Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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Wer weiß, eventuell hat der ja sein Hauptvermögen genau wie ich mit Fließband-Plunder gemacht.

      Das kleine Bauerngehöft meiner Großeltern war so manches Mal mein Zufluchtsort. Ich liebte es. Und ich wurde bedingungslos zurückgeliebt. In der Welt der Tiere gab es bunte Vielfalt, ersprießlicher als bei uns daheim. Immerhin, Opa hatte ein Trakehner-Pferd, das auf den Namen Theo hörte, aber nur, wenn es gute Laune hatte. Meist hatte es schlechte Laune und passte damit so wiederum zum Charakterbild meines strengen Großpapas. Der warnte mich häufig vor Unvorsichtigkeiten mit dem Tier. Im Juni mussten Mann und Maus bei der Bergung der Kirschernte helfen. Unzählige Bäume, hoch wie hundertjährige Tannen, mussten dann auf wackeligen Leitern erklommen werden. Von so einem Riesen ist Opa mit 76 Jahren aus einer Baumspitze abgestürzt, brach sich den Oberschenkelhals und wurde dennoch hundert und ein halbes Jahr alt. Das ewige Kirschenpflücken hing uns Jungens wie die eigene Zunge zum Halse raus. Da hatte ich eine glänzende Idee. Es war höchste Zeit, für Abwechslung zu sorgen und auszuprobieren, wie bravourös ich Theo, das unberechenbare Pferd, im offenen Gelände reitermäßig beherrschen würde. Vorsichthalber sagte ich wegen möglicher Einwände niemandem Bescheid, band den misstrauisch äugenden Fuchs von seinem schattigen Ruheplatz und schlich mich mit ihm unbemerkt davon. Wir beide konnten überhaupt nicht reiten! Aber darum ging es ja. Irgendwie erklomm ich den blanken Pferderücken, wickelte mir hurtig die lange Wagenleine um Körper und Hals. Und los ging`s auf unbefestigten Feldwegen. Theo war erstaunlich einsichtig und machte anständig mit beim Experiment Ross und Reiter. Bis sich von hinten ein bedrohlich knatterndes Automobil langsam näherte. Das misstrauische Tier stellte die Lauscher in Richtung Automobil und rollte mit den Augen wie Fury in der Deckstation. Mir wurde mulmig. Endgültig sah sich das Pferd nun von dem heranwackelnden Fahrzeug bedroht, legte die Ohren flach an den Kopf und sprang aus dem gemütlichen Schritt ohne Überleitung in einen furiosen Mords-Galopp. Nach einigen Metern bekam ich es wie Theo mit der Angst zu tun und ließ mich krachend zu Boden fallen. Trotz meiner beachtlichen Pfunde, die nun am Pferdemaul hingen, dachte der Rasende überhaupt nicht daran, sein Tempo zu drosseln, geschweige denn, stehenzubleiben. Er war durchgegangen und ich notgedrungen mit ihm. Anerkennung, dem alten Kameraden und Ackergaul! Ich hing wie beim Kielholen an der Leine und raspelte bäuchlings über den staubig-steinigen Feldweg wie ein nasser Sack. Lange würde ich mich so mit meinen feuchten Händen nicht mehr halten können und die Lederleine spannte bereits spürbar an meinem Hals. In meiner Not versuchte ich nachzufassen, das ging schief, die Schlinge zog sich zu. Ich spürte ein Hämmern in meinem Kopf, dann wurde es dunkel. Beinahe hätte dieser Zwischenfall das frühe Ende meiner Reiterlaufbahn und meines jungen Lebens bedeutet. Doch es wurde wieder hell. Weil der vernunftbegabte Autofahrer angehalten hatte, tat das gottlob mein Theo auch. Als ich blinzelnd die Augen wieder öffnete, stand mein Pferdchen. Ich lag hinter ihm. Beide keuchten wir. Wie mir schien, verharrten wir ewig so. „Bei fleißiger Ackerarbeit zu Tode geschleift“, das hätte bestimmt auf meinem Grabstein gestanden, ging es mir durch den Kopf. Mühsam erhob ich mich. Und langsam wie ein rheumageplagtes Bettelweib humpelte ich zum Pferd. Das ließ abgekämpft den Kopf nach unten hängen und, wie zum Nickerchen bereit, hielt das Reittier die Augen halb geschlossen. Dem bleichen Autofahrer gab ich weitere Lebenszeichen, worauf der unschuldige Mann so eilig verschwand, als drohe ihm die Todesstrafe. Wahrscheinlich hatte durch den harten Aufprall und den vorübergehenden Sauerstoffmangel mein Verstand endgültig gelitten, denn ich hievte mich nach alledem abermals aufs Pferd. Doch Theo war erledigt wie sein Reiter und so schleppten wir uns ohne weitere Zwischenfälle zurück zum Kirsch-Feldzug. Dort wurden wir nicht wie siegreiche Kavalleristen empfangen.

