Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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und Biedermeier geprägt war und in der zugleich die beginnende Industrialisierung zu massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führte. Für den Heranwachsenden markiert die Pariser Julirevolution von 1830 einen entscheidenden Politisierungsschub: „[M]it einem Schlag wurde ich Revolutionär und gelangte zu der Überzeugung, jeder halbwegs strebsame Mensch dürfe sich ausschließlich nur mit Politik beschäftigen“.22 Die Verbindung von Kunst und Politik lag damals in der Luft. Beethoven hatte seine Eroica Napoleon zum Geschenk gemacht, zog aber die Widmung zurück, nachdem sich der Franzose zum Kaiser erhob. Er vertonte zudem Schillers Ode an die Freude – und die intendierte politische Freiheit zog die künstlerische Freiheit nach sich, das Wort von der Musik zu emanzipieren, wie es der Komponist in seiner 9. Symphonie mit der Verwendung mehrerer Strophen als Chorgesang im letzten Satz dann tat. Für Wagners Kunst sollte dies zu einem Glaubenssatz werden. Während sein philosophischer Lehrmeister Schopenhauer, übrigens ein ausgewiesener Verächter der Tonkunst, ganz im Sinne der politisch-antipolitischen Romantik die Ansicht vertrat, der Musiker spreche die höchste Weisheit in einer Sprache aus, die seine Vernunft nicht verstehe, musste die Musik nach dem Verständnis von Wagner dramatisch und mit dem Wort verbunden sein, denn im Gegensatz zum Dichter könne der Musiker „nur Stimmungen, Gefühle, Leidenschaften und deren Gegensätze, nicht aber irgendwie politische Verhältnisse ausdrücken“.23

      Erhebliches Gespür für die Bewegungen seiner Zeit wird schon beim 21-jährigen Wagner deutlich, der sich wortstark über die „altdeutsch schwarzgerockten Demagogen“ und die „deutschtümelnden Musikkenner“ zu mokieren weiß – schon auf der ersten Seite des frühesten Prosatextes findet sich eine Parallelisierung von politischen und künstlerischen Gesichtspunkten.24 Jener Text, betitelt Die deutsche Oper, erschien 1834. Im gleichen Jahr wurde Heinrich Laube (1806–1884) wegen seiner Begeisterung für die Julirevolution aus Sachsen ausgewiesen. Der Wortführer des Jungen Deutschlands übte bedeutenden Einfluss auf Wagner aus.25 Viele seiner Positionen haben ihren Ursprung im Denken dieser literarisch-politischen Bewegung des Vormärz, etwa die Ablehnung der alten ständischen wie auch der sich herausbildenden bürgerlichen Ordnung, die scharfe Kritik am „Übermut einer Kultur, welche den menschlichen Geist nur als Dampfkraft der Maschine verwendet“26 und ein regelrechter „Ekel vor der modernen Welt“27. Laube gehörte zu den Linkshegelianern, und Wagner folgte ihm darin. Bis ans Ende seines Lebens, stellt Udo Bermbach fest, habe der Komponist nicht verleugnet, woher sein gesellschaftstheoretisches Denken stammte, „so wenig wie die Tatsache, dass seine Vorstellungen von Politik und politischer Organisation sich dem radikaldemokratischen Diskurs des deutschen Vormärz verdankten“.28 Das Spannungsverhältnis zwischen einem als unpolitisch verstandenen Patriotismus und scharfer Gesellschaftskritik bildet sich bei Wagner in seinen Pariser Jahren 1839 bis 1842 sowie in der folgenden Zeit als Hofkapellmeister in Dresden heraus. In Paris wurde er mit dem Gedankengut der französischen Frühsozialisten vertraut, vor allem Saint-Simon, Proudhon und Fourier. Sein deutscher Patriotismus wiederum sei entstanden, „als die Pariser Weltluft mich mit immer eisigerer Kälte anwehte“.29 Die Fremdheit in der französischen Metropole verstärkte ein Heimatgefühl, dessen politische Bedeutung in der Hinwendung zur Vergangenheit lag. Die deutsche Begeisterung für das Mittelalter, so Herfried Münkler, sei im 19. Jahrhundert als Antwort auf den französischen Revolutionsmythos entstanden: Das Mittelalter sei dabei zugleich romantisiert wie germanisiert worden, um den Mythos nicht mit dem ungeliebten Nachbarn teilen zu müssen.30

