Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683203



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Nordrhein-Westfalen überschrieb die NRZ am 20. September 1989 mit der Schlagzeile „Wo Attraktionen sind, strömen auch Touristen!“ Ein Jahrzehnt später galt dieser Satz auch für Oberhausen.

      Interview mit Friedhelm van den Mond (Teil 3)

       Im Februar 1987 unmittelbar nach der Bundestagswahl kündigte die Thyssen-Stahl AG die Stilllegung nahezu aller Betriebsteile an der Essener Straße und damit den Abbau von 3.000 Arbeitsplätzen alleine in Oberhausen an. Wie solidarisch waren damals Bevölkerung, Gewerkschaften und auch andere gesellschaftliche Gruppen sowie die Nachbarstädte und die Landespolitik?

      Ich will bis zu diesem Sprung 1987 noch einmal ein wenig zurückgehen. Nachdem Luise Albertz tot war, hatte die SPD-Fraktion mich zu ihrem Nachfolger bestimmt. Ich nahm also die Funktion wahr, war aber noch nicht offiziell gewählt. Die Wahl war nämlich erst im März und ihr Todestag war am 1. Februar 1979. Bevor ich gewählt wurde, war schon der Vorstand von Thyssen-Niederrhein bei mir und erklärte, dass wieder mal rund 2.000 Arbeitsplätze wegfallen. Ich hab mich da allen Ernstes gefragt: Friedhelm, worauf lässt du dich hier eigentlich ein? Wohin soll das Ganze führen? Aber es ging ja dann kontinuierlich weiter. Und damit sind wir dann bei 1987. Der Abbau dieser 3.000 Arbeitsplätze war ein Schock. Wir haben zwar mit einem weiteren Rückgang gerechnet, aber nicht mit einem so brutalen auf einmal. Und die Solidarität in der Stadt war unglaublich. Es gab große Protestaktionen, an denen sich alle beteiligten: Das Handwerk, die Kirchen, die städtischen Mitarbeiter, die Gewerkschaften natürlich auch, aber nicht nur die IG-Bergbau, sondern alle Gewerkschaften, alle Bevölkerungsgruppen. Ich erinnere mich gut an diese großen Protestdemonstrationen auf dem Bahnhofsvorplatz. Und ich glaube es war in diesem Jahr, in dem wir ja auch, der Kollege Günther Wöllner aus Hattingen und ich, die Bürgermeister und Oberbürgermeister der Stahlstädte im Ruhrgebiet zu einer Konferenz der Oberbürgermeister eingeladen haben, bei der wir noch einmal auf die Probleme der Stahlstädte hinwiesen. Denn es traf uns ja immer abwechselnd. Mal Bochum ein bisschen, mal Dortmund ein bisschen, mal Hattingen. Wir wussten, man kann gemeinsam nur appellieren an die Hilfe von Land und Bund. Und sowohl Land als auch Bund waren da solidarisch, das Land in noch stärkerem Maße. Der Grundstücksankauf und die Baureifmachung von Grundstücken wurden seitdem enorm gefördert.

       Im Juni 1990 wurde in Oberhausen das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik gegründet, mit „ideeller Unterstützung“, so das Institut, der Stadt Oberhausen. Wie kam es zu dieser für die weitere Entwicklung des Strukturwandels in unserer Stadt wichtigen Ansiedlung?

      Inzwischen hatte auch bei den politisch Verantwortlichen, insbesondere in der SPD, ein Umdenken stattgefunden. Man hatte erkannt, dass wir diesen Prozess des Strukturwandels, aber Strukturwandel ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, das war eher ein „Strukturbruch“, dass wir den nicht aufhalten konnten. Es gab also am Ende dieses schweren Prozesses die Erkenntnis: Wir müssen weg von der Klagemauer. Wir wollten nach neuen Wegen suchen und die SPD-Fraktion hat damals ein Programm beschlossen. Wir wussten, in Oberhausen sind insbesondere mit Babcock und GHH Betriebe, die im Umweltschutz mehr leisten können. Wenn die etwas bringen sollen auf dem Gebiet Umweltschutz, dann muss dazu irgendeine Einrichtung kommen, die anwendungsbezogen forscht. Wir wussten, eine Uni kriegen wir nicht. Fachhochschulen waren damals auch nicht hoch im Kurs. Zumindest nicht im Ruhrgebiet. Und wir haben uns dann mit der Industrie zusammengesetzt. Der Oberbürgermeister, der Fraktionsvorsitzende und der Bundestagsabgeordnete der SPD mit den Vorständen der Oberhausener Großbetriebe. Treffpunkt war in aller Regel das Hotel Ruhrland. Und da wurde gemeinsam überlegt, was kann man denn nun machen. Und da ist die Idee dieses Instituts geboren worden. Ich kann heute sagen, ohne die Unterstützung von Dr. Wiehn bei Babcock, von Meissner bei MAN GHH und auch ohne Dr. Deuster von der EVO hätten wir Umsicht nie gekriegt. Die haben ihre Verbindungen spielen lassen, Heinz Schleußer hat seine Verbindungen zum Land spielen lassen. Wir waren uns also relativ schnell darüber einig, dass Umsicht gegründet werden sollte, mit Professor Weinspach aus Dortmund als erstem Leiter von Umsicht. Die ideelle Unterstützung, na ja, materiell konnten wir ohnehin nichts bieten, aber ich sag mal, wir haben uns gekümmert. Ich erinnere mich noch gut, dass kurz nachdem das Institut seine Arbeit aufgenommen hatte, mich Professor Weinspach anrief und sagte: „Mein Gott, haben Sie keine Verbindung zum Amtsgericht?“ Ich sag: „Was wollen Sie denn da?“ „Ich bin noch nicht im Handelsregister eingetragen, das liegt da schon seit einigen Wochen, und wenn ich nicht im Handelsregister eingetragen bin, krieg ich die Zuschüsse vom Land nicht und ich muss in drei Tagen Gehalt zahlen.“ Ich kannte also jemanden gut beim Amtsgericht, habe den angerufen und gesagt: „Hör mal, kannst Du Dich mal darum kümmern?“ Und das tat er dann auch.

