Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

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Название Buchstäblichkeit und symbolische Deutung
Автор произведения Matthias Luserke-Jaqui
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772002151



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des Goethe-Archivs (Kräuters Repertorium, jeweils „Eigen Poetisches 44“) mit dieser Beschreibung geführt:

      „Aufbewahrung Kasten: XXIII, (2) Konvolut: 1 Bd. Inhalt: Druckmanuskript des 1. Buches, = H. Blatt- bzw. Stückzahl: 88 gBl. Schrift: m Seidel, z.T. Vogel, egh K. WA: I/19, 1–86, A I/19, 329–331. Kräuters Repertorium: Eigen Poetisches 44. Aufbewahrung Kasten: XXIII, (3) Konvolut: 1 Bd. Inhalt: Druckmanuskript des 2. Buches, = H. Blatt- bzw. Stückzahl: 105 gBl. Schrift: z.T. Seidel, z.T. Vogel, egh K. WA: I/19, 87–191, A I/19, 329–331. Kräuters Repertorium: Eigen Poetisches 44“9.

      Bei der Edition waren folgende Korrekturen zu beachten: korrigiert aus bestehendem Wort, unleserliche(r) Buchstabe(n), unleserliches Wort, unsichere Lesart, über der Zeile eingefügt, unter der Zeile eingefügt, gestrichen, Korrektur von Goethes Hand, Korrektur von HerderHerder, Johann Gottfrieds Hand, Handschrift von SeidelSeidel, Philipp Friedrich, Handschrift von VogelVogel, Christian Georg Karl. Zum Vergleich diente die Weimarer Ausgabe (Abt. I, Bd. 19 [Weimar 1899]). Die Handschrift (insgesamt zwei Bände) trägt die Signatur des Goethe- und SchillerSchiller, Friedrich-Archivs GSA 25/XXIII, 2–3 und wird im Folgenden mit H bezeichnet.10 Auf der Innenseite des Umschlagblattes des ersten Bandes ist ein schreibmaschinengeschriebener Zettel eingeklebt und handschriftlich von Max HeckerHecker, Max (1870–1948), der bis 1945 im Goethe- und Schiller-Archiv als Archivar tätig war, unterzeichnet. Dieser Zettel hat folgenden Wortlaut:

      „Der Einband zu dieser Handschrift: / „Leiden des jungen Werthers“ / Erstes Buch / ist in den 90er Jahren unter den Augen der Großherzogin Sophie von dem damaligen Hofbuchbinder Arno Krehan, dem späteren Weingroßhändler und Kommerzienrat in Weimar, hergestellt worden.“

      Der Firmenaufkleber auf der letzten Seite trägt den Vermerk „Buchbinderei von H. Krehan in Weimar“. Das Manuskript ist mit einem Lesebändchen ausgestattet, aus festem Karton mit marmoriertem Einbandpapier. Die Maße betragen Breite 16,5 cm, Höhe 20,2 cm. Die Signatur lautet 25/XXIII, 2. Rückenprägung mit Goldlettern: „Leiden des jungen Werthers / – / Erstes Buch.“ Die Signatur des zweiten Bandes ist 25/XXIII, 3. Auch hier findet sich auf der ersten Umschlag- (Vacat-)Seite der maschinengeschriebene Zettel, von Max Hecker unterzeichnet, gleicher Wortlaut wie im ersten Band. Maße: Breite 16,5 cm, Höhe 20,4 cm. Am Ende des Manuskripts findet sich auf der Umschlagseite das gleiche Etikett des Buchbinders wie im ersten Band. Rückenprägung in Goldlettern: „Leiden des jungen Werthers / – / Zweytes Buch.“ Die Handschrift wird nach Blättern (nicht unterschieden in Vorder- und Rückseite) und nicht nach Seiten gezählt. Die Blattzählung ist in der Handschrift rechts oben auf dem jeweiligen Blatt notiert. Die Handschrift ist stellenweise stark korrigiert. Unterschiedliche Korrekturhände lassen sich identifizieren, unter anderem auch Goethes Handschrift. Mutmaßungen oder Plausibilitätsüberlegungen sind nicht immer überzeugend. Die Weimarer Ausgabe vermutete fünferlei Korrekturhände, von denen diejenigen GoethesGoethe, Johann Wolfgang, HerderHerder, Johann Gottfrieds, Seidels und Vogels nachweisbar seien. Der Nachweis von Charlotte von SteinsStein, Charlotte von und WielandWieland, Christoph Martins Handschrift indes galt schon der Weimarer Ausgabe als nicht möglich. Die Orthografie ist uneinheitlich und inkonsequent, offensichtliche oder vermeintliche Schreibversehen müssen als solche erkennbar bleiben. Verbesserungen wurden (bis auf zwei Ausnahmen) nicht vorgenommen. Einige kleinere Unsicherheiten bei den Lesarten bleiben bestehen, denn nicht immer ist in der Handschrift klar zu erkennen, ob das erste „t“ bei „setzte“ oder bei „versetzte“ nachträglich eingefügt wurde, also eine Korrektur darstellt. Nur dort, wo es unmissverständlich und eindeutig als Korrektur erkannt werden kann, ist es auch als Korrektur ausgewiesen. Im Verlauf der Handschrift entstehen auch Prozesse von Selbstkorrekturen der Schreiber Christian Georg Karl VogelVogel, Christian Georg Karl (1760–1819) und Philipp Friedrich SeidelSeidel, Philipp Friedrich (1755–1820), das lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass aus anfänglich „iezt“ zunächst „jezt“ wird und schließlich „jetzt“. Ähnliches lässt sich beim Wechsel von „k“ zu „ck“ beobachten. Korrekturzeichen oder Zeichen des Setzers, dessen Hand nicht sicher, sondern lediglich wahrscheinlich ist, und welche die ausgeführten Korrekturen der Handschrift durch ein Häkchen am Rand bestätigen, sind nicht relevant. Die Weimarer Ausgabe vermutet allerdings, dass diese Häkchen den Setzer erst auf auszuführende Korrekturen aufmerksam machen sollten (vgl. Goethe: WA, Abt. I, Bd. 19, S. 330f.). Dass die Handschrift H eindeutig als Vorlage zum Druck der WertherDie Leiden des jungen Werthers-Ausgabe von 1787 gedient hat, zeigen u.a. auch die Setzerzeichen im Manuskript, das Gebrauchsspuren der Druckerei aufweist, sodass davon auszugehen ist, dass diese Handschrift die unmittelbare Satzvorlage für den Werther-Druck von 1787 darstellt.

