Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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in Wagner auf der einen Seite einen weiteren Politisierungs- und Ideologisierungsschub aus. Im August schrieb er: „Wenn ich zu etwas komme, geschieht es nur durch Terrorismus“.45 Auf der anderen Seite sublimierte der revolutionäre Feuerkopf seine politischen Prägungen und distanzierte sich von ihnen: „Nie hatte ich mich eigentlich mit Politik beschäftigt“, schrieb er in der 1851 veröffentlichten Mitteilung an meine Freunde.46 Das war selbstverständlich eine Form von Camouflage. Schon die Wahl des Exilortes Zürich, dem der Komponist den Vorzug vor den europäischen Musikmetropolen gab, war eine „eindeutige Option, vor allem eine politisch motivierte“ (Udo Bermbach)47. Denn dort fand er jene Freunde wieder, denen er sich „nicht nur persönlich, sondern auch in politischen und ästhetischen Fragen verbunden fühlte“. Die Kunst des Dichters, heißt es in Wagners wichtigster, gleichfalls 1851 erschienenen Schrift Oper und Drama, sei „zur Politik geworden: Keiner kann dichten, ohne zu politisieren.“ 48 Der Autor selbst machte davon nicht nur in seinen musikalischen Werken Gebrauch, sondern auch in den musiktheoretischen Schriften. In Oper und Drama schreibt er weiter: „Seit dem Bestehen des politischen Staates geschieht kein Schritt in der Geschichte, der, möge er selbst mit noch so entschiedener Absicht auf seine Befestigung gerichtet sein, nicht zu seinem Untergange hinleite. (…) Der politische Staat lebt einzig von den Lastern der Gesellschaft, deren Tugenden ihr einzig von der menschlichen Individualität zugeführt werden.“ Zur gleichen Zeit, als Wagner dies niederschrieb, machte der Musiker und „alte rote Republikaner“ Hans von Bülow (1830–1894), wie er sich selbst nannte, in linksradikalen Zeitungen Werbung für ihn und schenkte Ferdinand Lassalle die frischgedruckte Ausgabe der Nibelungen-Dichtung mit rotem Einband.49 So war es kein Wunder, dass das nachrevolutionäre Bürgertum in Deutschland dem exilierten Musiker skeptisch gegenüberstand. Als 1855 in München Tannhäuser aufgeführt wurde, erhob sich lautstarker Protest gegen den Sozialdemokraten und roten Revolutionär Wagner.50

      Als der heimatvertriebene Künstler 1864 von König Ludwig II. nach München eingeladen wird und sein „goldenes Zeitalter“ (Eduard Hanslick)51 anbricht, begreift er zum ersten Mal, dass ihm der Staat nützlich sein kann, wenn die Machthaber der Kultur zugetan sind.52 In der Schrift Über Staat und Religion, verfasst auf Wunsch des Königs, gibt Wagner dem Staat erstmals eine positive Bedeutung. Sein positives Denken über die Monarchie hält dabei an, zugleich schimmert immer wieder auch das Revolutionäre durch. In der Schrift rechtfertigt er seine früheren politischen Aktivitäten wie folgt: „Was ich da suchte, war wirklich immer nur meine Kunst“. Demgegenüber habe er sich erst die eigentliche „Tendenz des Staates“ verdeutlichen müsse, die im Streben nach „Stabilität“ liege.53 Verbunden ist dies mit einem Lob des Monarchen, mit dem Wagner bereits in der Revolutionszeit für Irritationen gesorgt hatte: Es gebe in keinem Staate ein wichtigeres Gesetz, „als welches seine Stabilität an die erbliche höchste Gewalt einer besonderen, mit allen übrigen Geschlechtern nicht verbundenen und nicht sich vermischenden, Familie heftet“. Damit zeigte der Komponist eine gewisse Kontinuität des Denkens, verriet aber zugleich ein gerüttelt Maß an Opportunismus im Angesicht der geldgebenden Macht in der Person des bayerischen Königs. War Wagner in Dresden ohne echten politischen Einfluss geblieben, wurde er in München zum gewichtigen politischen Akteur.54 „Nun und nimmer wird das glatt abgehen, dass ein Künstler entscheidenden Einfluss auf das Gesamtleben des Staates bekommt“, hatte sein Freund Peter Cornelius vorausgeahnt.55 Wagner spielte sich zum Königsflüsterer auf und legte sich mit dem gesamten Kabinett an, vor allem mit Ministerpräsident von der Pfordten. Im Dezember 1865 musste Wagner München verlassen. Das Kabinett hatte mit kollektivem Rücktritt gedroht, sollte er bleiben.56 Wagners Enkel Franz Wilhelm Beidler (1901–1981) fasst zusammen, anfangs habe der Komponist gewiss nur seine Kunstpläne im Sinn gehabt, „und es wäre widersinnig anzunehmen, er sei mit der Absicht, in politische Dinge einzugreifen, nach Bayern gekommen. Aber einmal hängen allgemeine und Kunstpolitik enger zusammen, als man so oft zugeben will.“57

