Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

Читать онлайн.
Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



Скачать книгу

und Vater tobte, brüllte, schimpfte und beleidigte ohne Punkt und Komma: „Du Vollidiot, du bist doch ein so dämlicher Zirkusclown, du Jammergestalt, dir hat`s doch in die Murmel gehagelt, hohle Rübe, so einen blinden Blindgänger wie dich gibt es nicht noch mal, ein Brechmittel diese Lusche, wenn ich dich schon sehe, du geistige Null und dämliche Tasse…“ So sprach der einfühlsame Polizist ganz vernehmlich zu seinem Sohn. Diesen reichen Wortschatz hatte ich dem gar nicht zugetraut. Hut ab! Bei Abendrot hatten wir alle Gänse müde gerudert, an Bord und am Ende in ihren Stall verbracht. Baden durften die Armen bis Weihnachten nicht mehr.

      Dass der Vater von Manni strunz-dumm und eine gemeine Drecksau war, zeigte sich bald. Als ich zufällig bei einem unserer Pirschgänge in den Bergen ein Elsternnest im Gestrüpp wilder Rosen entdeckte, rakelte ich in die Vogelkinderstube und hob mit zerkratztem Arm ein Junges aus dem Reisigkobel. Schon lange war es mein Wunsch, ein solches Tier selbst großzuziehen. Mit feinsten Zutaten versorgte ich den Vogelwinzling und baute ihm ein wunderbares Areal mit Baumbestand, Wasserläufen und Badestrand mit feinem Sand.

      Mein Freund Alexander bezeichnete die luxuriöse Behausung anerkennend als wahrhaftes Paradies und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Meine Elster hörte auf ihren Namen und kam auf Zuruf angesegelt. Ich ließ sie frei fliegen und als sie draußen vor unserem Haus fidel auf meinen Arm geflattert kam, schoss Mannis Vater, versteckt als hinterhältiger Heckenschütze, mit einem Luftgewehr mir den zahmen Vogel direkt von der Hand. Diese Missgeburt von einem Polizistenwitz hat dafür schwer bezahlt. Einige Tage danach beobachtete ich, wie er im Schweinestall mit kräftigem Strahl spritzend in die Jaucherinne pinkelte. Aus irgendeinem Grund nahm der Gesetzeshüter vorher seinen Pistolengurt ab und hängte den über einen Eisenhaken neben jenem Schweinekoben – und vergaß ihn dort! Nach einer geraumen Weile schlich ich mich an und beobachtete durchs Fenster, wie der Elsternmörder in seinem Küchensessel grunzte, genau wie seine Schweine. Zu denen rannte ich eilig zurück, riss die Revolvertasche auf, steckte pfeilschnell die Knarre in meine Hosentasche und rannte mit schlackernden Knien davon. Erst am See im Schilf kam ich zum Stehen und keuchte atemlos wie ein gehetztes Tier. Ganz behutsam zog ich die schwere Pistole aus der Gesäßtasche meiner kurzen Manchesterhose. Wie im echten Krimi. Das kalte Metall lag schwer in meiner Hand und gab ein unbehagliches Gefühl. Wenn ich jetzt abdrücken würde, das gebe einen irren Knall. Aber davor hatte ich zu viel Schiss. Im hohen Bogen und mit voller Kraft warf ich den Colt von Mannis Vater auf Nimmerwiedersehen weit hinaus, übergab sie meinem Komplizen, dem See. Den einstigen Waffenträger hatte man tagelang in die Mangel genommen und anschließend degradiert. Ich war der Überzeugung, das hatte sich dieser Schädling redlich verdient.

      Jener brave Polizist teilte sich die Wohnbaracke nebenan mit zwei weiteren Familien. Mit der einen waren wir verwandt, was uns nicht mit Stolz erfüllte. Die passten mit der Polizisten-Sippschaft gut zusammen. Schon als Kind hatte mein Vater deren Schäbigkeiten zu spüren bekommen. Die waren mal größer, mal kleiner, je nach Gemütslage der üblen Charaktere. Spielten wir Kinder Fußball und sprang der aus Versehen über die Mauer und landete im nachbarlichen Hof, konnte es passieren, dass wir von der alten Tante unseren Ball wie einen explodierten Luftballon mit dem Kommentar zurückbekamen: „Den hat der Hund zerbissen!“ Verwunderlich dabei war, dass das schlaffe Ding drei weit entfernte Einstiche in Reihe aufwies. Mistgabelverdächtig. Die Alte hatten wir längst durchschaut. Der schlesische Hausherr, der nichts zu melden hatte, war so klug wie eine Pellkartoffel. Für einen heimlich Schwulen wie ihn war sein Jähzorn bemerkenswert. Der konnte kreuzgefährlich werden. Machten wir auf der Hofschlippe zu arg Krawall, warf er wütend und mit voller Wucht einen halben Pflasterstein nach der in Deckung springenden Kindermeute. Diesem unberechenbaren Mann war zu allem Kümmernis der Hofhund namens Max beigeordnet. Beide mussten als Gespann aufs Feld, wobei das Zugtier seine Arbeit am Hundewagen freudiger tat als der Mensch neben ihm. Die ständig heimtückische Behandlung von diesem merkwürdig Unglückseligen quittierte sein weißer Schäferhund eines Tages wie aus Notwehr mit einem derben Biss in die ewig strafende Bauernpranke. Und als in Folge der Attacke dicke rote Blutstropfen auf das löchrige Backsteinpflaster im Hofe fielen, gab es bürgerkriegsähnlichen Tumult und das Todesurteil für den armen Max. Mit Buhei wurde eilig Mannis Vater gerufen und beauftragt, den Schuldiggesprochenen sofort zu erschießen. Mutig streckte der aus sicherer Deckung das geschundene Tier mit seiner Dienstpistole nieder. Der Hund wurde im Garten hinterm Haus verscharrt und bei der Beerdigung noch mit ein paar Gehässigkeiten bedacht.

