Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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Nordseite ist der Markuslöwe mit den hll. Markus und Theodor dargestellt. „Die Brücke ist das Ergebnis einer fast 100 Jahre umspannenden Planungs- und Prüfungstätigkeit, die langsam aber zäh alle Momente ausschied, welche der besonderen venezianischen Architekturtradition des Brückenbaus entgegenstanden, während gleichzeitig alle jene Züge geklärt und hervorgebildet wurden, die Zweck, Sinn und Würde dieses Bauwerks fördern konnten“, sagt Hubala, der die Brücke als ein städtebauliches Monument ersten Ranges und als ein Symbol venezianischer Baukunst bezeichnet.

      Ganz reibungslos scheint die Errichtung der Brücke jedoch nicht vonstattengegangen zu sein, was sich aus einer Legende ergibt: Beim Bau der jetzigen Brücke aus Stein und mit nur einem einzigen Bogen kam es zu Schwierigkeiten. Alle Versuche, den Plan Antonio da Pontes zu realisieren, scheiterten, da alles, was die Handwerker tagsüber erbauten, in der Nacht wieder einstürzte und nur die Gerüste verhinderten, dass die Steine in den Canal Grande fielen. Der Baumeister war ein gewisser Sebastiano Bortoloni. Der stammte aus guter Familie, war ein ernsthafter Arbeiter und wollte sich mit dem Bau der Brücke den Weg in eine erfolgreiche Zukunft ebnen, dies umso mehr, als seine Frau Chiara binnen kurzem ein Kind erwartete. Weil die nächtlichen Unfälle nicht abrissen, beschloss Sebastiano, sich des Nachts auf die Lauer zu legen und zu beobachten, was denn da geschehe. Um Mitternacht hörte er einen gewaltigen Lärm, und ein großes Stück des Brückenbogens stürzte ein. Der junge Baumeister erstarrte zu Eis, als er gleichzeitig hinter seinem Rücken ein heimtückisches Lachen hörte. Er drehte sich um und sah sich einer hohen männlichen Gestalt gegenüber, die in einen schwarzen Mantel gehüllt war. Das war der Teufel, der sich an Sebastiano mit den Worten wandte: „Du mühst dich vergeblich ab. Kein Mensch wird es je schaffen, diese Steinbrücke zu errichten. Doch wenn du willst, so helfe ich dir. Aber natürlich ist dafür ein Preis zu bezahlen“. „Was willst du für deine Hilfe“, fragte der Mann, „willst du meine Seele“? „Nicht deine Seele“, erwiderte der Teufel, „dafür aber die des ersten Lebewesens, das die Brücke überquert, wenn sie fertig ist“. Der junge Mann überlegte nicht lange und willigte ein. Denn er war überzeugt, dass es ihm gelingen werde, den Teufel hereinzulegen. Die Arbeiten gingen voran, der Teufel hielt sein Wort, alles blieb intakt und die Brücke wurde rasch fertig. In der Zwischenzeit hatte Sebastiano die Idee, sich einen Gockel in einem Korb zu besorgen. Der Teufel hatte nämlich nicht ausdrücklich davon gesprochen, dass es ein Mensch sein müsse, der die Brücke zuerst überquert. Den Hahn wollte er am nächsten Morgen auslassen und so den Teufel betrügen. Dazu hatte er strikte Anweisung gegeben, dass niemand über die Brücke gehen dürfe. Doch der Teufel war schlauer als er. Er verkleidete sich als Maurer, klopfte an die Haustür der Familie des Sebastiano und erklärte dessen Frau, ihr Mann habe diese Nacht noch auf der Baustelle bleiben müssen und lasse ihr sagen, sie solle sofort kommen. Sie folgte ihm, und die Wachen an der Brücke, die sie kannten, ließen sie passieren. Als Sebastiano, der mit seinen Arbeitern zu Abend aß und feierte, die Augen hob, sah er Chiara auf der Brücke und erschauerte. In der folgenden Nacht konnte er nicht schlafen vor lauter Sorgen darüber, was denn nun geschehen werde. Er musste nicht lange warten. Am nächsten Tag, nach der feierlichen Eröffnung der Brücke, kam seine Dienerin zu ihm gelaufen, um ihm zu sagen, dass das Kind tot geboren sei und dass auch Chiara im Sterben liege. Er rannte sofort nach Hause, doch er kam zu spät, denn seine Frau war schon tot. Seit diesem Tag begann das ungetaufte Kind, auf der Brücke zu spuken. Ein jeder, der die Brücke alleine und in kalten Nächten überquerte, konnte es leise niesen hören. Einmal kam ein alter Gondoliere nachts vorbei und hörte das Niesen. Er sah zwar niemanden, doch sagte er laut „Salute“, worauf eine Kinderstimme antwortete „Grazie“ – das war das Seelchen des Kindes, das auf diese Weise nun endlich erlöst war und zum Himmel fliegen konnte.

