Название | Wagners Welttheater |
---|---|
Автор произведения | Bernd Buchner |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783534729951 |
Wagners desperate Haltung gegenüber Reich und Deutschland war schon vor den ersten Festspielen deutlich erkennbar. Seine „zunehmende Verkrampfung“ (Winfried Schüler)257 seit der Reichsgründung sollte sich später bei den Bayreuther Jüngern zum Dogma verengen. Als ihm Plüddemann 1875 in Berlin sagte: „Die Deutschen haben Sie im Stich gelassen“, antwortete er: „Es gibt keine Deutschen, wenigstens sind sie keine Nation mehr; wer dies dennoch meint und sich auf ihren Nationalstolz verlässt, wird zum Narren.“258 Die Querelen um die Finanzierung der Festspiele und deren künstlerischen Rang, aber auch die Bayreuther Verbürgerlichung hatten dem Künstler offenbar nicht gutgetan. Die Euphorie war künstlich, die Depression echt. Deren Ausdruck war auch eine politische Radikalisierung. Zeugnis davon gibt die 1878 erfolgte Gründung der Bayreuther Blätter, die später wesentlich zur weltanschaulichen Ausprägung des Grünen Hügels beitragen sollten. Wagner erschien die völkisch und antisemitisch gestimmte Zeitschrift als zukunftsweisendes Projekt, als politisches Zentralorgan der Festspiele. Schon in einer der ersten Ausgaben schrieb Constantin Frantz auf seinen Wunsch hin einen offenen Brief als Antwort auf dessen Frage „Was ist deutsch?“ Darin stellte der Preußenhasser Frantz die ehrwürdige Tradition des alten Reiches dem banal-realpolitischen Machtstaat bismarckischer Prägung gegenüber. Deutschland müsse wegen seiner Mittellage dem Gesetz des Ausgleichs und damit dem Föderalismus dienen. Die „wahre deutsche Politik“, die Metapolitik, werde „der deutschen Kunst auch erst die rechte Stätte bereiten, wie andererseits die Kunst die Politik beflügeln wird zu immer höherem Aufschwung“.259 Die von Bayreuth bestellte antipreußische Philippika fiel zu allem Unglück mit einem Attentat auf den Kaiser zusammen und sorgte in dem aufgeheizten politischen Klima für heftige Proteste auch unter Wagnerianern. Zahlreiche Mitglieder des Berliner Wagner-Vereins traten nach Erscheinen des Beitrags aus.260 Der Komponist selbst äußerte sich kaum weniger scharf als Frantz, wenn auch nicht öffentlich: „So schnell haben es sich allerdings wohl nur wenige gedacht, dass die Öde des preußischen Staatsgedankens uns als deutsche Reichsweisheit aufgedrängt werden sollte!“261
Politisch-ideologische Radikalisierung und die sogenannte Regeneration, der Hauptbegriff der Bayreuther Ideologie, gingen in Wagners letzten Jahren Hand in Hand. Unter Regeneration verstand er eine rassisch-biologische Erneuerung der Menschheit. In Heldentum und Christentum lehnte er zunächst eine „Erreichung voller Gleichheit“ entschieden ab, eine klare Rücknahme seiner frühen Forderungen.262 Ebenso heftig wandte er sich gegen Demokratie und Parlamentarismus. Auch sein Antisemitismus verschärfte sich und wurde durch die Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Joseph Arthur de Gobineau (1816–1882) zunehmend rassistisch aufgeladen. Im Dezember 1877 beklagte sich Wagner über die „Großzüchtung des Judentums im deutschen Volksleibe“, die Bismarck nicht verhindert habe; ferner über das „unsägliche Elend“, das die Juden über das deutsche Volk gebracht hätten.263 Auf Deutschland allerdings wollte er später auch nichts mehr geben, während er sich in Politikverachtung erging, wie seine Frau in ihrem Tagebuch vermerkte: „[E]r würde sich nie mehr entschließen können, ein Wort über Politik zu sagen“.264 Derlei Bemerkungen meinte Wagner freilich nie ganz ernst, oder