Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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und Wirklichkeit. Auf dem Weg zum Grünen Hügel

      In Paris hatte Wagner einst selbst gehungert. Er lebte von 1839 bis 1842 in der Stadt an der Seine und machte als brotloser Künstler schlimme Zeiten durch. Dennoch kehrte er später immer wieder in die französische Weltstadt zurück, und selbst seine Festspielidee ist mit ihr verbunden. Anfang der 1860er Jahre wollte der Komponist in Paris, durch den dortigen Misserfolg mit dem Tannhäuser nur unzureichend entmutigt, im Théâtre Italien eine „deutsche Musteroper“ ins Leben rufen.77 Im Zusammenhang mit den dann gescheiterten Plänen entstand erstmals der Gedanke, Festspiele in den sommerlichen Theaterferien durchzuführen – eine für das spätere Bayreuth grundlegende Idee. Carl Dahlhaus mutmaßt sogar, die von Wagner so sehr verachtete Grand opéra, die im 19. Jahrhundert den musikalischen Weltruf von Paris ausmachte, könnte das „heimliche Vorbild der Bayreuther Gründung“ gewesen sein.78 Beide Formen des dramatischen Musikfestes hätten sich als Abbild und Ausdruck der Gesellschaft verstanden, die Pariser Oper der bürgerlichen, das Wagnerfest der utopisch-nachrevolutionären. Darin liegt aber bereits ein wesentlicher Unterschied, der auf den entschieden politischen Charakter der Absichten Richard Wagners ebenso verweist wie auf die unabdingbaren künstlerischen Voraussetzungen und die „Distanz zum Alltag“ (Udo Bermbach)79 als herausragendes Element des Festspielgedankens.

      Worin besteht dieser Gedanke? Dass „Bayreuth“ Wirklichkeit geworden ist und die Nachwelt noch immer Wagners Welttheater bestaunen kann, legt den Schluss nahe, das Unternehmen fuße auf einem stringenten Plan des Komponisten. Das aber ist ein Irrtum.80 „Die Festspielidee Richard Wagners gibt es nicht“, stellt Dahlhaus fest.81 Auch von bloßen Abwandlungen eines durchgängigen Prinzips könne schwerlich die Rede sein. Mehr als die Hälfte der betreffenden, für die deutsche Geschichte prägenden Zeit zwischen der gescheiterten Revolution von 1848 und der kleindeutschen Reichsgründung verbrachte der Komponist im Exil. So verwundert es kaum, dass der Festspielgedanke kein geschlossenes musikalisch-ideologisches Gerüst ist, sondern zahllosen Wandlungen, Modifizierungen, Verzerrungen, Umkehrungen unterworfen war. Forscher finden oft nur Assoziationen an entlegenen Stellen oder briefliche Nebenbemerkungen, „dann wieder geschlossene Konzepte“.82 Immerhin lassen sich einige Faktoren benennen, die im Lauf der Zeit stärker oder schwächer wurden, sich verdichteten oder an Bedeutung verloren. Es sind Programm, Ort, Publikum, Organisation und Finanzierung. Dreh- und Angelpunkt ist ein monumentales Werk, die Tetralogie Der Ring des Nibelungen – verbunden mit der Frage, wo und unter welchen Umständen es sich aufführen lässt. Wagner will einen abgelegenen Ort, weit entfernt von herkömmlichen Opernhäusern, damit sich das Publikum mit ganzer Aufmerksamkeit seinem neuartigen Musikdrama widmen kann. Ob der Komponist ein einmaliges Fest oder ein wiederkehrendes Ereignis anstrebt, lässt er zunächst offen, entscheidet sich später aber für eine dauerhafte Einrichtung mit dem dafür notwendigen organisatorischen Apparat. Die Finanzfrage war von vornherein das größte Problem des Unternehmens.

