Seewölfe Paket 26. Roy Palmer

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Название Seewölfe Paket 26
Автор произведения Roy Palmer
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954399949



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      Als sich die Morgennebel zu lichten begannen, nahm Hasard das Spektiv und bezog den höher gelegenen Ausguckposten oberhalb der Felsengrotte. Sir John blieb beharrlich auf seiner Schulter, als wollte er nachholen, was ihm während der zurückliegenden Stunden an menschlicher Nähe gefehlt hatte. Plymmie trottete mit lautlos-federnden Bewegungen neben dem Jungen her.

      Aus der erhöhten Position beobachtete Hasard als erstes die Galeone, die draußen im Riffgürtel an den Ankertrossen schwojte. Obwohl sie die „San Jacinto“ aus der ärgsten Gefahrenzone westwärts verwarpt und den zusätzlichen Anker ausgebracht hatten, war es nach Hasards Überzeugung doch sträflicher Leichtsinn, den die Kerle da an den Tag legten. Alleiniges Ziel dieser völlig unvernünftigen Maßnahme konnte es nur sein, daß sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den Strand mit den Bordgeschützen unter Feuer nahmen.

      Wenn es der Wind nicht wollte, würde daraus so schnell nichts werden.

      Hasard hob den Kieker und spähte zu den Decks der Galeone. Obwohl das Tageslicht schon vor mindestens einer halben Stunde eingesetzt hatte, waren die Lampen der „San Jacinto“ noch nicht gelöscht worden. Der Sohn des Seewolfs glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

      Eine der beiden Ankerwachen döste auf einer Taurolle vor dem Steuerbordniedergang zur Back. Der zweite Kerl lag auf der vorderen Grätingsluke, wo die warme Luft aus den Unterdecksräumen heraufstieg.

      Es war unbegreiflich. Hasard konnte es beim besten Willen nicht fassen. Da war erst vor ein paar Stunden ein Mann getötet worden, weil er als Wachgänger gedöst hatte. Diese Kerle hatten die Exekution mit eigenen Augen ansehen müssen. Und jetzt leisteten sie sich die gleiche Nachlässigkeit!

      Keine Frage, daß sie zu jener spanischen Art gehörten, deren Denken und Tun von unendlicher Trägheit bestimmt wurden.

      Und die anderen an Bord der Galeone schliefen offenbar noch immer selig.

      Hasard widmete dem Spanier keine weitere Aufmerksamkeit und begann mit seinem nun fälligen Rundblick mit Hilfe des Spektivs. Nach Westen hin hatten sich die Nebelfelder bereits weitgehend aufgelöst, doch die Kimm war nach wie vor im Dunst verschwommen. Der Sohn des Seewolfs schwenkte den Kieker nur langsam und suchte jedes einzelne Nebelfeld gründlich ab.

      Der Wind trug seinen Teil dazu bei, daß die Sicht zusehends klarer wurde.

      Plötzlich, das Spektiv nach Nordwesten gerichtet, glaubte Hasard, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.

      Was sich da ein wenig dunstverhangen, aber doch deutlich genug im Okular abzeichnete, hätte man in nordafrikanischen Wüstenregionen als Fata Morgana bezeichnet.

      Es war wie ein Schock.

      Hasard richtete sich kerzengerade auf. Seine Muskeln spannten sich ungewollt. Er drehte an der Scharfstellung des Kiekers, in der Annahme, das Bild würde dadurch vielleicht verschwinden. Dann spähte er mit bloßem Auge nach Nordosten.

      Das Bild blieb.

      Es war Wirklichkeit.

      Die „Empress of Sea II.“!

      Da dümpelte die kleine Karavelle im kabbeligen Wasser, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß ein im Sturm verschollenes Schiff auf diese Art und Weise wieder bei seinen Eignern „vorbeischaute“.

      Die Position der sacht dahintreibenden „Empress“ war etwa zwischen der ursprünglichen und der jetzigen Insel der Mannen vom Bund der Korsaren.

      Hasard wirbelte herum und rannte los, daß Sir John erschrocken hochflatterte und im Steilflug in die Öffnung der Felsengrotte zurückkehrte. Plymmie folgte dem Jungen mit langen Sätzen, wie er zum Strand hinuntereilte.

      Als erstes rüttelte er Old Donegal wach.

      „Granddad! Mister O’Flynn, Sir! Das glaubst du nicht, das mußt du sehen! So was gibt es einfach nicht!“

      Old Donegal, noch im Halbschlaf, rieb sich knurrend die Augen.