      GoethesGoethe, Johann Wolfgang eigene, handschriftliche Korrekturen im Manuskript lassen darauf schließen, dass er den Text sehr aufmerksam und sorgfältig korrigiert hat. Wenn er demnach eine Textstelle, die den heutigen Philologen als fehlerhaft erscheint, unkorrigiert ließ, so ist in diesem Fall nicht auszuschließen, und möglicherweise muss sogar davon ausgegangen werden, dass der ursprüngliche Wortlaut erhalten bleiben sollte, auch wenn dies mit abweichenden Erkenntnissen kollidiert, die sich auf die verschiedenen Druckfassungen des Werthers stützen. Um ein Beispiel anzuführen: In der Handschrift heißt es „grauer Frack“11, in den Drucken jedoch wird dies verbessert in „blauer Frack“. Entsprang der Wechsel von blau zu grau einem Hörfehler beim Diktat? Weshalb wurde er dann aber von Goethe beim gründlichen Korrekturlesen nicht verbessert? Oder wollte Goethe vielleicht – eingedenk der Debatte um die Werther-Tracht – darauf verzichten, weiter zur Uniformierung des Werther-Fiebers durch die Wiederholung der Beschreibung von Werthers Kleidung beizutragen? Hier darf ein Herausgeber nicht in den Text verändernd eingreifen, auch nicht in der vermeintlich guten Absicht, den korrupten Text verbessern zu wollen.

      Der Kommentar in der Weimarer Ausgabe bemerkt, dass die ursprüngliche Handschrift von Seidel nicht nach Diktat, sondern nach Vorlage hergestellt worden sei (vgl. Goethe: WA, Abt. I, Bd. 19, S. 330). Allerdings enthält der Text selbst eindeutige Indizien, welche die Bedeutung des gesprochenen und gehörten Worts vor dem gelesenen Wort in der Kommunikation zwischen GoetheGoethe, Johann Wolfgang und seinem jeweiligen Schreiber belegen. So erklärt sich zum Beispiel jenes Schreibversehen, wo es im Text zunächst „versenkt“ hieß statt „versengt“, wie im Brief vom 21. August des Erstdrucks zu lesen ist: „das versengte verstörte Schloß“12. In der Handschrift heißt es nun „das ausgebrannte, zerstörte Schloß“13, wobei „ausgebrannte“ über der Zeile ergänzt und „versenkte [!]“ gestrichen wurde. Die Korrekturen stammen von Goethes Hand. Ebenso diktierte Goethe nach dem Wortlaut des Erstdrucks die Textstelle: „und sich einen Schoppen Wein geben lassen“14, woraus in der Handschrift „und sich eine Flasche Wein geben lassen“ wird, wie es dann auch im Druck der Fassung von 1787 heißt, wobei beim Diktat die Worte „eine Flasche Wein“ zunächst als Textlücke stehen blieben und von Goethe nachträglich handschriftlich ergänzt wurden.15

      Während also von der Handschrift der Erstfassung des WerthersDie Leiden des jungen Werthers für den Druck von 1774 nur zwei Blätter erhalten geblieben sind, existiert zur Zweitfassung von 1787 das vollständige Manuskript.16 Das ist eigentlich ein Glücksfall für die Goethe-PhilologiePhilologie. Doch wurde diese Handschrift lange nicht ediert, obwohl sie stark vom Druck abweicht. Die Weimarer Ausgabe bietet zwar in ihrer Edition des Werthers die Abweichungen der Handschrift H zum Druck, doch dies keineswegs vollständig und keineswegs fehlerfrei. Sie argumentiert durchaus, H besitze den „höchsten Anspruch auf Echtheit und dauernde Geltung“ (Goethe: WA, Abt. I, Bd. 19, S. 334), diese Erkenntnis wird jedoch zugunsten der Bemerkung zurückgestellt, H sei immer noch weit davon entfernt, „eine völlig genaue Vorlage für den Druck zu bilden“ (Goethe: WA, Abt. I, Bd. 19, S. 334).

      Die Forschung entwickelte eine Art editionsphilologischenEditionsphilologie Mythos, dessen genauer Ursprung kaum mehr auszumachen, dessen Lebendigkeit indes bis heute ungebrochen ist. Zu diesem Kuriosum der WertherDie Leiden des jungen Werthers-PhilologiePhilologie gehört die Behauptung, die Akademie Ausgabe17 biete in ihrem Paralleldruck die Handschrift, obgleich weder die Akademie Ausgabe noch die Herausgeber des entsprechenden Werther-Bandes von 1954 überhaupt den Anspruch erheben, den Text nach der Handschrift bieten zu wollen. Es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass die Textdarbietung der Druckfassung von 1787 nach der Handschrift verbessert wurde, dem