      Die Wurzeln der Festspielidee liegen in Wagners Griechenrezeption, in der Tradition der französischen Revolutionsfeste sowie in deren Adaption in der freiheitlich-nationalen Bewegung in Deutschland mit seiner Kultur der bürgerlichen Sänger- und Musikfeste.83 Der Komponist verbindet mit dem Festspielgedanken, so Udo Bermbach, zudem die „Hoffnung, in einer Welt der Entfremdung und kalten Rationalität die antike Form eines religiös-theatralischen Gemeinschaftserlebnisses wiederaufleben zu lassen“.84 Die Wendung gegen den herkömmlichen Kunstbetrieb ist das entscheidende Moment auf dem Weg zu eigenen Festspielen. In Die Kunst und die Revolution schreibt der ehemalige Hofkapellmeister: „Das ist die Kunst, wie sie jetzt die ganze zivilisierte Welt erfüllt! Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten.“85 Die Kritik am heraufziehenden Kapitalismus, der die Kultur vereinnahmt habe, verbindet sich mit persönlichen, künstlerischen und gesellschaftspolitischen Argumenten. Hier zeigt sich ein Paradigma im Denken Richard Wagners: Immer wieder wendet er biographische Aspekte ins Grundsätzliche, macht sozusagen aus der Not eine Tugend, aus Erfahrung eine Philosophie. Erstmals erwähnt der Komponist seine Pläne für ein eigenes Festspiel in Briefen, die er im September 1850 aus Zürich an seine Freunde, den Maler Ernst Benedikt Kietz und den Violinisten Theodor Uhlig, schrieb. Zu dieser Zeit ist noch kein mehrteiliges Ring-Drama geplant, sondern eine einzige Oper – erst später wachsen sich die Pläne von hinten nach vorne zu einer Tetralogie aus. Er trage sich „mit den allerkühnsten Plänen“, ließ er Kietz wissen, „zu deren Verwirklichung jedoch nichts Geringeres als mindestens die Summe von 10.000 Taler gehört. Dann würde ich nämlich hier, wo ich gerade bin, nach meinem Plane aus Brettern ein Theater errichten lassen, die geeignetsten Sänger dazu mir kommen und alles Nötige für diesen einen besonderen Fall mir so herstellen lassen, dass ich einer vortrefflichen Aufführung der Oper gewiss sein könnte. Dann würde ich überall hin an diejenigen, die für meine Werke sich interessieren, Einladungen ausschreiben, für eine tüchtige Besetzung der Zuschauerränge sorgen und – natürlich gratis – drei Vorstellungen in einer Woche hintereinander geben, worauf dann das Theater abgebrochen wird und die Sache ihr Ende hat.“86 An Uhlig schrieb Wagner, die Pläne sähen auf den ersten Blick „sehr chimärisch“ aus, aber allein durch sie wage er an die Vollendung der Oper zu denken. Nach den Aufführungen solle das „Theater eingerissen und meine Partitur verbrannt“ werden. „Nun, komme ich Dir gehörig verrückt vor?“87

      Aus der verrückten Idee ist ein Jahr später im Zusammenhang mit dem Anwachsen des Dramas zum vierteiligen Ring des Nibelungen der entschiedene und konzeptionell untermauerte Wille entstanden, eigene Festspiele ins Leben zu rufen. In einem weiteren Brief an Uhlig am 12. November 1851, einem grundlegenden Dokument zur Festspielidee, beschreibt Wagner die „gefühlte Unmöglichkeit, auch den ‚jungen Siegfried‘ nur einigermaßen ansprechend in Weimar – oder sonst wo aufführen zu können. Ich mag und kann jetzt nicht mehr die Marter des Halben durchmachen. – Mit dieser meiner neuen Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unsrem heutigen Theater und Publikum heraus: ich breche bestimmt und für immer mit der formellen Gegenwart.“ An eine Aufführung der Tetralogie könne er allerdings „erst nach der Revolution denken: erst die Revolution kann mir die Künstler und die Zuhörer zuführen. Die nächste Revolution muss notwendig unsrer ganzen Theaterwirtschaft das Ende bringen: sie müssen und werden alle zusammenbrechen, dies ist unausbleiblich. Aus den Trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche: ich werde, was ich bedarf, dann finden. Am Rheine schlage ich dann ein Theater auf, und lade zu einem großen dramatischen Feste ein: nach einem Jahre Vorbereitung führe ich dann im Laufe von vier Tagen mein ganzes Werk auf: mit ihm gebe ich den Menschen der Revolution dann die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen: das jetzige kann es nicht.“88

      Ähnlich hatte sich der Komponist bereits zuvor in der Mitteilung an meine Freunde geäußert. Wagner mag bei seinen Plänen an die Niederrheinischen Musikfeste gedacht haben, bei denen seit 1817 Oratorien von Händel und Haydn sowie Symphonien von Beethoven aufgeführt wurden – ein Beispiel für Musik als von der bürgerlichen Öffentlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts getragene Kunst. Unmittelbares künstlerisches Vorbild könnte auch das Wirken Karl Immermanns gewesen sein, der von 1832 bis 1837 das Düsseldorfer Theater leitete. Später wird zudem Franz von Dingelstedt, der 1854 in München „Mustervorstellungen“ im Rahmen sogenannter „Gesamtgastspiele“ veranstaltete, Wagners Ideen stark beeinflussen.89 Doch letztere unterscheiden sich durch ihren eminent politischen Anstrich. Im Privatbrief an Uhlig – interessanterweise nicht in der halböffentlichen Mitteilung – benennt Wagner klar die Rolle der Revolution bei seinen Festspielplänen. Er will ein politisches Fest, dessen Gegenstand nicht in erster Linie die Aufführung musikalischer Dramen ist, „sondern die Revolution, als deren Deutung Wagner sein Werk verstanden wissen wollte“.90 Er erhebt somit den Anspruch, den Revolutionären den Sinn ihres Tuns erklären zu wollen, erläutert Herfried Münkler: „Das Fest, die Festspiele treten damit gleichsam an die Stelle der Verfassung, oder sie sind doch zumindest der entscheidende Kommentar zu der Ordnung, die durch die Revolution geschaffen worden ist.“91 Mit seiner Vorstellung, erst der Umsturz werde die Menschen hervorbringen, die zu ästhetischer Erziehung fähig sind, kehrt er zugleich Schillers Ideen in dessen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen um.92

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