Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief. Johannes Chrysostomos

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Название Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief
Автор произведения Johannes Chrysostomos
Жанр Документальная литература
Серия Die Schriften der Kirchenväter
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783849660192



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die eines Herzens sind, die für einander in den Tod gehen, die einander heiß und innig lieben. Ihr dürft nun nicht, um meine Worte zu entkräften, an die alltäglichen Freundschaften, an Tischgenossen, an bloße Namenfreunde denken. Wer einen solchen Freund hat, wie ich meine, der versteht meine Worte ganz gut. Er wird seines Anblickes nicht satt, und wenn er ihn alle Tage sieht. Er wünscht ihm Alles, was er sich selber wünscht. Ich kenne Einen, der, als er einst heilige Männer um ihre Fürbitte anging, sie hat, zuerst für seinen Freund, dann erst für ihn selbst zu beten. Von solcher Bedeutung ist uns ein guter Freund, daß wir seinetwegen sogar Orte und Zeiten liebgewinnen. Denn gleichwie leuchtende Körper ihren Glanz ausstrahlen auf die in ihrer Nähe befindlichen Orte, so tragen auch die Freunde den Liebreiz ihrer Person auf die Orte über, au denen sie geweilt, und oft haben wir, wenn wir ohne die Freunde an solchen Orten waren, geweint und geseufzt, eingedenk jener Tage, an welchen wir mit jenen zugleich uns daselbst befanden. Doch mit Worten läßt sich nicht schildern, welche Lust und Freude die Gegenwart der Freunde bereitet. Nur Diejenigen wissen es, welche es erfahren haben. Unbesorgt magst du von dem Freunde einen Dienst verlangen oder eine Gefälligkeit dir erweisen lassen. Wenn die Freunde von uns Etwas verlangen, so ist uns das nur angenehm; getrauen sie sich nicht, uns um Etwas anzusprechen, so ist uns das leid. Was wir besitzen, ist zugleich auch ihr Eigenthum. Oft haben wir uns losgesagt von allen irdischen Dingen, der Freunde wegen aber möchten wir nicht von hinnen scheiden. Ja, der wahre Freund ist ein kostbareres, begehrenswertheres Gut als selbst das Licht der Augen.

       6.

      Jawohl, in der That ist ein wahrer Freund höher zu schätzen als das Licht der Augen. Über diese Worte brauchst du dich nicht zu wundern. Denn besser, daß die Sonne uns verschwinde, als daß der wahre Freund geraubt werde. Besser, in der Finsterniß wandeln, als ohne Freunde leben. „Wie so?“ möchte ich fragen. Ja, das will heißen: Viele, die zwar die Sonne sehen, wandeln im Dunkeln, Diejenigen aber, welche Freunde haben, wandeln auch dann nicht im Dunkeln, wenn sie sich in Leiden und Trübsalen befinden. Ich spreche von den wahren und eigentlichen Freunden, welchen die Freundschaft über Alles geht. Ein solcher war Paulus, der, auch ungebeten, gerne sein Leben hingegeben hätte. Mit so feuriger Inbrunst muß man lieben. Ich will euch ein Beispiel anführen dafür, daß Freunde, im christlichen Sinne nämlich, einander näher stehen, als selbst Eltern und Kinder. Denke mir da keiner an die Christen jetziger Zeit, denn mit so vielen andern Tugenden ist auch die Tugend der christlichen Freundschaft seltener geworden. Darauf lenke vielmehr ein Jeder sein Augenmerk, daß zur Zeit der Apostel nicht etwa bloß die Vorsteher, nein, auch „die Gläubigen selbst ein Herz und eine Seele waren.“43 „Keiner nannte von seiner Habe Etwas sein eigen, sondern einem Jeden ward nach Bedürfniß zugetheilt.“44 Mein und Dein waren damals fremde Begriffe. Die wahre Freundschaft zeigte sich darin, daß Niemand sein Eigenthum als seinen Besitz ansah, sondern das des Nebenmenschen, daß er dagegen seinen Besitz als fremdes Gut betrachtete; sie zeigt sich darin, daß Jeder nicht weniger auf sein Wohl bedacht war, als auf das des Nächsten, und daß dieser umgekehrt wieder eine gleiche Gesinnung an den Tag legte.

      „Ist es möglich,“ frägt man, „daß es Menschen von solcher Gesinnung gibt?“ Jawohl ist es möglich, wenn wir nur wollen. Gar leicht wäre es der Fall, wofern nur bei uns kein Hinderniß bestünde. Wäre es unmöglich, so hätte Christus es nicht befohlen und hätte nicht so viel gesprochen von der christlichen Liebe. Ja, es ist etwas Großes um die Liebe, etwas unaussprechlich Großes; mit Worten läßt sich von ihr kein Begriff geben, nur durch eigene Erfahrung lernt man sie begreifen. Der Mangel an wahrer christlicher Liebe ist es, der so viele Spaltungen hervorgerufen hat, er trägt die Schuld, daß die griechischen Heiden immer noch Heiden sind. Der wahre Freund will nicht gebieten und herrschen, sondern größere Freude macht es ihm, wenn er dem Freunde gehorchen und dienen kann. Er will lieber Wohlthaten erweisen als empfangen. Er ist von Liebe durchdrungen, und darum ist ihm immer zu Muthe, als hätte er seinem Drange noch nicht Genüge gethan. Wenn er dem Freunde Gutes thun kann, so bereitet ihm das mehr Vergnügen, als wenn ihm selbst Solches widerfährt. Er will den Freund eher sich verpflichten, als ihm Dank schulden, oder vielmehr, er will zugleich den Freund zum Schuldner haben und dessen Schuldner sein. Er will dem Freunde dienen, aber ohne davon viel Aufhebens zu machen, vielmehr soll es scheinen, als ob ihm selbst dadurch ein Dienst erwiesen würde.