      Im Hause meiner Großeltern war immer etwas los, entweder war die Bude voll von wunderlichen Tanten, die bei der Erntekampagne halfen oder ein Geburtstag wurde großartig gefeiert. Und mein Cousin Heiner hatte bestimmt erneut eine verrückte Nummer abgezogen. Irgendwas Unterhaltsames gab es jederzeit. Meine Cousins waren massige Riesen, phlegmatisch und friedlichen Gemüts. Aber manchmal, wenn sie der Hafer oder sonst was stach, wurden sie zu gefährlichen Kampfmaschinen. Wenn sie sich, vor Kraft und Übermut strotzend, auf der Bodentreppe prügelten, hörte sich das an, als klärten zwei Wasserbüffel die Rangordnung. Einmal war das stabile Eichengeländer einfach durchgebrochen und beide stürzten krachend in den Flur. Die waren derart bullig auf sich und das Kampfgeschehen konzentriert und schienen ihren Absturz gar nicht zu bemerken, weil sie ohne die geringste Unterbrechung am Boden weiterrauften. Das mutige Eingreifen meiner Großmutter mit ihrem Krückstock brachte schließlich Frieden in die Kriegsarena. Auslöser für derartige Ausschreitungen war oft das köstliche Essen meiner Oma. Vor allem, wenn es besonders erstklassig gelungen war. Dann nämlich spuckte Heiner seinem Bruder sprichwörtlich und mit absichtsvoller Arglist in die Suppe. Und schon war wieder die schönste Rauferei im Gange. Am Ende kam der speiende Heini so dennoch zu seiner zweiten Portion, weil sein Bruder nur auswurffreies Essen mochte. Einmal geriet das Mittagsbrot-Scharmützel gänzlich außer Kontrolle: Oma hatte ausnehmend fein gekocht, als Heiner seine Zusatzration beanspruchte. Er spie los und wollte sich gerade die angespuckte Beute widerrechtlich einverleiben, als den Geschädigten die nackte Wut ankam. Pfeilschnell griff er seinen Teller und zerschlug mit geballter Kraft das Steingut auf dem Kopf seines zügellosen Bruders. Das Gericht flog wirbelnd durch die Küche und Heiner schreiend vom Stuhl, neben dem er schweigend liegen bleib. Nur Oma schrie noch. Ich hatte mich in die Ecke neben den abgenutzten Stubenbesen gerettet, dort standen wir beide stocksteif. Vor meine Füße waren zwei unschuldige Pellkartoffeln gerollt und in meinem Gesicht klebte warme Bratensoße. Das war nicht schlimm. Heiner hingegen musste sich wegen seines Bruders und seiner Gefräßigkeit in ärztliche Behandlung begeben. Es wurde genäht, Bettruhe verordnet und ein fürchterliches Donnerwetter losgelassen.

      Ihr Vater, also mein Onkel, war überzeugter Kommunist und hasste selbst den Wind, wenn der aus Westen blies. Heiner war nicht nur sein Sohn, sondern auch das Gegenstück seines Denkens und Tuns. Sohnemann hörte, wie wir alle, am liebsten Radio Luxemburg, den erklärten Feindsender des deutschen Ostens. Auf die ständigen Attacken und Nörgeleien meines Onkels reagierte Heini schlagfertig mit gelangweiltem Sarkasmus. Treffsicher und rücksichtlos. Das konnte er glänzend und brachte damit nicht nur seinen sonst gutmütigen Vater aus der Fassung. Wir bogen uns vor Lachen. Einmal, als es die beiden besonders arg trieben, packte meinen Onkel der Rappel und er das Kofferradio meines Cousins. Er warf das unschuldige Gerät wegen des brandaktuellen Beatles-Songs Helter Skelter durch das geschlossene Küchenfenster, das Radio landete direkt auf dem Hof und dessen hartem Pflaster. Es schepperte und splitterte enorm. Der Titel von den Beatles hat überlebt, das Sternradio 111 und die Fensterscheibe nicht.

      Der Vater meiner Mutter, Opa Wilhelm, war ein scharfsinniger, belesener Mann und für uns alle eine Respektsperson. Weil er als Einmannbauer den Unterhalt für sich und seine Familie auf eintönige Weise verdiente, war sein Leben ein einziges Understatement. Später habe ich mich oft gefragt, ob er mit seinem harten Leben haderte. Aber das Gegenteil schien zuzutreffen. Nur als seine zweite Tochter und kein Junge als Nachfolger der Kleinbauernwirtschaft geboren wurde, vergoss der Landmann Tränen der Enttäuschung. Als der Säugling nach wenigen Wochen starb, war er geläutert und freute sich gottlob über die nachfolgende Ankunft meiner Mama. Rackern mussten seine Töchter im bäuerlichen Kleinbetrieb dennoch wie Kerle.

      Bei der Arbeit war Großvater wortkarg und sehr gebieterisch. Aber wenn ich neben ihm auf dem klapprigen Pferdewagen saß und wir gemächlich auf den Acker zuckelten, erzählte er mir Geschichten von früher und unserer Familie. Oma war nicht begeistert von seinen Darbietungen, weil sie der Meinung war, ich sei zu jung und Opa zu alt für diese Art Konversation. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte. Aber das war einerlei, ich liebte diese kurzweilige Unterhaltung, denn mein Großvater konnte wunderbar erzählen. Bevor er anfing zu fabulieren, rückte er sich jedes Mal die abgelebte dunkelblaue Filzmütze zurecht, trieb den launenhaften Theo mit der Lederleine an und schaute aufrecht sitzend konzentriert geradeaus, so als sehe er in der Ferne die Figuren seiner Erzählung auferstehen. Die folgenden Geschichten hat er mir oft erzählt,