Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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Kontinuität sichtbar.114 Das Festspielhaus wurde ab 1872 letztlich genau so errichtet, wie der Komponist es von Anfang an wollte: mit unsichtbarem Orchester sowie einem amphitheatralischen, während der Aufführungen vollkommen verdunkelten Zuschauerraum. Mit seinem Fachwerk erinnert es von außen sogar an die einst imaginierte provisorische Bretterbude vor den Toren Zürichs. Was den Spielplan betraf, kehrte Wagner zu seinem Ausgangsgedanken zurück, im Festspielhaus ausschließlich den Ring zeigen zu wollen. Deshalb konnte es nicht verwundern, dass der Komponist die separaten, von Ludwig II. befohlenen Münchner Uraufführungen von Rheingold 1869 und Walküre 1870 als schwere Kränkung und Demütigung empfinden musste. Der König wiederum sah in Wagners Widerstand eine Majestätsbeleidigung. Er wies seinen Hofrat Düfflipp an, die „widerstrebenden Kräfte“ zum Gehorsam zurückzuführen und zu unterwerfen.115 Der zornige Regent fühlte sich im Recht – er war Eigentümer der Ring-Partitur, doch zugleich verstieß er gegen Wagners Festspielgedanken.116 Wagner war danach gleichsam als Ideologe seiner eigenen Idee gezwungen, seine Pläne zu konkretisieren und endlich nach einem passenden Ort zu suchen.117 Da Siegfried unmittelbar vor der musikalischen Vollendung stand, musste der Komponist zudem befürchten, dass sich sein königlicher Seelenfreund auch dieses Werks zwecks Münchner Aufführung bemächtigen würde. Ludwig II. erwog sogar, die beiden ersten Akte der Oper zu zeigen, da der dritte noch gar nicht komponiert war.118

      Bayreuth als möglicher Aufenthalts- oder auch Festspielort stand seit längerem vor Wagners Augen. Besucht hatte er die Stadt bereits sehr viel früher, am 26. Juli 1835 auf der Reise von Karlsbad nach Nürnberg. In seiner Autobiographie schreibt Wagner: „Die Fahrt durch Eger, über das Fichtelgebirg, mit der Ankunft in dem vom Abendsonnenschein lieblich beleuchteten Bayreuth, wirkte noch bis in späteste Zeit angenehm auf meine Erinnerung.“119 Drei Jahrzehnte später, im Februar 1866, kommt Wagner auf Bayreuth zurück. In einem Brief an Hans von Bülow malt er sich im Zuge seiner anschwellenden Nürnberg-Begeisterung aus: „Ich wünschte, der König gäbe mir einen Pavillon des Bayreuther Schlosses zum Ruhesitz: Nürnberg in der Nähe – Deutschland um mich herum.“120 Hier tauchen bereits beide Motive auf, die Wagner später immer wieder als Vorzüge eines Festspielstandorts Bayreuth betonte: Die Stadt liegt im bayerischen Herrschaftsbereich und zugleich – verkehrsgünstig – in der Mitte Deutschlands. Am 24. Juli 1866 empfiehlt Wagner Ludwig II. gar, München den Rücken zu kehren und die Regierung nach Nürnberg zu verlegen. Der König dachte durchaus über den Vorschlag nach. „Sollte ich auch ferner Grund haben mit den Bewohnern meiner bisherigen Hauptstadt unzufrieden zu sein, so soll mich nichts hindern mein Hoflager in Nürnberg aufzuschlagen und dorthin den Sitz meiner Regierung zu verlegen“, schrieb er noch im November an Cosima.121 Seine Residenz indes, hatte Wagner empfohlen, sollte der Monarch in Bayreuth als dem „Herz Deutschlands“ nehmen.122 Dieser Vorschlag war im Kontext von Wagners Bemühungen, den bayerischen König im deutsch-deutschen Krieg auf die Seite Preußens zu ziehen, durchaus ein Politikum. Denn Bayreuth war Stammsitz der fränkischen Hohenzollern und hatte mit der glorreichen Zeit der Markgräfin Wilhelmine (1709–1758), Schwester Friedrichs des Großen, eine deutliche preußische Note. Hätte sich Ludwig II. auf den Vorschlag seines Künstlerfreundes eingelassen, wäre das ein klares Verständigungszeichen gegenüber Bismarck gewesen. Das aber kam für den Regenten in dieser Situation nicht in Frage.

      Der König ließ sich von Wagner gleichwohl überzeugen, den fränkischen Teilen seines Herrschaftsgebietes mehr Aufmerksamkeit als bisher zu schenken. Ehemals selbständige Gebiete wie die Bistümer Bamberg und Würzburg, die reichsfreie Stadt Nürnberg oder das Markgraft um Bayreuth-Ansbach gehörten erst seit wenigen Jahrzehnten zur Krone, die Integration war noch keineswegs abgeschlossen. Franken war vom Krieg 1866 besonders schwer gebeutelt worden. Im Spätherbst unternahm Ludwig II. eine Reise durch die zerstörten Gebiete, er besuchte unter anderem Bayreuth, Hof und Schweinfurt. Die Reise des menschenscheuen Monarchen kam erst auf intensives Zuraten der bayerischen Minister und Wagners zustande – und wurde ein Triumphzug für Ludwig II.123 Zuvor schon hatte der Komponist seine Liebe zu Nürnberg entdeckt und siedelte dort seine einzige historische Oper an, die 1868 vollendeten Meistersinger. In besagtem Brief an Bülow von Februar 1866 notierte er: „Dass dieser eigentliche wahre u. einzige ‚deutsche‘ Kunstsitz, das protestantische Nürnberg – zur bayerischen Krone gekommen ist, und dadurch in die Domäne meines katholisch-enthusiastischen Königsfreundes geraten, ist wunderbar bedeutend“. Wagner will dort eine Kunstschule ansiedeln, die „deutsch und unjüdisch“ ist.124 Als er vor dem Krieg ein deutsches Bündnis anregt, in das auch Preußen und Österreich gezwungen werden, will er die Fürsten in Nürnberg versammelt sehen.125 Und die Festwiese der Meistersinger, in denen merkwürdigerweise kaum Politik vorkommt, wird von Udo Bermbach als ein in die Natur verlegtes Amphitheater, ein sich im Naturzustand befindliches Bayreuth interpretiert.126

