupapier, Glas und Nitrolack. Und wenig später hatte ich es zu beachtlichem Wohlstand gebracht, denn letzten Endes vertickte ich diese Raritäten für zehn Mark das Stück. Meine Material-Pimpeleien waren in Serie immerfort dieselben und verliefen routinemäßig eingespielt. Zuerst pinselte ich eine Glasscheibe mit schwarzem Nitrolack ein, allein die bildnerischen Motive wurden mittels Schablone ausgespart und mit Hilfe einer von mir erfundenen Spezialmine mit grafischen Finessen versehen. Dabei musste ich die Farbe wie mit einem Trinkröhrchen ansaugen und schluckte jedes Mal einen Hieb vom giftigen Nitrolack. Am Ende einer solchen Schaffensphase war mir regelmäßig schlecht und infolgedessen stieg das Mittagessen zur besorgten Verwunderung meiner Mama oft genug mit Schwung wieder aus. Den einzigartigen Effekt meiner Bastelei brachte die zum Abschluss hinterlegte Folie aus Metall. Zuerst knüllen, dann leicht glätten, der so erzielte bunte Knitter-Flimmer steigerte die Wirkung bis zur barocken Prächtigkeit. Ich hatte meiner Kundschaft zwei künstlerische Hauptmotive anzubieten: „Frei schwebende Rosen“ und „Sandmann unterwegs“. Aber es gab ständige Engpässe in der heimischen Produktion durch den Mangel an buntem Stanniolpapier. Und obwohl ich Schokolade oder sonstiges Süßzeug sowieso in Unmengen nur zu gern vertilgte, konnte deren Verpackung auf Dauer nicht die einzige Bezugsquelle bleiben. Das unternehmerische Glück war auf meiner Seite, als Herr Schröter sich bei meinen Eltern nicht nur als ihr neuer Obstkunde, sondern auch als Chef der Hallorenkugelmacher vorstellte. Fortan wurde der „sozialistische Jungunternehmer“ rollenweise mit herrlichster Glitzerfolie versorgt. Und ich erinnere mich, dass Frau Streflansky