Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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der NS-Kulturpolitik gegenüber Bayreuth, die mit den sogenannten Kriegsfestspielen den Höhepunkt des staatlichen Zugriffs erreichte.

      Der sektiererische, kultische Zug Bayreuths schwächte sich nach dem Zweiten Weltkrieg signifikant ab. Die Festspiele, nun unter Leitung der Enkel Wieland und Wolfgang, bildeten ihre vormals kämpferische Ideologie in eine passiv- aggressive Gesinnung um und verlegten sich ganz auf künstlerische Aspekte. Die scheinbar entpolitisierende Selbstumdeutung des Unternehmens zielte auf eine Anpassung an die politisch-kulturellen Normen der jungen Bundesrepublik. Deren Mustern entsprach auch die spezifische Bayreuther Vergangenheitsverdrängung, die es mit sich brachte, dass die alten Nationalsozialisten nach Wiedergründung der Festspiele 1951 viele Jahre weiterwirken konnten. Erst spät schrieben in den Programmheften auch herausragende Linksintellektuelle wie Adorno, Bloch, Foucault oder Lévi-Strauss. Beim Parsifal 1982, ein Jahrhundert nach Uraufführung des Bühnenweihfestspiels, stieß Hans Küng die „Weltethos“-Diskussion an.50 Dass es in Neubayreuth über den künstlerischen Bruch mit der Vergangenheit hinaus keine oder nur eine reichlich verspätete Entnazifzierung der Festspiele gab, machte aus dem Ort einen „Mikrokosmos der Bundesrepublik“ (Frederic Spotts)51. Politische Momente für die Wagner-Festspiele brachten auch der Ost-Welt-Konflikt, die Gründung der Festspielstiftung 1973, die aus einem bis dato privaten ein öffentliches Unternehmen machte, sowie das hundertjährige Bayreuth-Jubiläum mit Patrice Chéreaus legendärer Ring-Inszenierung mit sich. Trotz des erbittert geführten Familienkampfes um die Nachfolge von Festspielleiter Wolfgang Wagner konnten sich die Festspiele bis in die jüngste Gegenwart hinein ihren weltweit einzigartigen Ruf bewahren, wobei künstlerische Qualität, wirtschaftlicher Erfolg und politische Bedeutung Bayreuths in einem eigentümlichen Verhältnis stehen.

      Der Zusammenhang zwischen Kunst und Politik liegt mit Blick auf die Festspiele zwar auf der Hand, wird aber von Wagner-Apologeten bis in die Gegenwart hinein gerne bestritten. Gleichermaßen neigen sie dazu, den ideologischen Gehalt des ästhetischen Materials in den Opern des Komponisten zu negieren.52 Die These von den unpolitischen Festspielen geht im Kern auf die deutschnationale Ideologie Chamberlains und seiner Adepten zurück, während die kosmopolitische Wagnerdeutung in der Nachfolge von Nietzsche, Charles Baudelaire und George Bernard Shaw die politischen Bezüge sehr viel früher und mit deutlich weniger Scheu thematisierte.53 Weil Wagner ein hochpolitischer Künstler war, wurde Bayreuth ein politischer Ort. Unfreiwillig komisch musste es deshalb wirken, wenn im Festspielhaus von Zeit zu Zeit auf Schildern unter dem Meistersinger-Motto „Hier gilt’s der Kunst!“ gebeten wurde, keine nationalistischen Lieder zu singen oder auf politische Diskussionen ganz zu verzichten. Im Zusammenhang mit Hans-Jürgen Syberbergs berüchtigtem Winifred-Film von Mitte der 1970er Jahre, in dem sich die ehemalige Hügel-Chefin ihrer Freundschaft mit Adolf Hitler rühmte, erklärte Wolfgang Wagner gar: „Seit 1951 ist die Politik hier im Festspielhaus weggewischt.“54 Der Festspielleiter räumte damit zwar immerhin ein, dass es zuvor nicht immer ganz sauber zugegangen war. Doch der Meistersinger-Satz, so Stefan Bodo Würffel, diene „bis heute dazu, die Wirkungsgeschichte vom Werk zu trennen, als wären die zwei paar Stiefel nicht gemeinsam marschiert“.55 Von Anfang an, stellt Dietrich Mack fest, „scheinen bei Wagner Werk und Wirkung nicht nur einen legitimen, sondern einen inzestuösen Bund eingegangen zu sein, dem mit Logik kaum beizukommen ist.“56 Deshalb ist es im Fall des Komponisten notwendig, die Zusammenhänge zwischen künstlerischem Ausdruck und politischer Wirkung sichtbar zu machen. „Selbst der radikalste Ästhetizismus ist nicht politikfrei, und die Apolitie reiner Innerlichkeit ist selber ein Politikum“, so der Wagnerforscher Jörn Rüsen.57

