Wagners Welttheater. Bernd Buchner

Читать онлайн.
Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



Скачать книгу

im Rheingold. Dafür sollten 25 Berliner Tänzer engagiert werden, deren Honorarvorstellungen allerdings viel zu hoch ausfielen. Wagner griff schließlich auf Mitglieder des Bayreuther Turnvereins zurück – die Nutzung örtlicher Ressourcen ist eine bis heute gern gepflegte Übung der Festspiele. Das Honorar der Turner bestand aus freiem Eintritt zu den Proben sowie einer Hauptprobenkarte für Angehörige.212 Bei der Dekoration wurde hingegen großzügiger, teils geradezu verschwenderisch gedacht. So kostete allein der Siegfried-Drache 500 Pfund Sterling (knapp 60.000 Euro), wie Ballettmeister Fricke berichtete.213

      Das Defizit von 1876 gab Feustel bei Gesamtkosten von 1,28 Millionen Mark zunächst mit rund 120.000 Mark an.214 Später stieg die Summe auf 148.000 Mark. Das schloss eine Wiederholung im Folgejahr aus. Wagner war vielmehr zu einer Konzerttournee gezwungen, um zur Verringerung der Schulden beizutragen.215 Die Auftritte in der Londoner Royal Albert Hall, bei denen der Komponist mit dem Dirigenten Hans Richter Auszüge aus seinen Werken präsentierte, erbrachten allerdings nur 700 Pfund.216 Im August 1877 bilanzierte Düffipp: offene Rechnungen für Lieferanten und Handwerksleute 149.000 Mark, Vorschüsse durch Bayern 216.000 Mark, Gewinn durch Londoner Konzertunternehmen 15.000, Erbschaf Cosima Wagner 132.000 Mark. Er errechnete ein bestehendes Defizit von 102.000 Mark (knapp 820.000 Euro).217 Wagner habe dargestellt, so der Hofbeamte, „dass es ihm persönlich unmöglich sei, eine Wiederholung der Aufführungen in Bayreuth zustande zu bringen, hält aber diese Aufführungen für dringend notwendig, soll die Sache nicht als eine verlorene angesehen, die Stadt Bayreuth, welche dem Unternehmen große Opfer brachte, nicht empfindlich geschädigt werden.“218 Am 15. September nahm der Komponist vor den Bayreuther Patronen zur finanziellen Lage Stellung. „Wir sind in einem schrecklichen Zustande“, sagte er. „An eine Hilfe vonseiten des Reichstags ist nicht zu denken. Im Reichstag ist nicht ein Mensch, der weiß, worum es sich für uns handelt. (…) Wir dürfen auf keinen derartigen Beistand rechnen, um uns das Defizit vom Hals zu schaffen.“219 Kritik übte Wagner aber auch an den Mäzenen, an die er im Januar 1877 einen Hilfsaufruf geschickt hatte. Daraufhin sei keine Meldung gekommen, „außer von dem alten Fräulein Plüddemann in Kolberg, welche 100 M. schickt“, wie er bald darauf beklagte.220

      Die Rettung kam einmal mehr vom bayerischen König. Am 15. Januar 1878 bezifferte Feustel das Minus auf exakt 147 851,82 Mark. Davon seien inzwischen 49 823,25 bezahlt worden, es verblieb ein offener Betrag von 98 028,57 Mark.221 Cosima erwirkte bei Ludwig II. ein verzinsliches Darlehen in genau dieser Höhe.222 Es sollte durch die Tantiemen für die Aufführungen der Opern Wagners am Münchner Hoftheater getilgt werden – erneut stellte der König also einen Wechsel auf die Zukunft aus. Die Bayreuther Festspielkasse beglich diesen sowie den 1874 gewährten Kredit bis zum Jahr 1906 vollständig.223 Das Unternehmen bewegte sich in bürgerlich-wohlgeordneten Bahnen. Böse Zungen behaupteten, das Ableben des Geldverschwenders und Pumpgenies Richard Wagner habe am späteren Aufschwung des Bayreuther Unternehmens entscheidenden Anteil. Das lässt sich nicht bestätigen. Denn schon die zweiten Festspiele 1882 endeten mit einem Überschuss von exakt 143 139 Mark.224 Maßgeblichen Anteil daran hatte indes ein letztes Mal Ludwig II.: Er übernahm die Kosten für Orchester und Chor.

      1876 und die Folgen

      Auch Kritiker, die Richard Wagner sonst wenig zugetan waren, erkannten 1876 seinen kompositorischen Rang und die außergewöhnliche Leistung an, die Festspiele ins Werk gesetzt zu haben.225 Damit verbunden war aber eine klare politische Stoßrichtung, die auch in den publizistischen Reaktionen zum Ausdruck kam. Es sei für die Zeitgenossen vollkommen natürlich gewesen, so Frederic Spotts, „den Erfolg von 1876 als kulturelles Gegenstück des militärischen und politischen Triumphes von 1871 anzusehen“.226 So zog etwa Franz Gehring in der Wiener Deutschen Zeitung eine Parallele zwischen dem Krieg, in dem der deutschen Sache Gerechtigkeit widerfahren sei, und dem Werk von Bayreuth, mit dem Wagner die verdiente Anerkennung bekommen habe. In beidem seien „Liebe und Opferwilligkeit“ erkennbar, schrieb er unmittelbar nach Eröffnung der Festspiele.227 „Sowohl die deutschen als auch die fremden Gäste müssen, selbst wenn sie Wagners Sache abhold sind, von Bayreuth wenigstens den einen Eindruck mitnehmen, dass nur deutsche Konsequenz und Festigkeit ein solches Riesenwerk vollenden und darstellen konnte. Hiermit ist zum ersten Male, seit von den Deutschen in der Weltgeschichte die Rede ist, diese Haupttugend derselben in das ästhetische Gebiet übertragen, und so hart und herbe dieselbe für die anderen Nationen auf sonstigen Gebieten des Lebens auch sein mag, hier muss sie ihnen idealisiert und in ihrem wahren Wesen milde verklärt erscheinen. In diesem Sinne ist es nunmehr wahr geworden, dass Wagners Sache von der deutschen nicht mehr zu trennen ist.“

