Название | Gestalt im Schatten |
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Автор произведения | Luiz Antonio de Assis Brasil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962026172 |
„Schön, nicht wahr?“, sagte Humboldt. „Sie haben etwas Wildes, Raues. Aber sehen Sie nur. Diese Lilie aus Martinique ähnelt der unseren, europäischen sehr. Finden Sie nicht? Aber sie ist ihr nur ähnlich, nicht gleich.“
„Gewiss, Alexander.“
„Die Lilien unterscheiden sich, weil sie in anderen Breiten und auf verschiedenen Höhen wachsen.“ Humboldt erklärte, dass sei ein Indiz dafür, dass die Natur ein einziger, großer Organismus sei. Dass er, Aimé Bonpland, die Pflanzen bestimme, presse und zwischen Papierbögen lege, habe nur dann einen Sinn, wenn sie diese organische Verbindung bewiesen.
Viele hatten schon ähnliche Gedanken geäußert, Latourette, Carbonnières, aber ohne das geringste Interesse daran, diese Dinge zu vertiefen. Er, Humboldt, behauptete, dass alle Arten einander in diesem Organismus gegenseitig beeinflussten.
„Und das lässt sich beweisen“, sagte er.
„Wie denn?“
„Dazu gibt es nur einen Weg“, meinte er. „Mit einer Reise.“
Von Schülern umgeben verließ Lamarck das Amphitheater. Er war von massiger Gestalt und langsam. Er hatte ein recht gewöhnliches Gesicht, das aber durch seine lebhaften Augen gewann. Humboldt trat auf ihn zu.
Aimé Bonpland, den die Gegenwart des großen Wissenschaftlers einschüchterte, setzte sich lieber auf eine Bank unter die große Platane, die Lamarck mitgebracht hatte.
Ja, es sei möglich, dass alles in der Natur, eine Einheit bilde. Wenn man das beweisen könnte, gäbe es seiner Arbeit einen Sinn. Das könne ihn vor der Verdammnis retten.
10
Hotel Boston, 4 Uhr nachmittags.
Sie waren in Aimé Bonplands Zimmer. Schon seit langem waren sie dort.
Sie sprachen miteinander, sie sagten sich, was sie seit dem Vortag getan hatten.
Jetzt beugte sich Aimé Bonpland über den Schreibtisch, der am offenen Fenster stand, um eine Reihe von Pflanzen beiseite zu schieben, die er anschließend mit den Pressplatten zusammendrücken wollte.
Humboldt saß neben ihm, den Arm auf dem Fensterbrett, und folgte Aimé Bonplands Händen mit den Augen.
Draußen war ein heißer Nachmittag.
„Und die Medizin?“, fragte Humboldt.
„Die Medizin…“ Aimé Bonpland schaute hinaus. Er wandte sich Humboldt zu. Da die Expedition Baudin wohl nicht stattfinden würde, plante er nun das Naheliegende, nämlich nach La Rochelle zurückzukehren, um dort vormittags im Krankenhaus zu arbeiten und nachmittags in seiner Praxis.
„Praxis, Krankenhaus, La Rochelle… Derselbe Weg, den Ihr Vater eingeschlagen hat; und die Botanik?“
Aimé Bonpland nahm seine Tätigkeit wieder auf. Humboldt konnte zerstreut wirken, wenn er wollte.
„Sie könnten mich auf einer Reise begleiten“, sagte er.
Aimé hielt inne, er merkte auf. „Reise?“
Dann fuhr Humboldt fort: „Eine Reise in für Europäer nahezu jungfräuliche Erdteile. Vergessen wir diese Expedition Baudin! Dank einer Erbschaft habe ich Geld“, setzte er hinzu und erklärte sein Vorhaben: Sie würden sich auf die Suche nach wissenschaftlichen Beweisen für das organische System machen, das es in der Natur gab.