      Bemerkenswerterweise behielt Wagner seinen Einfluss auf Ludwig II. auch nach dem erneuten Gang in die Schweiz aufrecht. Im Jahr 1866 spielte dies insbesondere im preußisch-österreichischen Konflikt eine Rolle. Wagners Verhältnis zu Preußen, dessen Truppen 1849 den Dresdner Aufstand niedergeschlagen hatten, war zwiegespalten. Der Komponist wandte sich entschieden gegen eine von Bismarck anvisierte kleindeutsche Lösung und warb für einen Nationalstaat unter Einschluss Österreichs.58 In diesem Sinne versuchte er auch, den bayerischen König zu beeinflussen. Wagner begeisterte sich für das 1865 erschienene Buch Die Wiederherstellung Deutschlands von Constantin Frantz (1817–1891) und empfahl es Ludwig II. zur Lektüre.59 Gegen die preußische Machtpolitik plädierte Frantz darin für ein dreigeteiltes, förderalistisches Deutschland. Auch für Wagner stand Preußen im Gegensatz zum deutschen Volksgeist.60 An den bayerischen Monarchen schrieb er noch am 29. April 1866 über Bismarck und König Wilhelm: „Mit welcher grauenhaften Frivolität hier mit den Schicksalen der edelsten, größten Nation der Erde gespielt wird: wie dort ein ehrgeiziger Junker seinen schwachsinnigen König auf das frechste betrügt und ihn ein unehrenwertes Spiel spielen lässt, vor dem, wenn er es erkännte, der rechtschaffende Monarch sich entsetzen würde“.61 Anfang Juni 1866 indes, kurz vor dem preußisch-österreichischen Waffengang, hat sich Wagners Ton deutlich gemildert, er verzichtet auf harsche Töne gegenüber dem künftigen Sieger. In seinem „politischen Programm“ für Ludwig II. deutete sich die veränderte Großwetterlage unüberhörbar an.62 Der Komponist hält Preußen und Österreich gleichermaßen vor, bundesbrüchig geworden zu sein. Von Bayern erwartete er hingegen die Suche nach einem politischen Ausweg. Wagner plädierte für einen erneuerten, militärisch aufgerüsteten Deutschen Bund als Gegengewicht gegen die beiden Mächte.

      Am 20. Juni 1866 beginnt der deutsch-deutsche Krieg, Bayern zieht an der Seite Österreichs in die Schlacht gegen Preußen. Drei Tage später schreibt Wagner an seinen alten Barrikadennachbarn Röckel: „Freund! Willst und musst Du noch Politik treiben, so – halte Dich an Bismarck u. Preußen. Hilf Gott, ich weiß nichts andres.“ Doch glaubt Wagner noch an die Macht der Geschichte: „Deutschland kann kein zentralisierter Staat werden: grade die Preußen werden es erfahren, dass nur Föderalismus in Deutschland möglich ist.“63 Als Wagner dies schreibt, hatte Bismarck bereits versucht, ihn als Mittelsmann für die preußische Sache zu gewinnen.64 Schon zuvor gab es Versuche, Wagner für höhere politische Zwecke zu benutzen: Fürst Maximilian Karl von Thurn und Taxis wollte ein Königreich Rheinland-Westfalen mit seinem Sohn als Regenten schaffen. Wagner sollte den bayerischen König in diesem Sinne beeinflussen, lehnt das aber ab.65 Nun war der Komponist dazu ausersehen, Bayern auf die Seite Preußens zu ziehen. Mittelsmann war François Wille, ein Studienfreund Bismarcks. Doch Wagner behauptete, keinerlei politischen Einfluss auf Ludwig II. zu haben. Wenn er die Sprache auf Politik bringe, schaue der König immer in die Luft und pfeife.66

      Der gescheiterte Einflussversuch hatte immerhin eine Langzeitwirkung. Wagner setzte sich noch während des Krieges, der am 3. Juli in der Schlacht bei Königgrätz entschieden wurde, dafür ein, dass der preußenfreundliche Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst bayerischer Ministerpräsident wird.67 Im Dezember 1866 folgte der König dem Rat.68 Am 24. Juli 1866 schrieb Wagner an Ludwig II.: „Während Deutschland politisch sich vielleicht in einen langen Winterschlaf unter preußischer Obhut begibt, bereiten Wir wohl und ruhig und still den edlen Herd, an welchem sich einst die deutsche Sonne wieder entzünden soll.“69 Bei anderer Gelegenheit riet er seinem königlichen Mäzen zu einer Aufrüstung gegen Frankreich, da ein „Kampf zwischen französischer Zivilisation und deutschem Geiste“ im Gange sei.70 Österreich war für Wagner als Machtfaktor offenbar vollkommen abgeschrieben. Nach Königgrätz ließ er mit Hans und Cosima von Bülow Bismarck hochleben, das borussisch euphorisierte Trio erkor „delenda Austria“ (Zerstört Österreich) zum Wahlspruch.71 Den deutsch-französischen Krieg von 1870 begrüßte der Komponist uneingeschränkt.72 Dieser sei „nur gemacht, um mir zu meinem Ziele zu verhelfen“.73 Gemeint war die Gründung der Festspiele und die Aufführung des Nibelungendramas. Wagner wollte Bismarck persönlich bitten, Paris zu vernichten.74 Nach dem deutschen Sieg gegen Frankreich verspottete Wagner die Unterlegenen nicht nur in dem erwähnten Gedicht An das deutsche Heer vor Paris. Das Bombardement auf die Stadt bereitete den Wagners wiederholt Genugtuung.75 Und die Anrufung des deutschen Gewissens durch Victor Hugo im November 1870 beantwortete der Komponist in einem reichlich geschmacklosen „Lustspiel