LENA HALBERG - NEW YORK '01. Ernest Nyborg

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Название LENA HALBERG - NEW YORK '01
Автор произведения Ernest Nyborg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783868411294



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unversehrt und Hawk wunderte sich, warum man befohlen hatte, es zu evakuieren. Es wäre besser gewesen, es für Schutzsuchende offen zu lassen. Vor einem der Eingänge rollte scheppernd ein halber, zersprungener Behälter eines Trinkwasserspenders. Hawk, der sich im Laufen umschaute, ob jemand Hilfe benötige, stolperte darüber und konnte sich nur im letzten Augenblick an einem Pfeiler abfangen.

      Endlich auf der Straße angelangt, versuchte er zwischen den Menschen, die ziellos durcheinanderliefen oder durch die Druckwelle verletzt am Rand lagen, Palmer zu finden – vergeblich.

      Auch hier vor dem Haus war alles übersät mit kleinen und größeren Betonbrocken. Viele Dächer der parkenden Fahrzeuge waren dadurch zerbeult oder eingedrückt, dazwischen Glasscherben und Staub – überall Staub. Er deckte die Dinge so gleichmäßig mit einer hellen Schicht ab, dass man meinen konnte, es wäre frisch gefallener Schnee. In der Luft schwebte Rauch so dicht, dass der Himmel nur eine dunkelgraue Suppe war und die oberen Stockwerke der umstehenden Häuser wie im Nebel verschwanden. Von irgendwoher fielen unablässig Bündel von Papier herunter: Aktenblätter, Briefe, Rechnungen, Computerausdrucke. Hawk kam es vor, als würde ein riesiger Papierkorb über ihm ausgeleert. Ein bunter Zettel flatterte direkt vor sein Gesicht – es war eine Ansichtskarte. Er wischte sie mit einer beiläufigen Geste weg und sah dabei kurz in die Augen einer jungen Frau, die in einem rosa Bikini an irgendeinem Strand dem Fotografen zuwinkte.

      Er lief weiter, wollte in Richtung der Twin Towers, um falls möglich zu helfen; ständig begleitet vom Dröhnen der Einsatzhubschrauber, die über dem Platz kreisten. Zwei brennende Fahrzeuge standen verlassen mitten in einem Seitenweg, eines davon ein Schulbus. Entlang der Straße versorgten Rettungskräfte die Verletzten. Bei einigen hatten sie aufgegeben, sie lagen tot daneben, manche waren nicht einmal zugedeckt. Hawk musste immer wieder blutigen Schuhen oder Taschen ausweichen, die verstreut am Gehsteig lagen.

      Zwei Männer von der WTC-Security kamen ihm entgegen, sie trugen dicke blaue Schutzkleidung und hatten schwarze Kunststoffhelme am Kopf. Einer rief Hawk zu, er möge schleunigst umdrehen und zum nächsten Straßenzug hinter die Anlage gehen, dort wäre Schutz und hier könne man nichts mehr tun. Hawk verstand nicht warum, sah aber ein, dass er ohne Schutzkleidung wenig ausrichten würde. Er drehte also um und lief in die Gegenrichtung, dabei wunderte er sich, dass die beiden ebenfalls vom Geschehen wegliefen, statt dort das Gelände zu sichern.

      An der Ecke taumelte eine ältere Frau auf die Fahrbahn, ihr Gesicht war durch den Schmutz weiß und ihr ganzer Körper wie mit Puder überzogen. Sie wirkte auf Hawk wie einer der bemalten Eingeborenen in Fotobänden aus Neuguinea. Sie stützte sich auf die parkenden Fahrzeuge und schrie markerschütternd, nur übertönt von einer durchdringenden Sirene, die sich von hinten näherte. Die beiden Securitys rannten achtlos an ihr vorbei. Instinktiv fasste Hawk die Alte am Arm und riss sie zwischen zwei parkende Autos. Keinen Augenblick zu früh, denn ein Löschfahrzeug der Feuerwehr raste um die Kurve, dicht an ihnen vorbei und zog eine dunkle Wand aus aufgewühltem Dreck hinter sich her. Hawk wollte der Frau aufhelfen, sie aber stieß ihn von sich und schrie weiter, schrie unablässig einen Namen. Er konnte nichts für sie machen, anscheinend hörte sie ihn nicht einmal, so sehr war sie in ihrem Schmerz gefangen.

      Hawk schleppte sich vor zur Nebenstraße. Das Atmen fiel schwer, so verdreckt war die Luft. Er presste ein Taschentuch vor sein Gesicht, damit ging es etwas besser. Dann lief er weiter an die Seite des Glasturms in die nächste Straße, die etwas Schutz bot. Er lehnte sich kurz an die Wand, um Kräfte zu sammeln.

      Eine Wand, die den Tag nicht überleben würde. Denn oben schlugen bereits Flammen aus den geborstenen Fensterflächen und wenige Stunden später, kurz nach fünf Uhr nachmittags, würde auch Block 7, das elegante, schwarz verglaste Hochhaus auf der Anlage des World Trade Centers in sich zusammenbrechen. Die wirklichen Umstände, die dazu führten, sollten nie restlos geklärt werden. Es begrub nicht nur das Archiv Palmers mit den CIA-Memos unter sich, sondern auch die Unterlagen der Steuerbehörde und der amerikanischen Börsenaufsicht.