Er antwortete auf eine Frage Bonplands: „Ob ich träume? Wir haben das Geld, wir haben die Zeit, wir haben die nötige Gesundheit, wir haben die Kenntnisse. Wenn es in Europa jemanden gibt, der sich dieses Unterfangen vornehmen kann, dann sind wir es. ‚Und wozu die Einheit der Natur beweisen? Inwiefern ändert das die Natur?‘, werden Sie mich jetzt fragen.“
Humboldt hob den Blick zur Decke empor. „Nicht im Geringsten. Aber es wird uns verändern. Denn wenn die Natur eins ist und systematisch, wird sie zu etwas Begeisterndem, Großartigem, wie ein Tempel. Und die menschliche Seele braucht das alles.“ „Diese Reise hätte zum Ziel, die Natur zu entdecken?“
„Nein, sie zu vermessen. Sie zu vermessen und dadurch zu beweisen, wie sie sich organisiert. Das ist weit mehr als die Botanik. Die Botanik bildet nur einen Teil dieser Einheit. Und um die Einheit der Natur zu entdecken“, sagte Humboldt, „muss man die verschiedenen Weltgegenden untersuchen und die Prozesse, die in jeder einzelnen von ihnen ablaufen, vergleichen.“
Es war das erste Mal, das Aimé Bonplands Ohren so etwas zu hören bekamen. Er begriff in diesem Augenblick, dass sein Leben in gewisser Weise in den Händen dieses Mannes liegen werde.
Humboldt erhob sich, nahm einen Zweig getrockneter Bougainvillea, an dem noch ein paar ausgebleichte, rötliche Blütenblätter hingen, sah sie sich genau an.
„Diese wunderschöne Bougainvillea stammt aus Brasilien. Hätten wir in Frankreich dasselbe Klima, würde sie hier ohne jedwede Pflege gedeihen. Nun, was ist, Aimé?“, schloss er. „Mein Entschluss steht fest. Ich habe schon die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Sie brauchen nur zuzustimmen.“
Aimé Bonpland fragte. „Gestatten Sie?“. Er nahm Humboldt die Bougainvillea aus der Hand.
Er legte sie vorsichtig auf den Papierbogen.
Er antwortete nicht.
Nicht an dem Tag.
11
Instrumente zum Messen und Wiegen, auch solche zum Beobachten von Kleintieren oder Sternen sind nützlich, jeweils ein anderes je nachdem, wer sie gebraucht.
Astronomen besitzen Ferngläser oder Teleskope bzw. große Refraktoren. Geometer haben Rechenschieber und Winkelmesser, Geografen Barometer und Sextanten. Ein Mann kann auch über ein Barometer verfügen, das er Jahre später vielleicht durch ein Hygrometer ersetzt.
Nie hatte jedoch ein einziger Mann genügend Mittel und Interesse, um alle diese Instrumente gleichzeitig sein Eigen zu nennen. Es waren insgesamt über achtzig, wenn man die Ersatzgeräte mitzählt.
Humboldt brachte Aimé Bonpland in seine vier Zimmer umfassende Suite im Hotel Boston.
Die Unterkunft hatte sich in ein Depot von Behältnissen aller Art und Größen von bester Qualität verwandelt. Einige lagen auf dem Bett, andere auf den Teppichen.
Hämmer für Archäologen waren darunter.
Aimé Bonpland begriff sofort, dass Humboldt seinen Plan schon weit vorangetrieben hatte.
Manche Hüllen enthielten mehrere gleichartige Instrumente: zwei oder drei Thermometer, fünf Barometer. Hergestellt waren sie aus verschiedenen Materialien: Messing, Zinn, Silber, Gold, Glas, Kristall und Holz.
Die Linsen hatten unterschiedliche Durchmesser und Stärken.
Außerdem gab es dort Geräte zur Feststellung des Längengrades, Sextanten, Theodoliten, künstliche Horizonte, Geologenkompasse und Magnetometer. Keines der Instrumente befand sich rein zufällig dort.
Sie würden europäische Maße in jene fernen Erdteile einführen, die bis dahin lediglich Objekte wirtschaftlicher oder religiöser Gier gewesen waren. Mit einem zärtlichen Blick betrachtete Humboldt die Instrumente.
Dann liebkosten seine Finger die metallische Kühle eines der Fernrohre.
„Damit kann man von anderen Längen- und Breitengraden aus die Monde des Jupiter und die Ringe Saturns sowie die Meere, die Berge und die Krater des Mondes anschauen.“ Humboldt steckte das Instrument wieder in seinen Behälter. „Kurz und gut, Aimé, wenn Sie mein Angebot annehmen, werden wir alles vermessen, wiegen und beschreiben. Ruhmbedeckt werden wir nach Europa zurückkehren.“
Aimé Bonpland nahm einige Bücher von einem Stuhl und setzte sich. Er fragte,