       7.

      Manche von euch haben mich vielleicht noch nicht recht verstanden. Darum will ich die Sache noch einmal vortragen. Der wahre Freund also macht gern den Anfang im Wohlthun, aber so, daß es herauskommt, als vergelte er nur empfangene Wohlthaten. So hat es auch Gott selbst gemacht den Menschen gegenüber. Aus Liebe wollte er seinen Sohn für uns dahingeben. Um aber nicht als unser Wohlthäter, sondern als unser Schuldner zu erscheinen, gebot er dem Abraham, ihm zuerst seinen Sohn zu opfern, indem er dadurch die Größe seiner Wohlthat verhüllen wollte. Wenn keine Liebe vorhanden ist, so setzen wir den Werth empfangener Wohlthaten herab, den Werth der gespendeten aber übertreiben wir; wenn aber Liebe in unsern Herzen herrscht, dann verbergen wir die gespendeten Wohlthaten und stellen sie, wenn sie auch groß sind, gerne als klein dar. Wir wollen nicht, daß der Freund als unser Schuldner erscheine, sondern umgekehrt, wir wollen als seine Schuldner erscheinen, während wir doch selbst ihm Gutes erwiesen haben. Ich kann mir nun wohl denken, daß die Meisten von euch Dieß alles nicht begriffen haben, redete ich ja doch von einem Dinge, das jetzt nur mehr im Himmel existiert. Es verhält sich damit ungefähr so, wie wenn ich von einer indischen Pflanze reden würde, die Keiner von euch aus eigener Anschauung kennt. Keine Beschreibung, und wenn ich auch Stunden lang davon sprechen würde, wäre im Stande, ein anschauliches Bild und einen klaren Begriff davon zu geben. So verhält es sich auch mit dem oben Gesagten. Wenn ich auch noch so viele Worte machen würde, es wäre vergeblich, Niemand würde durch bloße Worte einen Begriff von der Sache bekommen.

      Ja, die Pflanze, die ich meine, sie wächst nicht in Indien, aber im Himmel droben, und ihre Zweige, sie tragen als Frucht nicht köstliche Dinge dieser Welt, sondern ein tugendhaftes Leben, das da an Werth alle Köstlichkeiten der Erde übertrifft. Nenne mir irgend eine Freude, eine erlaubte oder unerlaubte, und wäre sie auch süßer als Honigseim, alle übertrifft das Glück einer wahren Freundschaft! Des Honiggenusses bekommen wir einmal satt, des Freundes aber nie, so lange er Freund ist, sondern die Liebe zu ihm wächst nur und verwandelt sich nie in Überdruß. Ja, der wahre Freund hat in unsern Augen einen größeren Werth, als das leibliche Leben selber. Wurden doch schon Manche nach dem Tode der Freunde sogar des Lebens überdrüssig.

      In Vereinigung mit einem Freunde mag Einer wohl auch die Verbannung ertragen, ohne den Freund aber möchte Mancher auch nicht einmal gerne in dem Vaterlande wohnen. Mit dem Freunde ist wohl auch die Armuth erträglich, ohne denselben mag oft Gesundheit und irdisches Glück eine Qual sein. Der wahre Freund lebt eben nur in dem andern. Ich bedaure, daß ich Dieß nicht in einem Beispiele erläutern kann. Denn ich weiß recht wohl, daß meine Darstellung keinen rechten Begriff von der Sache geben kann. — So verhält es sich nun mit der Freundschaft auf dieser Welt. Im Himmel droben aber harret der wahren Freundschaft unbeschreiblicher Lohn. Lohn verheißt Gott uns, damit wir einander lieben. „Liebe,“ sagt er, „und empfange dafür Lohn!“ Und doch wären wir dafür eigentlich Dank schuldig. „Bete,“ sagt er, „und empfange dafür Lohn!“ Und doch sind wir eigentlich dafür Dank schuldig, weil wir ja nur Nützliches erbitten. „Dafür, daß du mich bittest, empfange Lohn! Faste, und empfange Lohn! Werde tugendhaft, und empfange Lohn dafür, während du Dank dafür schuldig wärest!“ Gott macht es hierin, wie die Eltern, welche den Kindern Belohnungen ertheilen, wenn sie dieselben zu einem tugendhaften Wandel herangebildet haben, gleich als wären sie der Kinder Schuldner, da sie dieselben in Lust gezeugt. So sagt auch Gott gleichsam: „Lebe tugendhaft, dann wirst du belohnt! Denn du machst dadurch deinem Vater Freude, und dafür bin ich dir Belohnung schuldig. Bist du aber böse, so beleidigst du deinen Vater.“

      Darum wollen wir Gott nicht beleidigen, sondern ihm Freude machen, damit wir das Himmelreich erlangen durch Jesum Christum unsern Herrn. Amen.

      Dritte Homilie.

       1.