Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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niederreißen „und politische Macht dazu benutzen, um seiner Idee von der Kunst der Zukunft zum Siege zu verhelfen“.30 Wagners politische Grundanschauungen, fasst Hans Mayer zusammen, seien ohne seine musikdramatischen Gestaltungen nicht zu verstehen. „Ohnehin verbietet sich eine solche Aufteilung zwischen der politischen und der ‚rein künstlerischen‘ Sphäre bei Wagner von selbst. Denn er vor allem strebte in aller Bewusstheit nach der Einheit aus künstlerischer Form und weltanschaulichem Gehalt.“31 Diese Einheit von Kunst und Politik führte dazu, dass Richard Wagners Opern mehrfach aus politischen Gründen von den Spielplänen genommen wurden.32 Vor der Münchner Erstaufführung des Tannhäuser 1855 gab es eine regelrechte „Kampagne gegen den landesflüchtigen Revolutionär Wagner, der auf einer Hofbühne nichts zu suchen habe“ (Oswald Georg Bauer)33. „Wenn die Fürsten ebenso zusammenhielten wie die Demokraten, dann würde nirgends mehr eine Oper von Wagner aufgeführt“, äußerte wenige Jahre später Freiherr von der Pfordten, der schon als sächsischer Kultusminister zum Feind des Komponisten geworden war und einer seiner entscheidenden Gegenspieler in München werden sollte.34

      Politische Rückwirkungen auf die Kunst gab es nicht nur, weil der viele Jahre im Exil lebende Wagner als Umstürzler verschrien war, sondern auch wegen seiner notorischen Judenfeindschaft. Seit dem erstmaligen Erscheinen der Schrift Das Judentum in der Musik 1850 musste sich jede Beschäftigung mit Wagner auch mit dessen Antisemitismus auseinandersetzen, auch wenn die Frage nicht permanent im Mittelpunkt der Diskussionen stand. Nach der Neuauflage des Judenpamphlets 1869 wurden Meistersinger-Aufführungen in mehreren deutschen Städten „in eklatanter Weise ausgepfiffen“, so ein zeitgenössischer Bericht.35 Der Protest richtete sich nicht gegen die künstlerische Qualität von Werk oder Aufführung, sondern hatte politische Gründe. Die Gereiztheiten in der Wirkungsgeschichte des Komponisten zeigen nach den Worten Hubert Kollands bis in die Gegenwart hinein, „wie unpolitisch das Politikum Wagner in der Musikwelt immer noch behandelt wird.“ Während die einen versuchten, Wagner von politischen Implikationen „rein“ zu halten, betrieben die anderen „stellvertretende Vergangenheitsbewältigung“ und damit eine Art umgedrehten Geniekult.36

      Spiegel der deutschen Geschichte

      Bei den Bayreuther Festspielen sind Kunst und Politik gleichsam naturgemäß miteinander verschmolzen. Durch die Wahl seiner Opernstoffe und durch sein öffentliches Wirken „zwischen Barrikade und Walhalla“ (Dieter David Scholz)37 trug Richard Wagner wesentlich zur Politisierung von Kultur und zur Ideologisierung von Politik im 19. Jahrhundert bei. Von höchsten politischen Kreisen gefördert, war der Grüne Hügel das künstlerische Symbol des jungen deutschen Kaiserreichs – obwohl der Inhalt der Ring-Tetralogie kaum als „ästhetischer Gründungsmythos des Reichs“ taugte (Thomas E. Schmidt)38, vielmehr quer zum Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu stehen schien, und obwohl es nicht gelang, das Festspielhaus durch geregelte öffentliche Förderung in den Rang eines Nationaltheaters zu erheben. Die Diskrepanz zwischen einem privaten Unternehmen und einer nationalen Einrichtung sollte die Geschichte der Bayreuther Festspiele in den kommenden Jahrzehnten prägen. Doch bereits die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Festspielgründung und deren unmittelbare Folgen zeigten, dass das Unternehmen mehr war als ein Tempel des Musiktheaters. Es war ein Abbild der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland.39 In der Geschichte des Grünen Hügels spiegele sich die deutsche Geschichte, so Udo Bermbach, „und die Geschichte der Festspiele ist fest verbunden mit der allgemeinen deutschen Geschichte“.40

