Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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Mädchen lud mich zu Doktorspielchen auf der Kamelhaardecke ein. Das war deutlich aufregender, als nur die Hippen im Herbst vom Bock bespringen zu lassen.

      Jenny war die aufgeweckteste von unseren Geißen, von ungewöhnlich mächtiger Statur und selbstbewusst. Sie konnte manchmal boshaft sein. Wenn sie Lust hatte, stieg sie in ihrem Stall an der Mauer empor und schaute neugierig auf den Hof. In unmittelbarster Nähe hatte mein Vater seine Tauben untergebracht und beobachtete in gedankenversunkener Stille ihr flatterhaftes Treiben. Dazu hatte er sich unglücklicherweise direkt an dem Stallmauer-Quartier angelehnt, in dem Jenny residierte. Diese hatte für derartig beschauliche Momente meines Papas geringes Einsehen. Sie stieg empor, machte einen langen Hals und schnappte zu. Mit einem kräftigen Ruck zerrte die alte Geiß an der Haarfrisur meines Vaters, die er täglich in beängstigende Form zu striegeln pflegte. Die hinterlistige Ziege hatte ein gehöriges Büschel der gut geölten Haare ausgerissen und flüchtete sofort ins sichere Hinterland ihrer Residenz. Vor Verblüffung und Schmerz schrie der Gefolterte auf. Als Folge dieses heimtückischen Überraschungsangriffes flog die Papa-Brille in hohem Bogen von der Nase und auf Nimmerwiedersehen direkt in die Jauchengrube nebenan. Längst stand die Missetäterin mit gespielter Unschuld kauend an ihre Futterraufe, als ihr der zu Tode Erschrockene die Pest oder wenigstens den Ziegenpeter an den Hals wünschte.

      Alljährlich schlachteten wir zwei fettgemästete Schweine und fraßen die übers Jahr planmäßig auf. Es gab drei Hausschlächter, die bei uns ihr blutiges Handwerk versahen. Ausnahmslos haben sie sich alle im Greisenalter ihr Bolzenschussgerät an den Kopf gesetzt und sich so vom Leben in den Tod befördert. Ist das nicht seltsam!? Oder müssen Menschen Schaden nehmen, wenn sie damit beschäftigt sind, ein Leben lang Leben zu liquidieren?

      Meine ersten Schuljahre verbrachte ich gleich um die Ecke in der alten Dorfschule, in der schon meine Vorfahren manchmal etwas mit dem Rohrstock übergebraten bekamen. Endlich durfte ich nun jeden Morgen in diesen alten Kasten traben. Nicht dass ich so dumm gewesen wäre, mich über die eingebüßte Freiheit zu freuen. Indes, nun war ich groß. Oft musste ich mich mit dem zwei Jahre älteren Manni aus der Nachbarschaft begnügen. Der schlaksige Kerl kam gern und häufig mit zu uns nach Hause geschlichen und fraß sich dort mit allem voll, was die Mutter in der Speisekammer hortete. Vor allem aber mit unreifem Obst, das im Futterstall lagerte. Mir war das sozusagen scheißegal, Manni dann in Folge nicht. Durch ihn habe ich das erste Mal erlebt, wie niederträchtig Menschen sein können. Spielten wir miteinander, war er ein Freund. Hatte er sich jemand anderem zugewandt, tat Manni so, als sei ich, der Kleine, gar nicht da, ließ mich links liegen. Oder er machte sich lustig über mich. Das verstand ich nicht, wo wir doch eigentlich Kameraden waren. Um einen seiner älteren Kumpel zu beeindrucken, hat er mir eines Tages, wie aus heiterem Himmel und völlig ohne Grund, fettblättrige Brennnesseln ins Gesicht gedrückt. Da war ich sieben Jahre alt. Schon damals hatte ich gegen solches Zeug eine Allergie und meine Mutter wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ich vor ihr stand und Tränen aus den zugequollenen Augen presste.

      Blacky war ein kümmerlicher Mischlingsspitz, Mannis Hund und ein armes Schwein. Verlassen lag er im Hinterhof an elend schwerer Fessel und freute sich fast zu Tode, wenn sich eine Menschenseele zufällig dorthin verirrte. Manchmal habe ich unbeobachtet seine kurze Kette gegen eine lange, leichte ausgetauscht. Jedoch Mannis Vater, ebenfalls keine Leuchte auf der Sonnenbank, band den armen Hund abermals kurz wie einen Galeerensklaven. Es gelang mir, Manni zu überreden, seinen Blacky mit auf Abenteuerpirsch zu nehmen. Nach anfänglichem Zögern wegen seiner dummstrengen Eltern bog er tatsächlich zur Hintertüre ab, um den Gefangenen herauszuholen. Blacky wusste vor Freude nicht, wie er sich geben sollte. Er purzelte, sprang, stolperte, lief rückwärts – alles in einem. Draußen auf freiem Feld wurde er losgelassen. Der ewig Angekettete sollte nun mit meinem Hund gemeinschaftliche Freiheit genießen dürfen. Die nahm er sich, schoss von dannen und kehrte nie zurück. Manni bekam Stubenarrest, ohne Kette.