      Und dann würde der Präsident vor die Fernsehkameras treten und die Welt auffordern, sich am Kampf gegen den Terror zu beteiligen, denn wer jetzt nicht an der Seite Amerikas stand, war ein Feind.

      Doch das wusste Hawk alles noch nicht, als er völlig erschöpft einige Blocks weiter an der Kreuzung von Chambers und Church stehenblieb und zurück auf das Trümmerfeld schaute. Er wusste nur, er hatte so etwas schon gesehen, in Warschau, in Vietnam, in Kuwait – so sah Krieg aus.

Heute

      Die Abendbeleuchtung auf der Wiener Ringstraße brannte bereits, obwohl der Himmel noch hell war. Das Zwielicht gab den Prunkbauten entlang der breiten Allee ein besonderes Flair. Hier wechselten alte Palais aus der Kaiserzeit, berühmte Museen und weitläufige Parks mit Bronzestatuen einander ab – so als wäre die Zeit stehengeblieben.

      Lena und Niels saßen im Freien unter blühenden Kastanienbäumen vor einem der vielen Straßenkaffees in der Nähe des berühmten Burgtheaters und löffelten Eiskaffee mit einer süßen Haube aus Schlagsahne. Der Abend dieses späten Maitages war angenehm warm und Lena genoss nach den Ereignissen der letzten Wochen die Ruhe und die Wärme der untergehenden Sonne auf ihrer Stirn. Sie hatte den Kopf auf die hohe Sessellehne gelehnt und schien eingenickt zu sein. Tatsächlich aber sah sie Niels hinter ihrer verspiegelten Sonnenbrille von der Seite an.

      Sie hätte nie gedacht, dass man sich in einen Menschen, den man eine Ewigkeit als Freund kannte, noch so verlieben konnte. Immerhin war Niels derjenige gewesen, bei dem sie sich in den letzten Jahren die Probleme mit diversen Liebhabern von der Seele geredet hatte und der ihr daraufhin einen verständnisvollen Rat gab. Dann packten sie ihre beiden Motorräder und tobten über die englischen Küstenstraßen; eine Leidenschaft die Lena nur mit Niels richtig ausleben konnte. Die engen Kurven fraßen den Frust der beiden förmlich in den Asphalt hinein – ihren, weil eine Beziehung wieder einmal nicht klappte und seinen, weil er keine mit ihr hatte.

      Das änderte sich vor einer Woche schlagartig. Niels war der einzige, der sich damals Sorgen um Lena machte, also war er auf seine Suzuki gesprungen, die Strecke von London in einem Zug durchgefahren und überraschend in Italien aufgetaucht.

      Als sich die Aufregungen rund um die Verhaftung des korrupten Senators Prow gelegt hatten, beschlossen Niels und Lena, sich eine Auszeit zu gönnen und Lena wollte schon immer einmal nach Wien. Also packten sie alles auf seine Maschine und fuhren her. Es war ohnehin nur für ein paar Tage, da Niels wegen der Recherche an einer Story für den Guardian bald wieder nach London zurück musste.

      Auf der Fahrt nach Wien wusste sie dann, dass sie von nun an mit ihm zusammen sein wollte und während er das Motorrad in der Einfahrt des kleinen Hotels unterstellte, nahm sie bei der Rezeption ein Doppelzimmer.

      Jetzt saß er neben ihr, als wäre das schon ewig so gewesen, schlürfte vom Eiskaffee und blätterte den Packen an Zeitungen durch, den er mittags am Bahnhof besorgt hatte. Zwischendurch musterte er sie öfters mit einem Seitenblick, dabei murmelte undeutlich etwas wie: »Da bin ich ja mit einer richtigen Berühmtheit …«

      Lena musste lachen. Sie richtete sich auf und schob die Brille ins Haar.

      »Also zeig her, sonst platz ich noch vor Neugierde …«

      Sie nahm Niels das Magazin aus der Hand und blätterte zu dem Artikel, über dem sich ein Bild von ihr befand – ein wirklich schlechtes, wie Lena fand. Daneben stand fettgedruckt die Headline: GEHEIMER WAFFENDEAL AUFGEDECKT!

      »Wo die nur solche Fotos her haben?«, meinte sie kopfschüttelnd und las.

       Die bekannte Journalistin Lena Halberg deckte letzte Woche die illegale Lieferung eines schon seit langem verbotenen Kampfstoffes nach Kolumbien auf.

      Verwickelt in die Affäre ist unter anderem US-Senator Prow, der auch als Lobbyist für den Rüstungskonzern des Industriellen Arthur Bronsteen tätig ist. Senator Prow hat sich zu dem Korruptionsverdacht und den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen bekannt und bereits ein erstes Geständnis abgelegt.

       Arthur Bronsteen verwehrte sich in einer