Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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weil er nicht in die bayerischen „Jagdgründe“ habe einbrechen wollen.166 Schon vor der ersten Vorstellung waren die Festspiele in den Dualismus zwischen Kaiserreich und bayerischer Monarchie hineingeraten.

      Schließlich war der große Moment gekommen: Die Festspiele begannen. „Wenn im Jahre 1876 der deutsche Tondichter Richard Wagner die Fürsten und die Prominenz Europas nach Bayreuth einlädt, um im eigenen Festspielhaus sein Lebenswerk vorzuführen – ist das die Erfüllung des größten und mutigsten Künstlertraumes aller Zeiten, oder ist es das verwegene Abenteuer eines Größenwahnsinnigen?“167 Die Frage von Lore Lucas ist nicht einfach zu beantworten. Bei der Eröffnung des Theaterrestaurants am 1. August sagte Wagner, auf den Enthusiasmus der Künstler könne man „künftig Staaten gründen“.168 Während der Festspiele, bei denen Siegfried und Götterdämmerung uraufgeführt wurden und die Tetralogie drei Mal komplett zu sehen war, standen Künstlerträume und Größenwahn nicht im Vordergrund. Es dominierten praktische Probleme. Bayreuth war vom Ansturm der Gäste vollkommen überfordert, es gab zu wenig Quartiere und nicht genug Essen und Getränke. Die angereisten Wagnerianer mussten sich zwar um Schnitzel prügeln, konnten aber Siegfriedhüte, Nibelungenmützen oder Wagnerkrawatten kaufen.169 „Die Nibelungenmütze“, schrieb Paul Lindau mit beißendem Sarkasmus, „zeichnet sich nur durch ihre geschmacklose Form aus; die Wagnerkrawatte unterscheidet sich von anderen Krawatten auf den ersten Blick durch gar nichts, nimmt man aber diese Krawatte liebevoll in die Hand und besieht sie sich genauer, so bemerkt man unter dem Stege, welcher den Zipfel festhält, eine schwarzseidene Schnur; zieht man an dieser Schnur, so öffnet sich die Krawatte, das Mittelstück schlägt sich auf und man erblickt in der Mitte medaillonartig von Seide eingefasst, die Photographie des Lenbach’schen Portraits von Richard Wagner. Der Wagner-Schwärmer kann also immer den Meister am Halse tragen, ohne dass der Profane dessen gewahr würde.“170

      Im Zuge des Festspielauftakts entwickelte sich in der Wagnerstadt die „erste kommerzielle Devotionalienindustrie größeren Stils außerhalb religiöser Wallfahrtsorte“ (Ute Daniel)171. Auch überzeugte Wagnerianer wie der Komponist und Musikkritiker Martin Plüddemann (1854–1897) sahen die Auswüchse des Bayreuther Geschäftssinns durchaus kritisch. Nach der Premiere 1876 schrieb der langjährige Freund und Mitarbeiter des Komponisten: „Der Besuch dürfte sogar im nächsten Jahre erleichtert sein, da die Hauptsache, das Theater mit allem Zubehör, steht, und daher der Eintrittspreis ein bedeutend geringerer sein würde. Auch die Bayreuther dürften mit ihren Preisen heruntergehen; man hat viele und teilweise berechtigte Klagen gehört darüber, dass alles sehr teuer und dabei Wohnung und Essen nicht einmal immer gut waren. – Der Ring des Nibelungen kann angesehen werden als eine ungeheure Paraphrase des Fluches, der von Alters her auf dem Golde liegt. Die Bayreuther hatten aus dem in ihrer Stadt vorgeführten Werke nichts gelernt, sondern waren teilweise in hohem Maße goldgierig. Sie spekulierten allerdings einigermaßen richtig: ‚Wer 25 Taler für einen Abend im Theater gibt, zahlt auch wohl sonst jeden Preis, den wir fordern.‘ Im nächsten Jahre, wo die Plätze billiger werden, würde nun diese Spekulation nicht mehr zutreffen, und wenn die Stadt Bayreuth dennoch wieder vom Goldfieber ergriffen wird, möchte sie sich verrechnen, wie Wien 1875 mit seiner Weltausstellung.“172 Darüber hinaus hatte zum großen Ärger Wagners bereits vor dem Auftakt ein schwunghafter Handel mit den Eintrittskarten begonnen, für ein Generalprobenticket wurden bis zu 20 Mark (heute 160 Euro) bezahlt. Der Verwaltungsrat der Festspiele setzte zudem eigenmächtig eine öffentliche Probe des zweiten Aufzugs der Götterdämmerung an – gegen drei Mark (24 Euro) Eintritt. Binnen einer halben Stunde waren an den drei Verkaufsstellen die Karten weg.173 Damit war ein tragender Bestandteil der Festspielidee, die Unentgeltlichkeit des Zutritts, ad absurdum geführt. Künstlerisch empfand Wagner die Festspiele als Fiasko, es gab unzählige technische, darstellerische und sängerische Probleme. Schon nach der Rheingold-Premiere am 13. August wurde der Komponist eine halbe Stunde lang gerufen, kam aber nicht auf die Bühne. „Er saß außer sich in seinem Zimmer, schimpfte auf alle Darsteller [und] war nicht zu beruhigen“, berichtete der Dessauer Ballettmeister Richard Fricke.174 Cosima Wagner versuchte die künstlerischen Mängel in der ihr eigenen Art zu beschönigen. Nach der Generalprobe der Götterdämmerung schrieb sie in ihr Tagebuch: „So weit wird die Ausführung vom Werk zurück bleiben, wie das Werk von unsrer Zeit fern ist!“175