in „heftigem Scherz“, wie Cosima sich auszudrücken pflegte. Selbst dem verhassten Sozialismus, dem Bismarck die Schranken aufzuweisen versuchte, konnte der Komponist in dieser Weise Sympathie bekunden. Die Führer der Bewegung, äußerte er laut Cosima, seien gewiss konfuse Menschen „und vielleicht auch intrigante, der Bewegung selbst aber gehört die Zukunft, umso mehr, als wir nichts wissen, um sie aufzuhalten, als törichte Repressionsmaßregeln“.265 Zwei Jahre später hält Wagners Frau fest: „R. sagt, er habe gegen die Commune, bei welcher gewiss sehr rechtschaffende Wesen gewesen wären, das Kindische derselben einzuwenden, zu glauben, dass die Macht des Besitzes, die seit Kain und Abel bestünde, auf diese Weise zu erschüttern sei.“266 Ob Scherz oder altersdepressiver Ernst, ist beim späten Wagner schwer zu unterscheiden. Er glaube nicht mehr an „unsere Musik“, schreibt er 1882 an den Wormser Fabrikanten und engen Wahnfriedfreund Friedrich von Schön (1849–1940), und „sollte unseres Freundes, des Grafen Gobineau Prophezeiung, dass in zehn Jahren Europa von asiatischen Horden überschwemmt und unsere ganze Zivilisation nebst Kultur zerstört werden möchte, in Erfüllung gehen, so würde ich mit keinem Auge zucken, da ich annehmen dürfte, dass dabei vor allen Dingen auch unser Musiktreiben zugrunde gehen würde“.267
Parsifal war Wagners „Weltabschiedswerk“, so seine eigene Bezeichnung.268 Schon zwei Jahrzehnte vor der Uraufführung hatte er in einem Brief an Bülow angekündigt, die Oper werde der Schluss seines Schaffens sein. Er sollte Recht behalten. Verbunden war mit der Oper, so Lore Lucas, „ein authentischer Akt der Umwertung des Festspielhauses zum Kunsttempel, einer Umwertung des weltlichen Festspiels zum religiösen Mysterium“.269 Das Bayreuther Christentum, das sich daraus entwickelte, sollte in der Geschichte des Grünen Hügels noch eine verhängnisvolle Rolle spielen. Doch Wagners Auffassungen zu religiösen Fragen sind geprägt von flagranten Missverständnissen, falschen Gewichtungen und bewussten Verdrehungen. Sein Christentum ist ohne Ostern und Himmelfahrt, wie Stephan Mösch festgestellt hat: Zielpunkt sei einzig der Karfreitag, die überbetonte Passion stehe für die „Überwindung des Wollens“.270 Falsch versteht der Komponist in Religion und Kunst auch die unbefleckte Empfängnis Marias, bei der es nicht um die jungfräuliche Zeugung Jesu geht, sondern um ihre eigene, die nach Lehre der Kirche ohne Erbsünde erfolgte.271
Bei Parsifal handelt es sich aus theologischer Sicht um Blasphemie, da in der Oper eine Reihe von christlichen Motiven ins Gegenteil verkehrt wird: Hier opfert der Sohn seinen Vater und nicht wie im Neuen Testament umgekehrt, der Gralskönig Amfortas ist im Gegensatz zu Jesus der einzige Sünder unter Reinen, und am Ende des ersten Aufzugs findet sogar die Rückverwandlung von Leib und Blut Christi in Brot und Wein statt – ein eklatanter Fall von Blasphemie in der Kunstgeschichte, was Opernhäuser bis heute nicht davon abhält, Wagners Letztling vorzugsweise am Karfreitag zu spielen und den Schabernack damit auf die Spitze zu treiben. In Religion und Kunst deutet Wagner das Abendmahl ergänzend als „letztes höchstes Sühnungsopfer für alles sündhaft vergossene Blut und geschlachtete Fleisch“.272 Vollkommen verquer ist seine Ansicht, Jesus habe in den Worten „Solches allein genießet zu meinem Angedenken“ den Übergang vom Fleischgenuss, der auf den kultischen Bereich beschränkt wird, zum Vegetarismus vollzogen. In der Unmöglichkeit, das Gebot einzuhalten, sieht er gar ein Zeichen für den Verfall von Christentum und Kirche. Das Wort