      Literatur mit Lücken

      Dass politische Faktoren bei der Betrachtung von Wagner und Bayreuth tendenziell vernachlässigt werden, spiegelt sich auch in der Forschungssituation. Die Literatur zum Thema schwankt zwischen ausschweifendem Reichtum und einer Reihe irritierender Erkenntnislücken. Der Komponist selbst zählt zu den meistbeschriebenen Männern der Weltgeschichte – hinter den Bücherstapeln ist seine Persönlichkeit kaum mehr erkennbar. Die Fülle der Literatur lässt an das berühmte Bonmot Karl Valentins denken, wonach bereits alles gesagt sei, nur noch nicht von allen. Die Graphomanie, also die Schreibwut, ist nach den Worten von Max Nordau „ein charakteristisches Krankheitssymptom Wagners und der Wagnerianer“.58 Doch es gibt Lücken. Analog zur Apologetik hat die zeitgeschichtliche und kulturhistorische Forschung sowohl die ideologische Wirkungsgeschichte des Komponisten als auch die politischen Implikationen der Bayreuther Festspiele bisher nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Es gebe bei Wagner Erkenntnislücken, konstatierte John Deathridge noch in den 1980er Jahren, „weil dem Zusammenhang Musik und Ideologie in der Regel eindringliche wissenschaftliche Untersuchungen verweigert werden“.59 „Was nach wie vor fehlt“, so Joachim Fest bei der Elmauer Tagung „Richard Wagner im Dritten Reich“ im Sommer 2000, „sind verlässliche Abhandlungen zur historischen Seite hin oder, mit einem anderen Wort: Arbeiten zur Grundlagenforschung.“ Er konstatierte zugleich „die herrschende Vernachlässigung der politischen Wirkungen Wagners“.60 Was den politischen Komponisten Wagner angeht, hat Udo Bermbach mit seinen umfangreichen Arbeiten diese Lücke inzwischen geschlossen.61 Doch das gilt nicht für Bayreuth selbst. In der bisher einzigen umfassenden Monographie zur Festspielgeschichte stellt Frederic Spotts lediglich oberflächliche Verbindungen zur deutschen Politik her.62 Auch in anderen wichtigen Veröffentlichungen sind der zeitgeschichtliche Hintergrund sowie Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen in der Geschichte des Unternehmens und seinen Beziehungen zum jeweiligen Staatswesen deutlich unterthematisiert.

      Selbst das Thema „Wagner im Dritten Reich“, das in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten auf nachhaltiges Interesse stößt, markierte in der Fachwelt erstaunlicherweise lange Zeit eine „schmerzliche Forschungslücke“ (Jörn Rüsen)63. Eine historische Analyse der Festspielgeschichte in der NS-Zeit fehlt ebenso wie eine politische Biographie über den Bayreuther Chefpropagandisten Chamberlain – englischsprachige Publikationen über ihn sind nicht übersetzt worden64 – oder die Hitlerfreundin Winifred. Dass ein Mann wie Hans Frank, später Generalgouverneur in Polen und als Kriegsverbrecher hingerichtet, in den 1930er Jahren Dauergast in Wahnfried und dort mit der Haushälterin liiert war, wird von der Forschung bisher so gut wie vollständig negiert.65 Die derzeit bestimmenden Wagnerdiskussionen zielen zum einen auf den antisemitischen Gehalt der Opern sowie zum anderen auf die Frage, ob die starke Vereinnahmung des Komponisten durch den Nationalsozialismus im Wesentlichen auf ihn selbst oder aber auf ein verfälschendes Wirken seiner Nachkommen und Anhänger zurückzuführen sei – als habe die Macht des Zeitgeistes gleichsam über das Vermächtnis des „Meisters“ gesiegt.66 Beide Themen sind eng mit den historischen Voraussetzungen des Massenmordes an den europäischen Juden verknüpft – und berühren zugleich die Bayreuther Vergangenheit und Gegenwart.67 Sind Figuren wie Mime oder Beckmesser antisemitisch gemeint? Denkt Wagner in seinen Schriften die physische Vernichtung der Juden vor? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der religioiden Wagnerverehrung und dem antidemokratischen Führerprinzip? Warum andererseits beruf sicht Adolf Hitler bei seinen antisemitischen Tiraden nicht stärker auf sein Vorbild Wagner?

      Solche Fragen lassen sich nicht allein rational-wissenschaftlich beantworten, sondern müssen auch wirkungsgeschichtlich betrachtet werden. Der leidenschaftliche Wagnerianer Thomas Mann, dessen Hinweise auf den hochpolitischen Charakter des Komponisten und seiner Bedeutung für die Nachwelt lange Zeit nicht genug Resonanz fanden, schrieb 1949, es sei „viel ‚Hitler‘ in Wagner“.68 Diese Bemerkung war allerdings eher auf die vergleichbaren Charaktere und Persönlichkeitstypen als auf politisch-ideologische Gemeinsamkeiten gemünzt.69 So hat Joachim Köhlers These, bei dem Komponisten und dem Massenmörder handele es sich um „Prophet und Vollstrecker“, in der Forschung denn auch nur geringen Zuspruch gefunden.70 Ebenso wenig allerdings lässt sich Wagners Nachwirkung einfach von der deutschen Katastrophe des 20. Jahrhunderts trennen. Hubert Kolland kommt zu dem Ergebnis, die Faschisten hätten „in Wagner und dessen Werke weit mehr hineinprojiziert als aus ihnen herausdestilliert“.71 Doch gerade an der Entwicklung des Grünen Hügels lässt sich ablesen, dass der Nationalsozialismus kein „Betriebsunfall“ war, sondern tief in der kulturell-geistigen Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert wurzelte. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wagner und Hitler muss unvoreingenommen und ergebnisoffen gestellt