Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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Erwähnung des Festspielgedankens, im Brief an Ernst Benedikt Kietz vom 14. September 1850, eine Rolle spielt. Wagner rechnet mit einer notwendigen Summe von 10.000 Talern (rund 250.000 Euro) und spekuliert dreist auf die Erbschaft eines Freundes: „Wenn Karl Ritters Onkel stirbt, bekomme ich die Summe.“185 Dass der Betrag nicht willkürlich gewählt, sondern offenbar durchkalkuliert war, zeigt eine weitere Erwähnung in einem Schreiben an Theodor Uhlig sechs Tage später: „Möge es sein, aber ich versichere Dir, dies noch zu erreichen ist die Hoffnung meines Lebens, die Aussicht – die mich einzig reizen kann, ein Kunstwerk in Angriff zu nehmen. Also: – schafft mir 10,000 Tlr. – weiter nichts!“186 Es verrät einiges über die Entwicklung der Festspielidee bis zu ihrer Verwirklichung ein Vierteljahrhundert später, wenn man sich vor Augen führt, dass sich die anvisierten Kosten um das Dreißigfache auf 300.000 Taler erhöhten – und selbst diese Summe reichte am Ende bei weitem nicht aus.187 Der Finanzaspekt wurde in jenem Moment wieder aktuell, als sich Wagner nach dem Scheitern der Münchner Pläne endgültig entschloss, Festspiele in Bayreuth zu veranstalten. Als sein Förderer Ludwig II. davon erfuhr, stimmte er im Grundsatz zu. Über Hofrat von Düffipp ließ der Regent am 7. Mai 1871 an Wagner schreiben, die Sache habe „als ein von Ihnen angeregtes und ohne alle Beeinflussung durchzuführendes Privatunternehmen zu gelten und Sie werden hierfür lediglich selbst verantwortlich zu sein haben“.188 Der König werde sich indes an den Kosten der Festspiele mit 25.000 „Vereinstalern“ beteiligen. Sollte mit einem Vereinstaler schlicht ein Taler gemeint sein, würde das bedeuten: Ludwig II. wollte etwa 83 und damit ein Zwölftel der 1000 Bayreuther Patronatsscheine erwerben, der Betrag beliefe sich nach heutigem Gegenwert auf 725.000 Euro. Die Belege aus der bayerischen Kabinettskasse bestätigen diese Summe jedoch nicht. Hier finden sich zwei Quittungen vom Februar und August 1872.189 Zunächst wurden 12.500 Gulden (150.000 Euro) bezahlt, Wagner bestätigte den Erhalt „für ein in Bayreuth angekauftes Baugrundstück“. Gemeint ist der Wahnfried-Bauplatz. Die zweite Quittung belief sich auf 21.200 Gulden (254.400 Euro), ohne dass ein Verwendungszweck genannt wurde. Es ist aber wahrscheinlich, dass dieses Geld für Patronatsscheine bestimmt war.

      Eine Art Patronatssystem hatte Wagner, wie erwähnt, bereits seit längerem erwogen. In Bayreuth veranschlagte er für den Bau des Festspielhauses, dessen innere Ausstattung, die szenische Einrichtung der ersten Festspiele sowie die Bezahlung des technischen und künstlerischen Personals einen Betrag von 300.000 Talern (7,5 Millionen Euro). Er ließ dafür 1000 Patronatsscheine im Wert von 300 Talern (7500 Euro) aus geben. Die Patrone erhielten dafür jeweils einen Platz für die vorgesehenen drei Ring-Zyklen. „Der private Charakter der Unternehmung bleibt, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass Gewinnaussichten, wie sie bei Aktien gegeben wären, somit auch jede Spekulation im Sinne eines Geschäftsunternehmens ausscheiden.“190 Wagner rechnete mit 1500 Plätzen im Festspielhaus. Neben den 1000 Patronen sollten 500 unbemittelte Kunstinteressierte freien Eintritt erhalten. Ungeachtet der Frage, wie idealistisch oder utopisch diese Vorstellungen waren, war aus Bayreuther Sicht wichtig, dass auf die Stadt selbst keine Kosten zukommen würden. Schon am 8. Juni 1871 war diesbezüglich im Bayreuther Tagblatt zu lesen: „Die nötigen Mittel, die sich übrigens sicher auf mehrere Hunderttausend Gulden belaufen werden, sollen allem Anschein nach gezeichnet werden.“191 Am 1. November schrieb Wagner an Feustel: „Ich nehme an, dass die Stadt Bayreuth in keiner Weise zur Beschaffung der Mittel für mein Unternehmen in Anspruch genommen werden soll. Energische Freunde meines Vorhabens sind dafür in Bewegung, mir die nötigen Kosten aufzubringen.“192 Immerhin beschloss der Stadtmagistrat Ende des Jahres, ein geeignetes Grundstück für das Festspielhaus zu erwerben und es Wagner kostenlos zur Verfügung zu stellen.193