      Alljährlich aufs Neue gab es in unserer bescheidenen Bauernwirtschaft eine stolze Herde Gänse, die mein Vater als Gössel aus dem Nachbarort beschaffte. An warmen Sommertagen hatte ich mein Vergnügen, sie mit langer Gerte an den See zu treiben. Wenn sie genug im Wasser getobt und geplätschert hatten, kamen sie artig aus der Badeanstalt zurück und wir watschelten gemeinsam im Gänsemarsch nach Hause. Hinauf auf den Berg neben der Kirche. Die schneeweißen Vögel vornweg, ich hinterher. Mannis Familie hatte auch Gänse. Die hatten, genau wie Blacky, der Hund, ein hartes Los bei ihren herzlosen Besitzern und mit denen wahre Nieten gezogen. Eng eingepfercht und verdreckt fristeten sie ein erbärmliches Dasein, sehnten sich bei sengender Sommerhitze nach einem kühlen Bade. Das erkannte ich längst. Nach dem Bravourstück mit dem entflohenen Hund bedurfte es einiger Überredungskunst, Manni davon zu überzeugen, wie schön es wäre, würden wir unser Geflügel künftig vereint zum Badesee treiben. Probieren könnten wir das doch! Und über diese sinnvolle Freizeitgestaltung würden sich gewiss auch seine Eltern freuen! Ich hatte es geschafft! Gehorsam wackelten unsere zwei Riegen mit lang gereckten Hälsen durchs Dörflein, den Hang hinunter, um zielsicher der weiten Wasserfläche des Sees zuzustreben. Emsig und routiniert nahm meine gefiederte Kompanie ihre Badegeschäfte auf. Mannis Schnatterbrigade hingegen stand noch immer mit schmutzigem Gefieder am trockenen Ufer und rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Diese Ölgötzen schienen ihr Glück nicht zu begreifen. Das dauerte mir zu lange. Mit meiner Gerte gab es eine kleine Ermunterung – und schwups, saßen die verunsicherten Schwimmschüler wie graue Niveabälle auf dem Wasser. Aber was war das? Die schwammen einfach weg!? Wie von einer magischen Macht angezogen, steuerten sie auf des Sees Mitte zu. Mit bemerkenswertem Tempo, merkwürdig steif, unbeirrt und ohne Halt. Manni stand am Ufer und brüllte unentwegt wie am Spieß sein Hiele, Hiele, den Lockruf aller professionellen Gänsehirten. Und als von seinen Flüchtlingen nur noch winzige Punkte am fernen Horizont zu sehen waren, setzte er sich nieder, senkte sein Haupt und begann fürchterlich zu heulen. Herzerweichend bis markerschütternd. Mir war ein bisschen zum Lachen zu Mute, gleichwohl bei der zu erwartenden Reaktionen seines schrecklichen Polizisten-Vaters verging mir das als Initiator und somit Schuldigem ziemlich rasch. Ich brachte meine Schar nach Hause, Manni brachte seinem Vater die Verlustmeldung bei. Schäumend vor Wut und mit Riesenschritten steuerte der sofort in Richtung Ruderkahnverleih. Wir hinterher. Kaum hatten wir den klobigen Holzkasten bestiegen, da ging die Gänsejagd schon los. Der Schutzmann legte sich so energisch in die Riemen, dass man befürchten musste, die enorme Bugwelle würde am Ufer womöglich verheerende Schäden anrichten. Und so dauerte es gar nicht lange und wir hatten das flüchtige Federvieh eingeholt. Unser Kommandant, mit hochrotem Kopf, schweißtriefender Stirn und aufgerissenen Augen, gab strategische Instruktionen wie zum Morgenappell in seinem Wachrevier. Es nutzte nichts, er ruderte zu ungeschickt. Wieder und wieder wichen die großen Vögel wild paddelnd aus. Mal nach links, mal nach rechts, dann geradeaus und wieder links. Indes, die Flotte der Tierfänger auf hoher See gab nicht auf und nach drei Stunden hatte ich alle Gänschen, eine nach der anderen, am Hals gepackt und Manni vollzählig in den Kahn gereicht. Einen Strauß weißer Schnatterhälse hielt der nun vor seiner Brust. Nun gibt es nicht nur einen Pelikan-, sondern auch einen Gänsekahn, dachte ich belustigt. Vor Erleichterung wegen des erfolgreichen Beutezugs lächelte Manni doof-selig und lockerte den festen Griff seiner Gänsehalsumklammerung. Das hätte er lieber lassen sollen, denn gerade gab es einen Ruck, weil der Schiffskapitän mit erstaunlich voller Kraft gen Heimat ruderte. Manni konnte sein Gleichgewicht auf dem schmalen Sitzbrett nicht mehr halten, kippte nach hinten weg und es geschah das Unfassbare: Er entließ alle Gefangenen zurück in die Freiheit, ins nasse Element. Aufgeregt schnatternd formierte sich dort die Armada neu. Manni schnellte empor, fasste hierhin, griff dahin, haschte, schnappte, beugte sich weit über und grapschte doch immer nur ins Leere. Noch einmal hastete er hüpfend nach vorn, um die Flattertiere zurückzuhalten, bekam das Übergewicht und ging bäuchlings platschend über Bord, wie ein Frosch, der nach einer Fliege springt. Nun war auch er im nassen Element gelandet. Am liebsten hätte ihn sein Vater im trüben See gelassen, aber das wäre für einen Polizisten bestimmt nicht Dienst nach Vorschrift gewesen. Ich wäre vor Schreck und Fassungslosigkeit beinahe auch im Wasser gelandet. Stattdessen zerrten wir den einfältigen Manni wieder in den Kahn. Der glücklose Gänsehirte, nun wieder ohne Aufgabe und Federvieh, hockte triefend im