      Auch Wagners Opern boten immer wieder Gelegenheit zu historischen Analogien. Umstandslos setzt etwa George Bernard Shaw die deutsche „Sattelzeit“ zwischen der Revolution von 1848 und der Reichsgründung mit dem Kampf zwischen Wotan und Siegfried im Ring gleich.41 John Maynard Keynes notierte nach 1918, manchmal möge man glauben, kein einziger Mann trage so viel Verantwortung für den Krieg wie Wagner, und fährt fort: „[W]ar nicht eigentlich Hindenburg nur der Bass und Ludendorff der fette Tenor einer drittklassigen Wagner-Oper?“ 42 Ein ähnliches Gefühl beschlich Carl von Ossietzky, als er nach Hitlers Machtübernahme notierte: „Zum zweiten Mal soll aus Deutschland eine Wagneroper werden.“ 43 Wie umgekehrt aus einer Wagneroper ein Panoptikum der deutschen Geschichte werden kann, zeigte jüngst Stefan Herheim mit seinem bemerkenswerten Parsifal in Bayreuth.44 Die Festspiele selbst wurden durch den Zusammenhang von Kunstschaffen, Politik und Ideologie sowie durch ihr institutionelles und ökonomisches Fortbestehen über die politischen Brüche hinweg – vom Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik – zu einem kulturellen Spiegel der jüngeren Geschichte des Landes. Im Mikrokosmos des Grünen Hügels zeigen sich viele Strukturen, Ereignisse und Entwicklungen, die in der großen Politik auftauchten. Bayreuth ist eine Probebühne für Deutschland. Es sei selten, schrieb Wagners Urenkel Wolf Siegfried zum hundertjährigen Bestehen der Festspiele 1976, „dass die Geschichte einer Familie so identisch ist mit der Geschichte eines Theaters; es ist selten, dass die ‚Innenseite‘ einer Familie die ‚Außenseite‘ der Geschichte, ihre geistigen, kulturellen und politischen Veränderungen so widerspiegeln kann, wie es hier der Fall ist“.45 Hans Mayer bringt diese Tatsache auf die prägnante Formel: „Wer eine Zusammenstellung versucht der Familiengeschichte Wagners, der Festspielgeschichte und der Kunstgeschichte von 1876 bis zur Gegenwart, schreibt zugleich deutsche Geschichte und Welthistorie.“ 46

      Nach Wagners Tod im Jahr 1883 etablierte die Familie des Komponisten die Festspiele als Institution von nationalem Rang und internationaler Bedeutung. Die Witwe Cosima war die erste Frau an der Spitze einer herausragenden deutschen Kultureinrichtung. So „modern“ und vermeintlich emanzipatorisch Bayreuth sich hier gab, so reaktionär war das ansonsten vertretene politische Gedankengut. Unter Cosimas Ägide, die bis 1906 reichte, wurde der Grüne Hügel zum Anziehungspunkt der völkischen, rassistischen und antisemitschen Bewegung im Reich. Das Haus Wahnfried übernahm zudem in der ehemaligen Markgrafenstadt die geistige Herrschaft und wurde zum Ersatz des fehlenden Fürstenhofes. Der immense Einfluss Bayreuths auf das kulturelle Klima im ausgehenden 19. Jahrhundert ließ Adorno sogar von Zügen einer „Nebenregierung“ sprechen, „die an den späteren Grundsatz gemahnen, dass die Partei den Staat befiehlt“.47 Die weltanschauliche Überformung des künstlerischen Schaffens unter dem Schlagwort des „Bayreuther Geistes“ setzte sich auch in der Ära des einzigen Wagnersohnes Siegfried fort, der wie seine Mutter im Jahr 1930 starb. Siegfrieds Schwager Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) wurde zum herausragenden Propagandisten der Festspiele und des Wagnerkults. Die Verehrung für den Bayreuther Meister hatte längst religioide Züge angenommen, wie vor allem die jahrelange kulturpolitische Auseinandersetzung um die Frage zeigte, ob Richard Wagners letzte Oper, das „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal, auch an anderen Orten als in Bayreuth gezeigt werden durfte. Politische, ideologische und ökonomische Motive waren in der Diskussion eng verknüpft. Einen radikalen Einschnitt in der Festspielgeschichte bildete der Erste Weltkrieg, der eine zehnjährige Pause auf dem Grünen Hügel nach sich zog und dem Unternehmen zunächst die wirtschaftliche Grundlage entzog.

      Bereits 1924 gelang allerdings die Wiedereröffnung der Festspiele – sie stand von vornherein unter politischen Vorzeichen. Daraus machten nun auch Wagners Jünger keinen Hehl mehr. Deutschland sei ein „tragisches Lokal“, notierte Hans von Wolzogen (1848–1938), langjähriger Schriftleiter der Bayreuther Blätter, nach dem Ersten Weltkrieg: „Eingezwängt zwischen bedrohlichen Nachbarschaften muss es stets auf der Wacht sein und darf bei all seiner unpolitischen Eigenart die Politik leider nicht vergessen.“ 48 Bayreuth stellte sich unmissverständlich an die Spitze des Kulturkampfes gegen die Weimarer Republik, trug mit seinem organisatorischen und publizistischen Umfeld erheblich zur Nazifizierung Deutschlands bei und wurde bereits lange vor dem „Dritten Reich“ zu einem repräsentativen Ort der NS-Propaganda sowie zu „Hitlers Hoftheater“, so die berühmte Formulierung Thomas Manns.49 Deshalb ist das Jahr 1933 auch kein herausragender Bruch in der Festspielgeschichte. Eine viel stärkere Zäsur bedeutete für Bayreuth das Jahr 1930, als binnen weniger Monate Cosima und Siegfried starben – just in dem Jahr, in dem in Deutschland mit den Präsidialkabinetten vorerst die parlamentarische Demokratie zu Ende ging. Die Leitung des Festspielunternehmens lag anschließend bis 1944 in den Händen von Siegfrieds Witwe Winifred Wagner, einer engen Freundin Adolf Hitlers. In ihrer Person verdichtet sich die Erkenntnis, wie weit Werk und Wirken