      Am 1. Februar 1872 wurde der Verwaltungsrat der Festspiele gegründet, der zunächst aus Feustel, Bürgermeister Muncker und dem Advokaten Käfferlein bestand. Damit war das „Kernstück des organisatorischen Apparates“ (Lore Lucas)194 ins Leben gerufen. Finanztechnisch handelte es sich um ein privates Unternehmen mit ideeller Unterstützung aus Verwaltung und Bürgerschaft der Stadt Bayreuth. Doch in einem Brief, den Wagner Ende 1872 an einen Dessauer Baron schrieb, deutete er bereits die ökonomischen Unwägbarkeiten seiner Pläne an, die ihn immer wieder zur Anwendung seiner kreativen Geldbeschaffungstechniken brachten: „Ich habe mich, um zugleich Markt und Vermögen anzurufen, an den Adel der deutschen Nation zu wenden, und an dessen Spitze, die deutschen Fürsten, als die Vertreter der deutschen Ehre, meinen Anruf zu richten. Nur wenn ich hier richtig verstanden werde, und frei von aller Entstellung, mit welcher der Lärm des Tages Kunstbestrebungen, wie die meinige, umgibt, erkannt bin, kann ich die richtige Hilfe, deren ich bedarf, erwarten.“195 Aus den Reihen der Fürsten hatte sich Wagner bereits eine heftige Absage eingehandelt – Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach ließ über Liszt ausrichten: „Je ne donnerai pas le Sou pour Bayreuth“ (Ich werde für Bayreuth keinen Sou ausgeben).196 Rasch wurde zudem deutlich, dass die Zeichnung der Patronatsscheine nur sehr schleppend anlief und die Gelder demzufolge nicht reichen würden. Anfang 1872 waren über das Patronat erst 20.000 Taler eingegangen, Mitte des folgenden Jahres waren von 1000 Scheinen nur 340 verkauft. Im April 1873 musste Wagner mehrere Konzertreisen ins Auge fassen, um die Kosten der laufenden Arbeiten am Festspielhaus zu decken.197 Der Bayreuther Bauherr bat deshalb sowohl Bayern als auch das Reich um Hilfe – relativ wahllos und ohne Rücksicht auf etwaige diplomatische Verstimmungen. Schon im Juni 1873 rühmte er Reichskanzler Otto von Bismarck in einem Bittbrief als „großen Neubegründer deutscher Hoffnungen“, was auf diesen allerdings keinen großen Eindruck machte.198 Am 20. November reiste Wagner nach München und sprach mit Düffipp über eine Bürgschaf des Königs für eine Kapitalanleihe in Höhe von 100.000 Talern (2,5 Millionen Euro).199 Ludwig II. ließ das am 6. Januar 1874 ablehnen.

      Darauf in wandte sich Wagner flugs an den Kaiser. Um die 100.000 Taler zu erhalten, wollte er von Wilhelm I. den Auftrag, die geplanten drei Ring-Zyklen in Bayreuth „zur ersten Lustralfeier des mit Frankreich abgeschlossenen Friedens, im Sommer des Jahres 1876 zu veranstalten“, wie er am 16. Januar 1874 an Emil Heckel schrieb.200 Damit wäre das private Kunstfest des Komponisten Richard Wagner zu einem „Politikum ersten Ranges“ (Lore Lucas)201 geworden. Doch wenige Tage später kam die Kehrtwende des bayerischen Monarchen. Am 25. Januar traf in Bayreuth ein Schreiben Ludwigs II. ein: „Nein, nein und wieder nein! so soll es nicht enden! Es muss da geholfen werden! Es darf Unser Plan nicht scheitern. Parcival [sic!] kennt seine Sendung und wird aufbieten, was irgend in seinen Kräften liegt.“202 Die erforderliche Garantiesumme, die der König zur Verfügung stellte, sollte durch Patronatszeichnungen und Wagners Konzerteinnahmen allmählich getilgt werden. Das Liebäugeln des Komponisten mit Unterstützung durch das Reich war damit allerdings nicht beendet. Ende 1875 bat er beim Kaiser in Berlin um ein Darlehen von 30.000 Talern.203 Wilhelm I. schien nicht abgeneigt zu helfen, delegierte die Angelegenheit allerdings an Bismarck. Wie schon drei Jahre zuvor, schrieb dieser am 15. Januar 1876 an Wagner, er möge sich doch an den Reichstag wenden und nicht an ihn.204 Um in den Genuss finanzieller Mittel durch das Parlament zu kommen, wären öffentliche Anhörungen notwendig geworden – Wagner hielt das für unter seiner Würde und lehnte ab. Am Ende erhielt er nicht nur kein Geld, sondern hatte Ludwig II. auch „durch sein Bittgesuch an die Preußen beleidigt“ (Frederic Spotts)205.

      Die Situation wenige Monate vor der Festspieleröffnung war denkbar schlecht. Anfang 1876 waren erst 490 Patronatsscheine verkauft – benötigt wurden nach neuen Berechnungen aber 1300.206 „Das ursprünglich projektierte Unternehmen ist also eigentlich vollkommen gescheitert“, schrieb Wagner am 4. Februar an Heckel.207 Die Zahl der Freiplätze wurde nun radikal von 500 auf 50 gesenkt, für die übrigen Plätze verkaufte man Eintrittskarten.208 Der Vorverkauf lief aber maßvoll. Für den zweiten Ring-Zyklus seien kurz vor Eröffnung „noch nicht die Hälfte der Plätze, für den dritten kaum ein Drittel der Plätze verkauf “, wie der Wagnervertraute Friedrich Nietzsche seiner Schwester Elisabeth unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilte.209 Ende Juni, sechs Wochen vor der ersten Vorstellung, ließ Ludwig II. die vereinbarten Rückzahlungen aus dem Verkauf der Patronatsscheine stunden, damit Wagner die Künstler bezahlen konnte.210 Große Gagen erhielten diese ohnehin nicht. Schon 1872 hatte der künftige Festspielleiter geschrieben: „Die Sänger und Musiker erhalten von mir nur Entschädigungen, keine ‚Bezahlungen‘. Wer nicht aus Ehre und Enthusiasmus zu mir kommt, den lasse ich, wo er ist. Eine Sängerin, ein Sänger, welche nur gegen eine jener verrückten Gagen