Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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Trauerfront Sohn Bibi nebst Familie. Wir alle kannten Bibi nur unter Bibi und wussten nicht, wie der mit richtigem Namen hieß. Also, Bibi und sein Clan hatten sich gerade direkt längsseits vorm braunen Vollholzsarg gruppiert, da ging das Gezeter seiner Frau auch schon los. Die entschlafene Anna hatte sich mit dieser Schwiegertochter ein Leben lang befehdet. Alle wohnten unter einem Dach und schrien sich dort ohne Unterbrechung an. Einmal bin ich bei ihnen am Küchenfenster vorbeigeschlendert, als gerade wieder ein Gezanke im vollsten Gange war. Um ein Haar hätte mich dabei ein fliegender Kochtopf mit dampfenden Pellkartoffeln erwischt. Den nämlich feuerte die rabiate Anna geradewegs aus dem Fenster, als ich auf gleicher Höhe ahnungslos passierte. Mit Getöse landete das schwere Kochgeschirr direkt auf der Straße, einen fingerbreit neben mir. Der Topfdeckel rollte davon, die Erdäpfel vor meine Füße. Damit hatte sie nicht nur ihre ständige Gegnerin und Schwiegertochter, sondern auch mich beeindruckt. Die blieben einander bis zuletzt spinnefeind. Jene Schwiegertochter wehklagte und jammerte nun an der Fürimmerkiste der alten Anna derart inbrünstig laut, dass Hochwürden stellenweise mit seinen tröstenden Worten innehalten musste. Das Geheul schwoll derweil so sehr an, dass es die Dorfsirene bei einem Feueralarm gewiss übertönt hätte. Die Trauernden blickten betreten in die Runde und das nicht allein wegen des tragischen Todesfalls. Das hysterische Gekreisch irritierte auch mich. So eine Vorstellung hatte ich während meiner gesamten Kreuzträgerkarriere nie erlebt. Den Fluss der blutigen Tränenbäche bei jener Wehklagenden konnte man nicht verfolgen, denn das trauernde Antlitz war mit einem Schleier zugehängt. Untermalt von gellenden Jaulattacken krümmte sich Bibis Angetraute von neuem gramgebeugt. Bog sich endlos weit nach hinten und dann nach vorn, dass man befürchten musste, als Nächstes würde sie sich verzweifelt auf den Sarg werfen, in dem die tote Anna ruhte. Dazu wäre es bestimmt gekommen, hätte ich nicht so grandios dazwischengefunkt. Kurz vor jener Beerdigung hatte mir Mama eine neue Sonnenbrille geschenkt. Obwohl Sonnenbrilletragen beim letzten Gang nur in Mafiakreisen statthaft ist, nahm seltsamerweise nicht mal Herr Pfarrer Röbling Anstoß an meinem neuen Augenglas. Das bestand aus brauner Plaste, einschließlich der Durchguckscheiben. Die waren verbogen und lieferten interessante Zerrbilder von den betrachteten Objekten. Im Moment war es besonders unterhaltsam, die Tragödin durch meinen Verzerrer zu studieren, dadurch wirkte ihr Auftritt noch grotesker. Mal hielt ich den Kopf nach links, mal nach rechts, bewegte ihn leicht hin und her und staunte, welche Bewegungen die vom Schmerz Geschüttelte zu vollführen schien. So fasziniert war ich von meinem Kaleidoskop, dass ich mich auf meine Aufgabe als Kreuzhalter nicht mehr konzentrierte. Und da geschah das Unglaubliche: Das mächtige Kreuz entglitt meinen Händen, kippte nach vorn und knallte kopfüber, der gusseiserne Heiland vorweg, auf den Sargdeckel, Eiche hell. Nach diesem dröhnenden Donnerschlag herrschte totale Ruhe in der Kapelle. Totenstille, sozusagen. Alle Klagegesänge waren verstummt. Ich stürzte nach vorn, verfehlte wegen meiner Trugbilder beinahe das Ziel und griff dann doch das schwere Eichenrundholz, um den schwarzen Mast eiligst in Position zu hieven. Bloß gut, dass ich die Brille trug, denn ich wusste vor Schreck nicht, wohin mit meinen Blicken. Fast war ich dankbar, als erneut Geheul die Trauerhalle erfüllte. Vielleicht war es ja ein Freudenschrei, weil Anna von jenem derben Schlag, der Tote hätte erwecken können, nicht wieder aufgewacht war. Das liebe Jesulein an meinem Kreuz hatte die schändliche Behandlung vollkommen unbeschadet überstanden. Am Erdmöbel gab es eine minimale Schramme. Mir wurde vom Herrn Pfarrer mein Zwei-Mark-Honorar radikal gestrichen, das war die Strafe des Herrn.

