Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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meinen Teller auf die glatte Wachstuchdecke. Das verursachte jeweils einen unreinen Ton, und erinnerte mich an mein Posaunenspiel. Nun wunderte ich mich nicht mehr über das komische Dekor auf dem Tischtuch unter meiner Suppenschale. Mahlzeit!

      Bei meinen Lehrern war ich beliebt und verhasst zugleich. Von meinem Darstellungsdrang und von Kumpel Alex zum ständigen Wettstreit animiert, gaben wir die vorlauten Klassenkasper im ehrgeizigen Duett. Meine Mitschüler freuten sich, die Pauker weniger. Unter heutiger Beurteilung der Lage, hätte ich bestimmt eine Belobigung für vorbildliches Betragen erhalten, denn eigentlich waren wir nicht wirklich arg. Und irgendwie hatte ich durch meine lebenslustig-offene Art letztlich bei meinen Lehrern einen Stein im Brett. Waren Schulfeste, Wettbewerbe oder sonstige Öffentlichkeitsarbeiten angesagt, wurde ich von ihnen gern zum Spitzenkandidaten nominiert, erfüllte dann zuverlässig Auftrag und Mission. Dennoch blieb das Klagelied bei meinen Eltern über mein fürwitziges Verhalten nie aus, genauso wenig wie die darauffolgende Gardinenpredigt meines Vaters. Als Papa meine gesammelten Missetaten mit meiner Mutter in Wiederholung durcharbeitete, hörte ich sie einmal sagen: „Herrgott, wär‘s dir denn lieber, er wär nur artig, aber dämlich?“

      Frau Tritsche und ihr Ehemann waren herausragende Persönlichkeiten, vor allem in Höhe und Breite, und beide meine Lehrer. Frau Tritsche hätte das lieber lassen sollen, denn von ihrem Lehrfach Mathematik und von Kindererziehung verstand sie nicht mehr als ihre Schüler. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, aber bei alldem kompensierte sie ihre enorme Unsicherheit auf unsere Kosten. Sie war gemein und das verzeihen Kinder nicht. Frau Tritsche verpasste uns dümmliche Spitznamen, versuchte es mit Ironie, was stets misslang. Obendrein war sie ganz schrecklich naiv und provozierte Lachgeschosse aus den Bänken. Frau Tritsche verteilte ungerechte Noten und konnte selbst nicht gut rechnen. Ihr Mann, der einflussreiche Funktionär, hatte sie protegiert. In den Pausen zermalmte sie dick belegte Doppelstullen, klemmte dabei tief gebeugt überm Lehrertisch. Also, summa summarum: alles ein bisschen zu viel des Guten. Wir hassten sie nicht, aber ihre Art, uns zu begegnen, wohl.

      Tritsches wohnten auch in unserem Dorf und waren ausgerechnet mit meinen Eltern und Verwandten so was wie freundschaftlich bekannt. Letzten Endes nur deshalb, weil das Lehrerehepaar, die allgemeinhin keine Freunde hatten, sich zu Festlichkeiten gern selbst einlud. Das taten sie auch zum fünfundvierzigsten Geburtstag meiner Tante Erika, einer Frau, wie meine Mama, angefüllt mit Herzenswärme. Als alle an der reich gedeckten Tafel Platz genommen hatten und bestens gelaunt mit vollem Munde kauten, holte Frau Tritsche tief Luft zu einer höchst erbaulichen Tafelrede. Ich stutzte sofort! Was würde jetzt wohl kommen? Dann ging‘s los: Vor der versammelten Gästeschar erläuterte sie voller Empörung meine jüngsten Verfehlungen und gab das letzte Wortgefecht, das ich auf dem Pausenhof mit ihr hatte, detailgetreu zum Besten. Zu meiner Verwunderung verwendete sie wörtliche Redeteile erstaunlich präzise, zitierte mich und meine frechen Antworten akkurat. Nur an einer Stelle war sie nicht ganz exakt mit den Zitaten, ich verzichtete auf Einwände und Korrektur. Mir blieb der Bissen quer im Halse stecken, denn so viel taktlose Blödheit, hätte ich selbst ihr nicht zugetraut. Die Miene ihres Mannes verfinsterte sich missbilligend, die meines Vaters moralinsauer! Augenblicklich litt der unter einer doppelseitigen Gesichtslähmung. Enttäuscht von mir, schaute auch mein Bruder, kopfschüttelnd und mit ernstem Gesicht an der Nase runter. Für alle eine Qual, außer für Frau Tritsche. Grabesstille am Tisch! Und dahinein stellte die Pädagogin nun noch die abschließend intelligente Grundsatzfrage ihrer Aufmunterungsrede, mit dem Bezwecke der rückversichernden Bestätigung durch die betreten lauschende Corona: „Was sagt ihr dazu, war das von Thomas nicht wieder furchtbar frech?!“ Noch immer Totenstille!. Bis schließlich mein erwachsener Cousin Michael die unerquickliche Situation rettete und sichtlich amüsiert schallend loslachte. Ich war ihm so dankbar. Für mich hingegen gestaltete sich der weitere Festakt so lustig wie die Beulenpest und ward vorfristig beendet, weil mich Papa zuerst in die Wüste und dann nach Hause schickte.