      Markgräfin Wilhelmine spielte auch bei der Entscheidung für Bayreuth als Festspielstadt eine Rolle. Nachdem sich die Münchner Theaterpläne Ludwigs II. zerschlagen hatten, wurde Wagner zuerst von Hans Richter, dem späteren ersten Ring-Dirigenten, auf die Stadt aufmerksam gemacht.127 Im Zusammenhang mit dem Diktat von Mein Leben stieß Wagner dann am 5. März 1870 erneut auf Bayreuth. Laut ihrem Tagebuch ermunterte Cosima ihren Mann, im Konversationslexikon den Artikel „Baireuth“ zu lesen. Diesen Ort habe Richard zuvor „genannt als den, den er wählen wollte, zu unsrer Freude lesen wir unter den Gebäuden ein prachtvolles altes Opernhaus darin aufgeführt!“128 Was mit Wagners „Wahl“ gemeint ist, wird nicht deutlich. Auch bleibt es ein Rätsel, wie er geglaubt haben kann, dass das Markgräfliche Opernhaus, ein typisches logengeprägtes Hoftheater aus dem 18. Jahrhundert, für seine Zwecke geeignet sein könnte. Es ist irritierend, dass der Komponist in Betracht gezogen hat, hier den Ring aufzuführen. Erst ein Jahr später fuhren die Wagners nach Bayreuth und überzeugten sich an Ort und Stelle, dass Wilhelmines Bauwerk als Festspielbühne nicht in Frage kam. Wie „unmöglich muss es dünken Siegfried und Wotan inmitten von Amoretten, Muscheln“ und dem „Apparat des 18ten Jahrhunderts auftreten zu lassen“, schrieb Cosima.129 Bei den ersten Festspielen 1876 wurde der barocke Prachtbau lediglich als Probenbühne verwendet.130 An der Stadt Bayreuth allerdings blieb das Herz der Wagners sofort hängen. Richard kleidete die Entscheidung später in eine kleine Ideologie: „In Deutschland ist wahrhaft nur der ‚Winkel‘, nicht aber die große Hauptstadt produktiv gewesen.“131 Selbst ein entschiedener Wagnerkritiker wie der Schriftsteller und Journalist Paul Lindau musste anerkennen: Bayreuth sei ein bescheidenes Fleckchen Erde, „das von den großen Verkehrsstraßen ganz abseits liegt und niemals zufällig berührt, sondern immer nur absichtlich erreicht wird“.132

      Die Geburt der Festspiele aus dem Geiste der Bürgerlichkeit

      Thomas Mann hat in Leiden und Größe Richard Wagners über den Komponisten geschrieben: „Er ist den Weg des deutschen Bürgertums gegangen: von der Revolution zur Enttäuschung, zum Pessimismus und einer resignierten, machtgeschützten Innerlichkeit.“133 Tatsächlich waren die Festspiele in Bayreuth auch das Ergebnis der Verbürgerlichung des romantisch geprägten Künstlers, der über Jahrzehnte hinweg ein unstetes Bohèmeleben geführt hatte. Dies erfolgte eher auf Druck der Verhältnisse als aus freiem Willen. Der Hausstand des Komponisten umfasste eine siebenköpfige Patchworkfamilie mit Kindern in überwiegend schulpflichtigem Alter, was einen dauerhaften Wohnsitz nahelegte. Die Festspiele wiederum setzten ein organisatorisch-institutionelles Grundgerüst voraus, samt Anbindung, wenn nicht Anbiederung an die örtlichen Gegebenheiten. Die Stadt Bayreuth schließlich erhoffe sich durch den Bau des Festspielhauses Aufträge für das heimische Handwerk und einen touristischen Aufschwung durch die zu erwartenden Gäste. Heute würde man das Mittelstandsförderung nennen. Nachdem Wagner in der Oper Die Meistersinger von Nürnberg seinen Frieden mit dem Bürgertum gemacht hatte und sich in Tribschen erstmals für längere Zeit sesshaft geworden war, wurde er in Bayreuth zum ersten Mal selbst Bürger.134 Die verspätete deutsche Nation, die erst in der Reichsgründung von 1871 eine staatliche Form erhielt, fand eine zeitgleiche Entsprechung im späten Habituswechsel des Künstlers.

      Das damalige Bayreuth ist ein verschlafenes Beamtennest von rund 18.000 Einwohnern, dessen beste Zeiten weit über ein Jahrhundert zurückliegen. Die Stadt atmet eher den Geist der Gemütlichkeit von Jean Paul, des berühmten, viele Jahre