      Bei der darauffolgenden Trauerfeier war der Diener Gottes höchstselbst der Superdödel. Der ständig zerstreute Pastor hatte seine Manuskripte zu Hause liegen lassen. Ohne die konnte er niemals seine herzbewegenden Reden halten. Wie von der Tarantel gestochen, ruckartig und wortlos wendete er mitten in der Trauerkolonne, um mit wehendem Talar kommentarlos zu entschwinden. Der Seewind blies zum Sturm und haute der davoneilenden Heiligkeit das Barett vom Haupte. Es rollte mit Karacho entlang die Straße in den nächsten Graben. Dort hinein entschwand auch die Eminenz, um sein Mützchen einzufangen. Entgeistert sahen wir dem Flüchtenden hinterher. Mein Gott! Verbindungslos und total verdutzt stand ich in der Schar der seelenwunden Hinterbliebenen und musste die irgendwie bei Laune halten. Verlegen scherzte ich ein bisschen über das stürmische Wetter, wir plauderten über Masterfolge bei der Kaninchenzucht und tauschten gegenseitig wertvolle Erfahrungen aus. Ein älterer Mann zeigte seine dick angeschwollenen Arthrose-Knie. Dazu musste er seine schwarze Anzughose herunterlassen, was wiederum seiner Frau missfiel. Nun fingen sie an zu streiten. Von der Streiterei ganz ungerührt und womöglich durch die gefallene Hose inspiriert, schilderte ein anderer Nachbar seine Prostataprobleme. Erklärte, wie sauer ihm das Pinkeln wird. Das alte Ehepaar hatte seinen Streit wegen des runtergelassenen Beinkleides aufgegeben, weil sich nun ihr Interesse auf die Beschwerden beim Wasserlassen konzentrierte. Ich versuchte mein Bestes beim Moderieren, allein hätte ich das jedoch nie geschafft. Dem Allmächtigen sei Dank, Frau Röbling kam in Windeseile angefegt und stand mir bei. Sie war klein, stets lustig, dabei resolut und flink, also das exakte Gegenstück von Hochwürden. Die mochten alle. Es wurde beständig fröhlicher. Wir lachten, scherzten und hatten eine vergnügliche Beerdigungs-Ouvertüre. So ein Jux!

      Strelow war wieder da. Nur kurz. Ich bin beleidigt. Ja, richtig sauer. Seine Worte klingen mir im Ohr: Die Episoden hätte ich kurzweilig-amüsant erzählt, aber meine manierierte Sprache ginge im mitunter auf die Nerven. Reichlich müsse glatt gebügelt und Wildwuchs herunter gestutzt werden. Ich solle in allem reduzierter und nicht so geschwollen reden, einfach so wie jetzt mit ihm. Das wäre das Beste und passe zu mir und meiner Geschichte doch vielmehr. Der Rechtsanwalt hätte leider noch keine Zeit gefunden. Das und seine Krittelei sollten mich aber nicht abhalten, an der Geschichte mit Feuereifer dranzubleiben. Bitte recht sehr! Und weg war er. Das musste ich erst mal verdauen. Frühestens morgen würde ich weitermachen. Und ganz und gar in meinem Stil!

      Bereits als Kind war mir eines klar, für mich waren typische Männerberufe, wie Maurer, die früh am Morgen frierend auf schneeumwehter Rüstung stehen müssen, oder Schlosser mit schmierigen Händen in lauten Werkhallen, nicht das Richtige. Das wusste ich mit Sicherheit. Also hieß das, Abitur zu machen, wie alle meine älteren Verwandten. Herr Tritsche, der Karrierekommunist und verhinderte Eishockey-Star, versuchte mein Streben nach höherer Bildung zu boykottieren. Er hasste alle Kirchlinge und verurteilte mein unfreiwilliges Engagement bei Trauerfeiern aufs Schärfste. Als es in Schulkonferenzen um meine Besuchserlaubnis auf die höhere Lehranstalt ging, wirkte er meinem Bildungsdrang stramm kontraproduktiv entgegen und versuchte meinen Herzenswunsch mit allen Mitteln zu vereiteln. Dass ich Herrn Tritsche damals mit dem Eishockeyschläger mit solcher Gewalt erwischt hatte, war insofern womöglich höhere Gewalt. Das Strafgericht von ganz oben. Wer weiß?

      Alle fanden, der Thomas, der muss Lehrer werden. Meine Lehrer begründeten es damit, dass ich alle Tricks schon kannte und mich mit meinem großen Rand nicht unterbuttern ließe. Meine Verwandten fanden, ich rezitiere fabelhaft und mit lauter Stimme, selbst die Alten konnten jedes Wort verstehen. Und Mama meinte, bei meinem Talent wäre ich der geborene Pädagoge, denn erklären könne ich doch schon jetzt ganz wunderbar. Ich war mit allen einer Meinung, fünfzehn Jahre alt und wollte sehr gern Lehrer werden. Fortan würde ich deshalb mit dem stinkenden Linienbus „Rakete“ zur Penne in die Stadt fahren müssen. Mir schwante nichts Gutes – und ich sollte Recht behalten. Bis dahin gewohnt, lauthals die Dinge selbstsicher im Griff zu haben, trat ich nun an, kleinlaut und bedrückt. Das sollte sich nicht im Geringsten ändern. Ich hasste diesen bedrohlichen Kasten vom ersten bis zum letzten Tag und fürchtete, er könnte mich zermalmen.

      Die Dinge hatten sich umgekehrt. Früher kämpfte ich mit meinen miserablen Benehmensnoten, die nun vorbildlich waren. Dagegen verstand ich im Unterricht nun gar nichts mehr. Am meisten legte sich mir die Rechenkunst wie Blei auf Magen und Gemüt. Diese Wissenschaft wurde mir noch ganz und gar verekelt durch jenen Mobbing-Lehrer, der es bis zum bitteren Ende auf mich abgesehen hatte. Jeden Morgen dieselbe Grütze: Todmüde aus dem Bett kriechen, als Klamotte wieder der zu eng gestrickte Kratzpullover von Tante Lisbeth und womöglich noch die ersten zwei Stunden beim Menschenschinder. Nur unser Hund, der hatte es gut. Beneidenswert gut. Meine Mutter hatte dem Spitz-Mix auf dem durchgelegenen Kanapee ein extra kuschlig-warmes Lager eingerichtet. Dort rekelte er sich wie eine arbeitsscheue Diva, blinzelte mir verschlafen zu, wenn ich zur Tür hinaus in den dunklen, kalten Wintermorgen stürzte, um zur Bushaltestelle zu hasten. Dort stand bereits der alte