      Die vermeintliche Weltflucht verband sich im Denken Wagners mit einem Frontalangriff auf die Gesellschaftsstrukturen seiner Zeit. Seine Welt, schrieb er, werde „eben genau da erst eintreten, wo die gegenwärtige aufhörte; oder da, wo Politiker und Sozialisten zu Ende wären, würden wir anfangen“.31 Auch in Wagners Operntexten aus jener Zeit spiegeln sich seine „utopischen Visionen zum Verhältnis von Politik, Gesellschaft und Kunst“ (Udo Bermbach)32. In den politischen Schriften ging er mit dem Postulat der sozialen Gleichheit deutlich über die Saint-Simonisten und Fourieristen hinaus.33 Wagners Ausgangspunkt ist dabei stets die Kunst, der er die entscheidende gesellschaftliche Hebelwirkung zuschreibt. In Oper und Drama setzt er die Verfallsgeschichte von Oper und Gesellschaft kurzerhand gleich.34 Und in der Mitteilung an meine Freunde heißt es: „Auf dem Wege des Nachsinnens über die Möglichkeit einer gründlichen Änderung unserer Theaterverhältnisse, ward ich ganz von selbst auf die volle Erkenntnis der Nichtswürdigkeit der politischen und sozialen Zustände hingetrieben, die aus sich gerade keine anderen öffentlichen Kunstzustände bedingen konnten, als eben die von mir angegriffenen.“35 Die Veränderung der Gesellschaft scheint für ihn umgekehrt nur insofern von Belang zu sein, als er sich davon die Reform der Kultur versprach. Mit dieser radikalen Präferenz nahm Wagner im Spektrum der freiheitlichen deutschen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle ein. Er habe zwar an die „Notwendigkeit und Unaufhaltsamkeit“ der Revolution geglaubt, wird er später festhalten. Doch habe es ihm ferngelegen, „das Neue zu bezeichnen, was auf den Trümmern einer lügenhaften Welt als neue politische Ordnung erwachsen sollte“. Begeistert habe er sich vielmehr gefühlt, „das Kunstwerk zu zeichnen, welches auf den Trümmern einer lügenhaften Kunst erstehen sollte“.36

      In seiner utopischen Vorstellung wollte Wagner die Kunst am liebsten ganz an die Stelle von Politik setzen.37 Sein anarchistisches Modell sah statt festen Institutionen lose Netzwerke und Bürgerinitiativen vor. „Kunstgenossenschaft en“ sollten den Kern der künftigen Gesellschaft bilden. In Die Kunst und die Revolution heißt es: „Die Kunst und ihre Institute (…) können somit die Vorläufer und Muster aller künftiger Gemeindeinstitutionen werden: der Geist, der eine künstlerische Körperschaft zur Erreichung ihres wahren Zweckes verbindet, würde sich in jeder anderen gesellschaftlichen Vereinigung wiedergewinnen lassen, die sich einem bestimmten menschenwürdigen Zweck stellt“.38 Die Kunst also als Übermutter der Politik, der Künstler als ihr Übervater, so Hans Mayer: „Die Revolution ist seine Revolution. Gewiss geht es auch ihm um die deutsche Einheit, um neue Verfassungsformen: aber vor allem geht es ihm doch um die Verwirklichung seiner künstlerischen Projekte mit Hilfe der Revolution.“39 Mayers Urteil ist indes nicht uneingeschränkt zuzustimmen, da ihm das praktische Verhalten des Komponisten entgegensteht. So ist etwa in Wagners Rede Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königtum gegenüber? im Juni 1848 im Dresdner Vaterlandverein von Kunst mit keinem Wort die Rede. Er greift den Adel heftig an und stellt klare politische Forderungen: Abschaffung der Ersten Kammer, Wahlrecht für alle Männer und Frauen sowie allgemeine Volksbewafnnung.40 Wagner warnt vor dem Tag, „wo die gewaltsam verhöhnte Natur zu einem rohen Kampfe sich ermannt, dessen wildes Siegesgeschrei wirklich jener Kommunismus wäre“. (…) Glaubt ihr, ich drohe? Nein, ich warne!“ Vor allem aber wartet der Hofkapellmeister hier mit der eigentümlichen Forderung auf, der König solle „der erste und allerechteste Republikaner sein“. Die Vorstellung, Republik und Monarchie seien vereinbar, war für den deutschen Liberalismus der Zeit zwar nicht eben untypisch.41 Politisch verquer war sie dennoch, und dass der Komponist den republikanischen Monarchen als „Mann der Vorsehung“ pries, hat einem Wagnerianer wie Hitler gut gefallen.

      Von seinen rein politischen Aktivitäten wollte der Komponist später nichts mehr wissen. In Mein Leben schilderte er lakonisch, der Vaterlandsverein habe einen Ausschuss gegründet, der einen Entwurf zur Volksbewaffnung erarbeiten sollte. Er habe sich daran lediglich „als Kunstfreund“ beteiligt.42 Ebenso wusste der Komponist seine Rolle in der Dresdner Mairevolution von 1849 herunterzuspielen. Wagner war wohl auch in der Umsturzpraxis viel entschlossener als angenommen, was seine gern als metaphorisch abgetane Äußerungen über „Terrorismus“ in einem anderen Licht erscheinen lässt. Nie widerlegt wurde die Aussage eines Dresdner Gelbgießers, der Kapellmeister habe eine Anzahl Handgranaten bei ihm bestellt und ihn nach Fertigstellung beauftragt, sie mit Sprengstoff zu füllen.43 Wagners Ruf als Mann der Tat hatte sich jedenfalls in ganz Europa herumgesprochen. Als er im Herbst 1849 kurzzeitig nach Paris floh, fragte ihn Meyerbeer prompt: „Wollen Sie Partituren für die Barrikaden schreiben?“ 44

      Flucht und Exil bilden zunächst eine scharfe Zäsur im Leben Richard Wagners, deren praktische und mentale Folgen auf keinen Fall zu unterschätzen sind. Mehr als ein Jahrzehnt lang darf der anfangs steckbrieflich gesuchte Künstler deutschen Boden nicht betreten. Während Revolutionskameraden wie August Röckel in die Festungshaft