      Der weitere Weg führt nach links über die Riva del Ferro und geht an den approdi, den Anlegestationen der Vaporetti vorbei. Der anschließende Palast mit dem offenen Portikus wurde von Sansovino entworfen, gehörte später dem letzten Dogen Ludovico Manin. Nach der nächsten Brücke steht an der Riva del Carbon (der Kohle) der riesige Palazzo Bembo. Am Ende der Riva liegt das Rathaus der Stadt. Es besteht aus zwei Palästen, deren untere beide Geschosse aus romanisch-byzantinischer Zeit stammen, was an den gestelzten Bögen zu erkennen ist. Der linke Palast heißt Ca’ Loredan, der rechte Ca’ Farsetti. Beide Bauwerke besitzen feine Steinmetzarbeiten, die von der Fondamenta aus gut zu studieren sind. Dagegen erschließt sich die Architektur besser vom Boot oder vom gegenüberliegenden Ufer aus. An der Ecke der Ca’ Loredan ist eine Gedenktafel für Elena Lucrezia Episcopio angebracht, der es als erster Frau gelungen ist, ein Hochschulstudium zu beenden und zu promovieren, und zwar im Jahre 1676 (siehe auch Kapitel > Canal Grande). Sie erhielt dann sogar auch eine Lehrerlaubnis an der Universität von Padua.

      Eine Besonderheit ist eine kleine Zeichnung, die im Portikus der Ca’ Loredan an der zweiten Säule von links in Umrissen eingegraben ist. Sie zeigt die Seitenansicht eines Mannes, der eine lange Pfeife im Munde hat, jedoch ohne Arme dargestellt ist. Niemand weiß mehr so recht, wann der Mann, der Biagio hieß, wirklich gelebt hat bzw. wann sich das, was die Legende über ihn erzählt, ereignet haben soll. Über ihn war in Venedig schon lange kaum mehr als sein Name und sein Beruf bekannt – er war in seiner Jugend einmal Fischer. Biagio versuchte, mit seinem wenigen Geld so gut als möglich auszukommen. Er hielt sich immer vor dem Palazzo Loredan auf, wo er dann und wann Hilfsdienste leistete und gegen Lohn kleinere Arbeiten verrichtete. Er war ein gutwilliger Mann, und in den gar nicht so wenigen Augenblicken der Untätigkeit, die er sich genehmigte, liebte er es, am Ufer des Canal Grande vor dem Palast zu stehen und seine lange Pfeife zu rauchen, die wohl sicher so alt war wie er selbst. Eines Abends nun hatte sich der Alte beim Rauchen etwas verspätet. Niemand war mehr in der Nähe und nur ab und zu glitt eine Gondel lautlos vorüber. Plötzlich aber schien das Wasser unter einer der Gondeln auf unerklärliche Weise in einem seltsamen, dunkel-rotvioletten Licht aufzuleuchten. Eigenartige Strudel bildeten sich rund um das Boot und wurden so heftig, dass der Gondoliere beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Dann tauchten plötzlich zwei riesige schwarze Arme zu Seiten der Gondel aus dem Wasser, mit Händen, die Krallen trugen und mit spielerischer Leichtigkeit die felze (das Kabinendach über den Sitzen, das es heute nicht mehr gibt) wegrissen. Drinnen saßen zwei kleine Mädchen, die sich umarmt hielten. Biagio konnte das gerade noch wahrnehmen, als die Hände auch schon nach den Kindern griffen und ein schrecklicher Kopf mit zwei Hörnern aus dem Canal Grande auftauchte. Das Verhalten des Monstrums, die Hörner, die roten Augen und die gewaltigen Fledermausflügel, die so hoch wie ein campanile waren, ließen keinen Zweifel: Das war Satan, der Teufel in Person. Die beiden Mädchen gehörten zur Familie der Gradenigo und schwebten nun in höchster Gefahr, mit ihrer Haut für den Leichtsinn ihres Vaters zu bezahlen, der sich mit allzu großem Eifer dem Wunsche hingegeben hatte, mit Hilfe des Teufels die Geheimnisse der Magie zu enthüllen und diesem frevelhafterweise erlaubt hatte, sich als Lohn seiner Kinder zu bemächtigen. Ohne viel zu überlegen schleuderte Biagio seine Pfeife gegen die furchtbare Erscheinung, was natürlich geradezu lächerlich war. Doch immerhin gelang es ihm damit und mit einem lauten Schrei, die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich zu ziehen: „Nein! Lass die Kinder! Nimm mich dafür!“ Der Dämon war von so viel Courage, ja Unverschämtheit überrascht, hob ein wenig sein Haupt und fixierte mit seinen rot flammenden Augen den seltsamen Menschen. Und er nahm an, dass es da etwas gäbe, womit er sich amüsieren könnte. „Wer bist du“, fragte er, „bist du denn ein neuer Christus am Kreuz, dass du glaubst, dich mir widersetzen zu können? Was willst du denn überhaupt, deine Arme können nicht die ganze Erde umarmen, wie er es mit den seinen tat. Doch ich nehme dich an Stelle der Kinder, wenn Du es Christus darin gleichtust.“ Ohne dass Biagio irgendeine Bitte um Hilfe geäußert hätte, lösten sich nach diesen Worten seine Arme von selbst und völlig schmerzlos von seinem Körper und flogen durch die Luft davon, ein jeder Arm nach einer anderen Seite, wobei sie von einem Schwarm von Cherubim umschwirrt wurden. Als der Teufel das sah, war er bezwungen und musste von den beiden Mädchen lassen. Aber auch den Alten bekam er nicht, da Gott selbst das nicht zuließ. Die Chroniken berichten ferner, dass die beiden Arme zurückkamen, als Biagio starb. Seit dieser Zeit soll es manchmal geschehen, dass man, besonders im November, wenn die Nebel über den Wassern des Canal Grande schwanken, den bleichen Schatten Biagios hier direkt vor der Ca’ Loredan schweben sieht. Seine Figur hat keine Arme, jedoch steckt in seinem Mund eine immer brennende Pfeife. Der Alte braucht auch gar keine Arme, um seine Pfeife in Gang zu halten, da sie durch Gottes Willen immer von