       1990 wurde das Institut Umsicht gegründet. Wie lang war denn eigentlich der Zeitraum von der Idee bis zur Institutsgründung?

      Maximal ein Jahr. Ich meine, das wäre unmittelbar nach dem Thyssen-Schock gewesen. Da haben wir gesagt: Stahl geht nicht mehr, da müssen wir etwas anderes machen: Umwelt. Bei der GHH war ja damals gerade ein Großteil der Kernenergieaktivitäten weg. Und Babcock war im Bereich Umweltschutz beim Kraftwerksbau immer schon führend. Die haben ja damals an der druckerhöhten Wirbelschichtfeuerung geforscht. Der Kontakt zur Industrie war auch viel enger. Man traf sich ja auch nicht nur beim Stadtempfang, sondern bei allen möglichen Gelegenheiten. Die Pflege persönlicher Kontakte durch die Politik, die gar nicht öffentlich sichtbar werden, die halte ich für unglaublich wichtig.

       Wo sind aus Ihrer Sicht die Auswirkungen des Strukturwandels, den Sie ja selber als „Strukturbruch“ bezeichnet haben, für die Menschen besonders deutlich geworden?

      Die Veränderungen im Strukturwandel, die werden, so glaube ich, häufig unterschätzt. Strukturwandel kann man nicht bewältigen, ohne die Menschen mitzunehmen. Und das war schon ein ganz großes Handicap. Das hat sich ja heute ein wenig gemildert durch den Stolz der Oberhausener auf die Neue Mitte auf der einen Seite und andererseits verschärft durch die Tatsache, dass in manchen Branchen Niedriglöhne gezahlt werden. Wir hatten doch in der Montanindustrie als Arbeitnehmer nicht nur Weltmeister, sondern wir hatten doch auch einfache Arbeitsplätze, die sich zum Teil nicht unterschieden von denen, die heute im Handel sind. Diese Einfacharbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, die sind aber heute für jeden sichtbar. Wer diese Einfacharbeitsplätze in der Großindustrie hatte, der musste ja nicht sagen, ich feg den Platz oder ich feg die Späne, sondern der arbeitete bei Thyssen, bei Babcock oder auf der Zeche. Der war also in dieser großen gesellschaftlichen Gruppe aufgenommen. Und gerade die Menschen in der Montanindustrie haben ja ihr Selbstwertgefühl, auch wenn sie kein Weltmeister waren, kein intellektueller Weltmeister, bezogen aus der Tatsache, dass sie diese schwere körperliche Arbeit konnten. Und die haben eigentlich auf alles herab geblickt, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken, ob berechtigt oder unberechtigt, auf die, die im Dienstleistungsberuf tätig waren. Ein Kellner, das war doch für einen Bergmann ein Tablettschwenker. Ein Friseur, der war doch nur Friseur geworden, weil er meine schwere Arbeit nicht konnte. Und diese Menschen mussten ihren Kindern jetzt sagen: Hört mal, das können wir nicht mehr, denn die alten Arbeitsplätze gibt es nicht mehr.

      Auch die Struktur in den einzelnen Siedlungen, wo alle den gleichen Lohntag hatten, einen relativ gleichen Verdienst, hat sich geändert. Auch in den Siedlungen ist ein bisschen sozialer Zusammenhalt verloren gegangen. Denn heute hat der eine einen guten Job, der andere hat einen schlechteren und der Dritte hat gar keinen. Und das führt zwangsläufig dazu, dass vieles von diesem sozialen Zusammenhang zumindest Risse kriegte. Und ganz schwierig ist das geworden auch für die Arbeit der Parteien und der Gewerkschaften. Es gibt die Großbetriebe nicht mehr, in denen man neben guten Kontakten zum Vorstand auch gute Kontakte zu den Betriebsräten hatte, in denen Organisationsgrade in der Gewerkschaft herrschten zwischen 90 und 95 Prozent. Und das macht die Arbeit, sowohl die politische als auch die gewerkschaftliche heute sehr viel schwerer. Man kommt an die Menschen in einzelnen Bereichen einfach nicht ran. Und dazu kommt noch, dass nach meiner Einschätzung sowohl Gewerkschaften als auch Parteien überhaupt noch nicht begreifen, was in einigen IT-Berufen z.