      Gesellschaftlich hingegen waren die ersten Festspiele ein gigantischer Erfolg. Zwei Kaiser waren nach Bayreuth gekommen, der deutsche und der brasilianische, zudem zahllose regierende Fürsten, Staatsmänner, Künstler. Wilhelm I., der die ersten beiden Vorstellungen besuchte, sagte zu Richard Wagner: „Ich habe nicht geglaubt, dass Sie es zustande bringen würden“.176 Der Kaiser setzte hinzu: „Was mich vor allem an dem Unternehmen freut, ist sein nationaler Charakter“. Der Komponist beantwortete das Lob mit einer Klage: „Majestät, ich sehe nicht die Nation, die mich unterstützt hätte“.177 Ein nationales Großereignis waren die Festspiele auf jeden Fall. Dieser Gedanke klingt auch bei Karl Marx durch, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Wegen der Festspiele waren in Nürnberg, wo der Sozialist auf der Durchreise von London nach Karlsbad übernachten wollte, alle Hotelzimmer besetzt, worauf der rückenleidende Marx auf einer Bahnhofsbank nahe der tschechischen Grenze übernachten musste. In einem Brief an Engels führte er bittere Klage über das „Narrenfest des Staatsmusikanten Wagner“178. Doch der Bayreuther Meister fand sich in seinen Hoffnungen enttäuscht, künstlerischer Paladin des neuen Reiches zu werden. Alte Loyalitäten der Machthaber zu der jahrhundertelang hohenzollerischen, kurzzeitig sogar preußischen Markgrafenstadt Bayreuth gab es nicht. Dass der Kaiser das Festspielereignis als „nationales Unternehmen“ bezeichnete, entsprang eher Höflichkeit als Überzeugung. Das Reich von 1871 sah sich in preußischer Tradition, hatte die Massenwirksamkeit des nationalen Gedankens noch nicht entdeckt und war weit davon entfernt, sich eine staatsrepräsentative Kunst zuzulegen.

      Ökonomische Voraussetzungen. Das Pumpgenie Wagner

      Der vermeintliche Staatsmusikant Wagner hatte nach den ersten Festspielen eine Menge Probleme. Die Premiere endete mit Verbindlichkeiten von knapp 148.000 Mark, nach heutigem Gegenwert annähernd 1,2 Millionen Euro.179 Der Meister des vormodernen Fundraising hatte sich auch mit seinem Bayreuther Projekt zunächst verspekuliert. Wer Wagner länger kannte, musste darüber nicht groß verwundert sein, obgleich das finanzielle Desaster bereits in die bürgerliche Zeit des Komponisten fiel. Über Jahrzehnte hinweg steckte er in materiellen Schwierigkeiten, gab permanent mehr aus, als er hatte, verschuldete sich über beide Ohren und darüber hinaus. Aus diesem Makel, der mit seiner antibürgerlichen Persönlichkeit zusammenhing, machte der Komponist gar keinen Hehl. „Mein Verhalten in Geldsachen wird wohl solange ich lebe zu meiner schwachen Seite gehören“, bekannte er in den 1850er Jahren.180 Nur mit faszinierenden Methoden der Geldbeschaffung konnte sich der Künstler immer wieder über Wasser halten. „Wagner, das Pumpgenie“, so die berühmte Formulierung Thomas Manns, „der luxusbedürftige Revolutionär, der namenlos unbescheidene, nur von sich erfüllte (…) Schauspieler seiner selbst“.181 Das Berliner Fremdenblatt hatte schon 1869 geschrieben, Wagner gebärde sich wie ein Kunstpapst, „der unfehlbar ist, allein lösen und binden kann und, wie der wirkliche Papst die Peterspfennige, selbst die Wagnerspfennige einsäckelt. Kurz: er war und ist das, was man auf jüdisch einen Schnorrer nennt.“182 Der leichtfertige Umgang mit Geld brachte immer wieder skurrile wie tragische Momente mit sich. Schon als Student hatte Wagner das Pensionsgeld seiner Mutter bis auf den allerletzten Taler verspielt – mit diesem als Einsatz gewann er im Casino glücklich die gesamte Summe zurück. 1839 floh er vor seinen Gläubigern unter lebensgefährlichen Umständen aus Riga – seine Frau Minna erlitt unterwegs vermutlich eine Fehlgeburt. 1864 musste Wagner, von Gläubigern verfolgt, in Frauenkleidern aus Wien weichen.183 Geliehenes Geld, mit dem er seinen aufwendigen Lebensunterhalt finanzierte, empfand er als gerechten Lohn für seine Kunst. Wie sich die Schriftstellerin Eliza Wille erinnerte, sagte er kurz nach der Flucht aus Wien: „Ich bin anders organisiert, habe reizbare Nerven, Schönheit, Glanz und Licht muss ich haben! Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche! (…) Ist es denn eine unerhörte Forderung, wenn ich meine, das bisschen Luxus, das ich leiden mag, komme mir zu? Ich, der ich der Welt und Tausenden Genuss bereite!“184

      Unberührt von der privaten Geldmisere Wagners blieb zunächst