      Herr Titsche nebst Gattin schreckten auch nicht davor zurück, sich im gesamten Dorf der Lächerlichkeit preiszugeben. Bei klirrend-eisigem Winterfrost fror der See zu und wir hatten nun ein beliebtes Tummelfeld für blutrünstige Eishockeyturniere. Tritsches in ihrer immensen Leibesfülle waren beide des Schlittschuhlaufens nicht mächtig, sie aber ignorierten das. Auf wackeligen Holländerkufen, die an klobigen Skischuhen festgekurbelt waren, schob der Gatte seine Holde über die Eisesglätte. Die bebte unsicher. Wir konnten uns vor Lachen kaum auf den Eisen halten, als Herr Tritsche unerwartet bei unserem Wettkampf mitwirken wollte. Na gut, warum nicht? Nachdem er seine liebe Frau an Land geschoben hatte, wurde unser dicker Lehrer augenblicklich zum Eishockey-Tormann befördert. Diesen gefährlichen Knochenjob wollte eh niemand gern machen. Keinesfalls erpicht auf blutende Sportverletzungen, spielte ich zurückhaltend in der Verteidigung. Spielregeln gab es nicht, dafür umso mehr kämpferischen Einsatz und Verletzte auf allen Seiten durch die äußerst primitiven Sportgeräte. Ich verfügte über eine knochige Krücke, die mein Vater mit Eisenblechen stabil zusammengeschraubt hatte. Die lag schwer wie Blei in meinen Händen. Einerlei, wir legten los. Hinter mir der schnittige Torwart seinem Einsatz entgegenfiebernd und unruhig auf den nächsten Angriff der jugendlichen Gegenpartei wartend. Die Attacke nahte, ich wollte abwehren, stolperte los und kam ins Straucheln. Dabei drehte ich mich mehrfach ungestüm um meine eigene Achse und haute im finalen Sturz dem Pädagogen und Aushilfstorwart meine Eishockeykeule mit Schmackes vor den Schädel. Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, sah ich erschrocken, dass unser bester Mann wie ein geschossenes Walross längelang im Tore lag und sich nicht mehr rührte. In Rückenlage hatte der dicke Lehrer alle Viere weit von sich gestreckt. Seine graue Schiffchenmütze, russisches Prêt-à-porter, hatte ich mit weggeschossen. Die lag zehn Meter weit hinterm Tor. Wir näherten uns dem Niedergemähten, so bange, als hätten wir eine schwere Fliegerbombe aus dem Krieg entdeckt. Und siehe da, er atmete noch.

      Obwohl wir überhaupt kein gottesfürchtiges Haus waren, schickte mich meine Mutter aus althergebrachter Verbundenheit in den Konfirmandenunterricht zum Herrn Pfarrer Röbling. Der hockte tagein, tagaus in seinen verqualmten Amtsgemächern und war so schrullig-weltfremd wie der alte Diogenes in seiner Tonne. Herr Röbling hoffte ständig aufs Neue, der albernen, vorpubertierenden Landjugend Ehrfurcht vorm Allmächtigen einflößen zu können. Das ging von Generation zu Generation voll in die Hose, die beim Herrn Pfarrer übrigens meistens offenstand. Solche Einblicke waren nicht gerade förderlich für jene angestrebte Würde in der Bibelstunde und ließen Gefühle gottgefälliger Demut schnell ersterben. Schon ein verstohlenes Schmunzeln oder versehentliches Anecken mit den Füßen reichte unserem Herrn Röbling, um uns der gotteslästerlichen Albernheit und Provokation frommer Obrigkeiten zu bezichtigen. Wir fühlten uns als Opfer religiösen Wahns sowie dessen Willkür und begegneten dem Phänomen mit ständig grinsenden Visagen. Und als der arme Achim, der eigentlich Legastheniker war, die für uns völlig abstrusen Bibelverse vortragen und auch noch den übersinnlichen Inhalt erklären sollte, war die Zirkusnummer vollauf perfekt. Die junge Gemeinde halbwüchsiger Rotzgören kriegte sich vor Lachen nicht mehr ein. Freilich, wer hätte bei einer solchen Darbietung ernst bleiben können?! Aber Pastor Röbling vermutete erneut Provokation unterm Kruzifix, kaute im Leerlauf knirschend auf seinen dritten Zähnen, so wütend wie ein aufgeregter Wallach, und prophezeite unseren jungen Seelen Höllenqualen, wenn wir nur so weitermachten.

      Waren im Dorf Beerdigungen nötig, gab es die alte Tradition des Kreuztragens. Als Führer zur letzten Ruhestätte schritt ich dem Trauerzug voran, bekleidet mit schwarzer Hose und weißem Hemd. Im Sommer beide kurz. Als stämmiger Bursche war ich Pfarrer Röblings bester Mann, so stellte er mich unvermeidlich der traurigen Gemeinde vor. Der war das rotzegal. Vor zwei Sachen hatte ich Schiss: Erstens in der Trauerhalle dem widerlichen Geruch des Todes zu begegnen und zweitens, dass mir wegen des einschläfernden Sermons meines Vorgesetzten das schwere Holzkreuz aus der Hand fallen und laut polternd auf den vor mir ruhenden Sarg mit dem Entschlafenen schlagen könnte.

      Verwesungsgeruch hat es gottlob nie gegeben. Das andere kam so:

      Im Dorf war die alte Anna gestorben und ich hatte meine Friedhofs-Schicht wieder rechtschaffen zu erledigen. Wie jedes Mal bezog ich mit dem Pastor und meinem massiven sakralen Utensil unseren gewohnten