      Suspekt erschienen solche vordergründigen Politisierungen selbst entschiedenen Wagnerianern wie Plüddemann. Für ihn waren die Festspiele „ein großer Sieg, ja der entscheidende Sieg für Wagner und seine Idee des gesungenen Dramas“.228 Manch indifferentes Blatt habe sich zwischenzeitlich für Wagner erwärmt, auch manches gegnerische stehe plötzlich auf seiner Seite, schrieb er. „Diese Freundschaft ist allerdings teilweise nichts, wie die Anbetung des Erfolges: so wie die Deutschen plötzlich Bismarcks Freunde wurden, als seine Politik 70–71 ihren größten Erfolg errungen hatte; die Leute sagen sich, wenn ein einzelner Mann ohne erhebliche Unterstützung seiner Zeitgenossen, ja offenbar wider deren Willen etwas zustande bringt, was man bis dato für unmöglich gehalten hatte, so muss wohl etwas dahinterstecken“. Die Reserviertheit gegen kulturpolitische und ideologische Trittbrettfahrerei klingt auch in einer Notiz in der Gartenlaube an. Auf eine Zusendung antwortete die Redaktion des beliebten, der Politik eher fernstehenden Unterhaltungsblattes: „Gegen Ihre Bezeichnung der Richard Wagner’schen Musikaufführungen in Bayreuth als eines ‚nationalen Unternehmens‘ müssen wir entschiedene Verwahrung einlegen. Wenn auch Sie und andere der Welt weißmachen möchten, dass ein solches Prädikat hier am Platze sei, so wird doch jeder unbefangen Urteilende sich der Erkenntnis nicht verschließen können, dass die ‚Nation‘ den Bayreuther Aufführungen absolut fernsteht“.229 Einige Zeitungen schrieben hingegen auch negativ über die Festspiele. So berichtet Plüddemann, es falle auf, „dass die wirklich boshaften und bissigen Gegner sich fast auf das Feld der liberalen und sog[enannten] nationalliberalen Zeitungen beschränken; in den konservativen und frommen Blättern, ja in der ganz reaktionären, vielgeschmähten Kreuz-Zeitung habe ich nie diesen Ton ostensibler Feindseligkeit gefunden“. Selbst die liberalen und nationalliberalen Organe fingen jetzt an, „sich ebenfalls eines angemessenen Tones zu befleißigen“.230 Nur die ultramontanen, also katholischen Blätter hätten „ehrlich weitergeschimpft “, fährt Plüddemann fort und zitiert als Beleg eine bayerische Zeitung: „In Bayreuth werden jetzt die Orgien des Antichristentumes gefeiert; das ist so echt modern und gottlos, sich stundenlang bis zur sinnlosen Betäubung von der Musik und der Pracht der Szene berauschen zu lassen, wie es dort täglich geschieht“. Er nennt solche Stimmen ganz in Wagners Duktus „Vertreter des unechten, verjesuitisierten Christentums“. Für eine ultramontane Hetze gegen Bayreuth, wie sie Cosima in ihren Tagebüchern mehrmals andeutete, gibt es gleichwohl keinerlei Belege.231

      Auf Widerspruch stießen die ersten Festspiele vielmehr seitens der evangelischen Kirche, die sich durch Wagners pseudoreligiöse Kunstideologie in ihrer weltanschaulichen Vormachtstellung im preußisch dominierten Reich herausgefordert sehen musste. Der Theologieprofessor Hermann Messner schrieb in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung, das Spiel zu Bayreuth sei „keine Aufführung, sondern ein Kultus; die Fürsten und Fürstinnen, Staatsmänner und Gelehrte u. s. w., welche unter dem Antrieb einer künstlerischen Großtat dorthin zusammengeströmt oder unter dem Eindruck einer nationalen Großtat dorthin gezogen sind, sollten der Offenbarung einer Art von neuer Religion beiwohnen.“ Jeder Verständige müsse verneinen, dass „eine solche Dichtung als ein nationales Heiligtum angesehen werden könne“, setzt der Gelehrte nach und bilanziert: „Sollten wir in einem Worte den Charakter dieser musikalisch-dramatischen Leistung schildern, so würden wir sagen: Sie ist, aus dem pantheistisch-materialistischen Zeitgeiste geboren, die sonderbare Erscheinung eines heidnischen Romantizismus, gerade so überspannt, gerade so sinnlich, wie die ausgestorbene Romantik unserer Literatur, nur anstatt auf das Mittelalter und den Katholizismus hingewandt auf die vorchristliche Zeit und das Heidentum.“232

      Vom Standpunkt der kirchlichen Autorität hingegen dürfte den