      „Etwas, was es nicht gibt, brauche ich mir ja wohl nicht anzusehen, oder?“

      „Etwas, was es normalerweise nicht geben kann“, verbesserte sich Hasard. „Es handelt sich nämlich um die ‚Empress‘.“

      Auch die anderen waren inzwischen wach geworden.

      Noch nie hatten sie den alten O’Flynn so schnell aufspringen sehen. Obwohl er ihnen gegenüber mit seinem Holzbein doch erheblich im Nachteil war, erreichte er als erster den südlichen Hang und stapfte neben dem stolz strahlenden Hasard junior aufwärts.

      Dann, als sie den Ausguckposten erreichten, stand Old Donegal schlagartig wie erstarrt. Es war, als hätte ihn ein unsichtbarer Blitz getroffen und zur Bewegungsunfähigkeit verdammt.

      Die „Empress of Sea II.“ war auch ohne Spektiv einwandfrei zu erkennen, da sich die letzten Nebelschwaden in der kurzen Zeit fast vollständig gelichtet hatten.

      „Da ist sie, Mister O’Flynn“, sagte Hasard junior, während nach und nach die anderen eintrafen. „Eine Verwechslung ist ja wohl nicht möglich, denn die ‚Empress‘ gibt’s meines Wissens nur einmal.“

      „Teufel, ja, Junge“, flüsterte Old Donegal ergriffen, „da hast du recht. Da hast du verdammt recht. O Mann, o Mann, und da denkt man schon, man müßte eine dritte ‚Empress‘ bauen lassen! Aber nein, was tut dieser Schlickrutscher von einer Karavelle? Taucht einfach, wieder auf, als wäre er nur mal eben vorübergehend in der Versenkung verschwunden!“ Bei den letzten Worten hatte sich die Stimme des Alten vom Flüstern zu begeistertem Gebrüll gesteigert, und gleich darauf war es auch äußerlich mit seiner Ruhe vorbei.

      „Sie ist wieder da!“ schrie er und warf die Arme in die Luft. „Sie ist wieder da! Meine liebe kleine ‚Empress‘ ist wieder da!“ Er drehte sich auf der Stelle, tanzte im Kreis und schrie es immer wieder in den Morgen hinaus: „Sie ist wieder da, sie ist zurückgekehrt! Sie hat eine Seele, meine ‚Empress‘! Ohne mich konnte sie es nicht aushalten, ich wußte es doch!“

      Ed Carberry und Stenmark wechselten einen vielsagenden Blick.

      „Jetzt schnappt er über“, sagte der Profos. „Jetzt hat’s ihn endgültig erwischt. Armer Kerl. Was wird bloß Mary Snugglemouse sagen, wenn wir ihr diesen verrückten Spinner zurückbringen?“

      Old Donegal hörte es nicht. Er schrie und tanzte.

      „Sie hatte Heimweh, die kleine Süße! Sehnsucht nach mir! Ist es denn zu fassen?“

      Stenmark schüttelte mißbilligend den Kopf und warf einen Blick zur Bucht.

      „Mit seinem Gezeter weckt er wahrscheinlich sogar die Schnapsleichen auf dem spanischen Eimer auf.“

      Der Kutscher nickte schweigend und schritt auf den Tanzenden und Schreienden zu. Ruhig legte er ihm die rechte Hand auf die Schulter und sprach ihn an, als hätte er es wieder einmal mit einer kranken Kuh zu tun.

      „Nun ist es genug, Old Donegal. Wenn wir noch lange hier herumstehen und uns nur freuen, wird die ‚Empress‘ sehr bald verschwunden sein. Vielleicht ist dir aufgefallen, daß wir noch immer einen handigen Westwind haben. Wenn wir uns nicht beeilen, verschwindet die ‚Empress‘ tatsächlich auf Nimmerwiedersehen. Darauf kann ich dir Brief und Siegel geben.“

      Old O’Flynn ruckte herum und starrte den Kombüsenmann minutenlang erschrocken an.

      „Los jetzt!“ sagte er unvermittelt in barschem Befehlston. „Auf was wartet ihr noch? Alle drei Jollen besetzen und dann los! Tempo, Tempo, sonst ziehen uns die verdammten Dons noch einen Strich durch die Rechnung.“

      Den Männern blieb keine Zeit, sich über Old Donegals Rückkehr in die Wirklichkeit zu wundern. Denn sie mußten sich höllisch beeilen.

      Es hatte nicht ausbleiben können, daß die Kerle auf der „San Jacinto“ mitkriegten, was sich oberhalb der Bucht abspielte. Natürlich hatten sie noch nicht bemerkt, was der Anlaß des plötzlichen Geschreis war. Aber es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann sie begriffen,