      Dieses Kapitel war beendet. Das dachten alle. Bis zu dem Tag, als es nebenan klingelte und eine hochelegante Lady mit enggeschnürter Taille, Sonnenbrille und rotem, hochhackigem Lackleder sich nach Max, dem weißen Schäferhund, erkundigte. Die Anwesenden waren verdutzt und wiesen stumm auf die letzte Ruhestätte. Die junge Tierärztin, als die sich die attraktive Besucherin herausstellte, war beauftragt, den Hingerichteten post mortem auf Tollwut zu untersuchen. Ich glaube, bei uns standen noch immer die Münder offen und die Haare zu Berge, als das Topmodel der Veterinärinnung längst ihre Pumps mit schwarzen Männergummistiefel getauscht und forsch mit der Exhumierung begonnen hatte. Nachdem der stark nach Verwesung riechende Max ans Tageslicht befördert war, bugsierte Madam die sterblichen Überreste ohne Handschuhe auf die Ladefläche ihres Autos, trennte mit dem Fuchsschwanz kaltlächelnd den Kopf vom Rumpf und verpackte den moderigen Klumpen in einem Sack. Bevor sie gruß- und wortlos entschwand, wischte sie sich noch rasch Haarsträhnen aus dem Gesicht, was Spuren hinterließ.

      Wenn der schlesische Onkel seinen versteckten Amouren nachging, fuhr er beschwingt mit dem Rad über Land. Mit der Begründung, frisches Brot zu holen, da das vom hiesigen Bäcker ja praktisch ungenießbar wäre. Das klang schlüssig. Der Grund für seine Reiselust war aber keineswegs der leckere Brotlaib, sondern der vom muskulösen Bäcker im Nachbarort. Von dem nämlich ließ er sich einmal die Woche kräftig durchficken und kam dann stets sehr entspannt und heiter aufgeräumt zurück, um der erwartungsfrohen Nachbarschaft die noch warmen Brotspezialitäten gönnerhaft zu überreichen. Wenn er sich anschickte, erneut loszuradeln, um die nächste Bäckergabe gierig in Empfang zu nehmen, gab er sich adrett. Zunächst schob er beide Hosenbeine etwas nach oben und presste die schlabbrige Klamotte eng zusammen, damit sie von zwei silbernen Spangen straff gehalten wurde. Seine halbhohen, frisch geputzten Arbeitsschuhe kamen dabei hübsch zur Geltung. Die Kleidung war sauber und übersät mit bunten Flicken. Mit etwas Pomade hatte er seine Haare schmuck gekämmt. Der Onkel war hässlich. Er hatte Glatze, eine blaurote Nase und ständig Flecken im Gesicht. Das wurmte ihn, denn er besaß trotz allem eine Eitelkeit, die sicher mit seiner Neigung für die Bäckerzunft zu tun hatte. In der miefigen Küche bei ihm zu Hause stand eine graue Waschschüssel aus Emaille für alles. Das Wasser wurde nur einmal am Tag gewechselt. Verirrte ich mich als Kind besuchsweise zu ihnen, machte ich um diese schwarze Brühe, auf der gern kleine Schaumbläschen schwammen, einen großen Bogen. Auf dem Donnerbalken hing in spärlichen Fetzen Zeitungspapier. Das war glatt und ich, von Phantasien angefeuert, stellte mir vor, wie die beiden alten Männer in der Backstube abwechselnd ihre Hintereingänge benutzten. In seiner Geilheit hatte der Onkel nie bemerkt, dass seine Klamotten oft genug über und über mit Mehl, Teig und Puderzucker eingesaut waren. Einschließlich Unterhose, die ihn schließlich verriet. Als man einst dem Onkel gefolgt war und die beiden in der Backstube erwischte, knetete der stämmige Bäcker alles andere als Brotteig. Damit flog das schwule Schattenleben des Onkels auf. Damals, und noch dazu auf dem Dorfe, ein Skandal. Er hat sich erhängt, wurde aber rechtzeitig gefunden, abgeschnitten und reanimiert. Nach kurzer Ruhezeit zur Kräftigung und Neubelebung nahm er seine Aktivitäten und Radpartien über Land wieder auf. Nur die Begründung für seine Ausflüge klang jetzt etwas sperriger. Als mir meine Mutter unter dem Siegel der Verschwiegenheit genierlich davon erzählte, war ich längst ein erwachsener Mann.

      Meine Eltern waren in jungen Jahren schöne Menschen. Speziell die alten Fotos meines Vaters sind eindrucksvoll. Er hätte damit auf der Titelseite sepiafarbener Kinoprogrammhefte mit den UFA-Filmstars seiner Zeit leicht