Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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In unserem Dorf lebte Seefahrer-Paule, das war ein Original und mein Onkel. Bis zu seiner Entlassung bei der Marine war er stramm zur See gefahren und hatte sich auf seine alten Tage als Landratte in seiner Heimat niedergelassen. Zu der Zeit war ich ein halbwüchsiger Rotzlöffel, so wie du jetzt. Onkel Paule wohnte in einem winzigen Häuschen, schien gänzlich sorgenfrei und mit sich sowie der Welt im Reinen. Mit Würde trug er noch seine verschlissene Seemannsuniform, ungeachtet dessen, ob Montag, Weihnachten oder Geburtstag war. Paule war ein Sonderling und er mochte Kinder. Die nahm er ernst und unterhielt sich mit ihnen wie mit Erwachsenen. Das heißt, meist monologisierte er gedankenversunken und vergaß dabei die Welt um sich herum und das Alter seiner Gesprächspartei. Das Beste an Seefahrer-Paule jedoch war sein Lebensgefährte. Von seinen Fernreisen als Matrose hatte er sich ein Totenkopfäffchen mitgebracht. Der war die Sensation des ganzen Ortes, insbesondere für mich. Was hätte ich darum gegeben, wenn ich den hätte besitzen dürfen. Der aber ließ sich von niemandem anfassen. Er hatte ständig Ausgang in Hof und Garten und fabrizierte dort den lieben langen Tag Unsinn nach Menschenart. Es schien Seefahrer-Paule nicht zu stören, wenn sein Äffchen mit einem Stock die Blumen im Garten köpfte, alle Marmeladentöpfe leerte, um eine winzigkleine Kleinigkeit davon zu naschen. Oder, wenn das Mus mit Schwung an die weiß getünchten Stubenwände flog, weil der Affe der darin versenkten Walnüsse habhaft werden wollte. Einfach famos!

      Nun war es im Orte alte Tradition, zu allen großen Festtagen noch größere Kuchen zu backen. Die wurden auf Riesenblechen zum Dorfbäcker geschleppt, der sie in den heißen Holzbrandofen schob und dort herrlich garen ließ. Es war Ostern an der Reihe und auf der Dorfstraße marschierte eine Karawane strammer Frauen, die auf ihren Köpfen bleischwere Kuchenlandschaften zur Backstube balancierten. Denkbar, dass jener Anblick das Äffchen vom Seefahrer-Paule ein bisschen an sein warmes Vaterland erinnerte, denn es kletterte auf die nahe Birke im Vorgarten, ließ den ersten Pflaumenkuchentransporter passieren, um dann von oben mit einen gewagten Satz mitten auf das zweite Kuchenblech zu prallen. Durch die punktgenaue Affenlandung explodiert der fette Schmandbelag. Die Matrone darunter glaubte wahrscheinlich an himmlische Heimsuchungen, schrie auf und warf vor Schreck und Grauen das Blech direkt in Seefahrer-Paules Blumengarten. Klatschend landete der Rest vom süßen Brei auf den Osterglocken. Das war aber nicht weiter schlimm, denn die hatten längst keine Blüten mehr, allesamt geköpft vom pfiffigen Äffchen.“

      Opa kratzte sich am Kopf, kramte unterm Kutschbock eine Pulle hervor und nahm einen kräftigen Hieb warmen Milchkaffe. Nie vergaß Oma, ihm seinen Trunk in die alte Bierflasche mit Porzellanverschluss zu gießen, und reichte sie ihm, bevor er den Hof verließ. Nach dieser Stärkung fühlte sich Opa gewappnet, um weiter zu erzählen:

      „Ja, früher, da war manches anders. Zum Beispiel trank man nur Bier oder guten Bohnenkaffee, wenn es etwas zu feiern gab. Meine Eltern, also deine Urgroßeltern, feierten gern. Vor allem meine Mutter. Mein Vater war ein herzensguter Mensch und zur Arbeit fuhr er mit dem Rad über Land. Das war durchaus erforderlich, weil er als Messer- und Scherenschleifer sein Geld verdiente. Meine Mutter hingegen war ein arges Frauenzimmer. Als mein älterer Bruder, den kennst du nicht mehr, an einem frostklaren Wintertag leichtsinnig das dünne Eis des Sees betrat, krachte es unter seinen Holländerschlittschuhen und er versank im kalten Wasser. Wie durch ein Wunder wurde er mit langen Hakenstangen unter der Eisdecke hervorgezogen. Mehr tot als lebendig lag er eine Woche fiebernd in seinem durchschwitzten Bett. Der taprige Dorfdoktor machte ein sorgenvolles Gesicht und wenig Hoffnung. Aber mein Bruder überstand den Prankenschlag des Todes und die Folgen seiner Eskapade. Fortan hieß der im Dorf bis zu seinem seligen Ende nur noch der „Wassernix“. Als er sich von seinem Krankenlager erhoben hatte, bereits wieder an Unsinn dachte und meiner Mutter partout nicht gehorchen wollte, schrie die mit geifernder Stimme gellend übern Hof, dass es das halbe Dorf vernehmen konnte: ‚Wärst du verdammtes Raaaabenaaaaaas doch bloß im kalten See geblieben.‘ Ja, so konnte meine Mutter sein. Aber zu jungen Männern war sie nett. Manchmal musste mein lieber Vater wegen einer Angelegenheit auswärts übernachten, nicht selten hörte ich dann meine Mutter auf dem Stubensofa … Um Himmelswillen, Junge, das gehört jetzt nicht hierher, … wo war ich stehen geblieben …Ja, obgleich mein Vater nie von ihren schändlichen Sachen erfuhr, war er dennoch rasend eifersüchtig. Das war sein einziger Fehler. Aber eigentlich war es kein Fehler, denn er hätte ja allen Grund zur Eifersucht. Dabei war meine Mutter gar nicht hübsch. Und beide liebten jene Schunkele-Vergnügen, die das Blasorchester im Vereinshaus unseres Ortes bot. Posaunen, Tuba und Trompeten schmetterten ihre Melodien schräg und laut, aber dennoch schmissig. Die Stimmung im überfüllten Tanzsaal war überaus fidel. Meine bereits ergraute Mutter fegte mit einem flotten Galan über die gebohnerten Dielen, dass alle nur so staunten. Mein Vater hingegen knirschte wütend mit den Zähnen. Als es seine Frau vor aller Augen doch zu ruchlos trieb, platzte meinem sonst so sanften Papa endgültig der steif gestärkte Kragen. Solch einen Vatermörder trug sein Rivale auch. Daran packte ihn mein Vater und brachte so das walzernde Paar abrupt zum Stehen. Rachsüchtig brüllte er seine Frau entrüstet an: ‚Komm du mir bloß nach Hause, dann dresche ich dich windelweich.‘ Darauf antwortete meine Mutter ganz knapp und ungerührt: ‚Na und! Jetzt, mein Liebster, sind wir noch auf dem Saale…!‘ Zog ihren Verehrer dicht an sich heran und tanzte selig den falsch gespielten Walzer bis zu Ende … Tja, viel Gutes kann ich von meiner Mutter nicht berichten. Aber jenen Satz, den sie damals meinem aufgebrachten Vater schnoddrig entgegnete, den habe ich zu meinem Lebensmotto gemacht: Noch sind wir auf dem Saale.

      Das ist so lange her. Erzählt hat mir das mein Onkel, der Seefahrer-Paule“, sinnierte Opa. Den Rest des Weges schwieg er eisern. Lächelt vor sich hin und war vollkommen in seiner Gedankenwelt versunken. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und war berührt von seinen Geschichten, die ich nicht verstand.

      Opa war bis ins hohe Alter scharf wie Pfefferchili. Zum Schluss war da wohl nur noch der Wunsch der Vater der wollüstigen Gedanken. Und gab es Familienfeiern, ging Opa mit seinen immer noch schönen Händen gern auf intime Tuchfühlung bei seinen Tischdamen zur Linken oder zur Rechten. Die waren meist im knackigen Alter jenseits der achtzig. Und dann kam es schon mal vor, dass jene Mädels entsetzt aufsprangen, dabei scheppernd die gefüllte Sammeltasse mit sich rissen, deren brauner Inhalt nun gierig von weißem Linnen, statt von den Tanten aufgesogen wurde. Laut zu schimpfen oder anders wie zu räsonieren, wäre peinlich aufgefallen. Also begnügte man sich mit gedämpft wütendem Gebrabbel und wechselte verschämt das Thema sowie den Platz. Großvater störte das nicht weiter. Nur die ewigen Misserfolge bei seinen Eskapaden, die störten ihn sehr. Einen schönen Eklat gab es an seinem fünfundneunzigsten Geburtstag. Menschenmengen drängten sich in den engen Zimmern, vor allem alte Tanten. Alle verfügbaren Räume waren von auswärtigen Schlafgästen in Beschlag genommen. Der Belegungsplan der Betten wurde notgedrungen umdisponiert. Jeder ruhte irgendwo, aber in jedem Falle an anderer Stelle als gewohnt. Als alles schlummerte, schlich Opa hochmotiviert aus seiner Kammer, die er nun so viele Jahre allein bewohnte. Er hatte eine fesche Mittachtzigerin ins Visier genommen, kuschelte sich neben sie – und bekam die Hand seines nicht sonderlich geschätzten Schwiegersohns zu fassen… Meine Tante dachte ernstlich über eine stählerne Strafexpedition nach. Aber da hatte mein Opa letztlich nichts zu befürchten, denn seine beiden Töchter haben beide ein Herz aus Gold.

      Mein Schulpensum erledigte ich mit links, bei mittlerem Fleiß. Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es eben muss! Ich lernte schnell und vergaß noch schneller. In meinen Lieblingsfächern hingegen konnte ich richtig engagiert loslegen und begeisterungsfähig zu Höchstleistungen auflaufen. In allen möglichen Arbeitskreisen, Clubs und sogar in der Blaskapelle mischte ich als untalentierter Posaunist mit. Das machte mir meistens Spaß und eine gehörige Portion Geltungsdrang spielte wieder eine Rolle. Die Posaunisten-Karriere hätte ich aber gern wieder an den Nagel gehängt, weil die mit Umständen verbunden war. Bis zur unerquicklichen Probe musste ich zwei geschlagene Stunden mutterseelenallein im Schulgebäude warten. Mein Blasmusiklehrer hatte es wohl gut gemeint und mir Mittagessen bei der Hausmeistergattin vermittelt. Bei ihr herrschte Hemdsärmelkultur und es war so schmuddelig, dass es mir die Graupensuppe nicht nur verhagelte, sondern sie mir auch noch im Halse stecken blieb. Saß eins von der Horde ihrer Kinder auf dem Topf, um sein großes Geschäft angestrengt zu verrichten, nahm die stramme Frau den