Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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und vergoldete Soffitto, der 1585 entstand und eine interessante Ecklösung aufweist. Er gibt gegenüber den Soffitti im Dogenpalast eine Vorahnung des nahenden Barock. Das Mittelbild mit der „Glorie des Titelheiligen“ stammt vom jüngeren Palma.

      Ausstattung: Das erste Altarbild rechts Christus wird von den Engeln in den Himmel getragen malte Paolo Veronese. Interessant ist die Architektur des zweiten Altares rechts, der einer scuola gehörte und nach einem Entwurf Alessandro Vittorias gearbeitet wurde. Die Formensprache der Renaissance ist hier ins Üppige, Dekorative abgewandelt, und auch hier sind erste Anklänge des Barock zu spüren. Die sich anbahnende Veränderung wird am leichtesten im direkten Vergleich mit dem ihm an der linken Seitenwand gegenüberliegenden Altar verständlich. Ist dort alles klar und schlicht, so herrscht hier Vielfalt, sowohl was die Linienführung (siehe die eigenartige Schwingung des Rundgiebels) als auch die Vielschichtigkeit (starke Verkröpfung der Bekrönung) betrifft. Es ist nicht ganz einfach, den Altaraufbau als Ganzes, als Einheit zu begreifen, da das Auge keinen rechten Ruhepunkt findet und beständig abgelenkt wird. Die zum Altar gehörenden Figuren – besonders schön ist der David rechts, der an die Gestaltungsweise Michelangelos denken lässt – und das Antependium sind eigenhändige Werke Vittorias aus den Jahren 1583/84. Das Altarbild malte der jüngere Palma, ebenso das des Altares in der rechten Trabantenkapelle des Presbyteriums. Dieser Altar zeigt, ebenso wie das Hochaltarretabel, eine architektonische Modifikation des zweiten Seitenaltars. Es wurde hier das übliche Ädikulaschema im Sinne eines „Protobarocks“ verändert, der typisch ist für die Gestaltungsweise der venezianischen Baukunst kurz vor dem Ende des 16. Jahrhunderts und in dem sich Formen der Renaissance mit denen des Manierismus verbinden. Das Gewölbe der linken Seitenkapelle des Presbyteriums ist mit schönem Stuck aus der Werkstatt Vit­torias geschmückt. Das Pietà-Relief auf dem Altar wurde von Girolamo Campagna gearbeitet, während die seitlichen Terrakottafiguren von Vittoria geschaffen wurden.

      Hinter der Kirche liegt der Campo della Guerra. Dieser Name rührt angeblich von einem Kampf her, der hier gegen eine Kolonne von Aufständischen bei der Tiepolo-Verschwörung stattgefunden habe. Später gab es hier dann Stock- und Faustkämpfe – wie auch an anderen Stellen der Stadt, so auf den Ponti della Guerra, die bei Gesuati, bei S. Marziale, bei S. Fosca und bei S. Barnabà liegen.

      Von der Kirchenfassade aus gesehen weiter nach rechts durch die Mercerie gehend, gelangt man zu dem breiten Ponte dei Bareteri. Diese Brücke hat ihren Namen von den bareteri, den Mützenmachern (ital. berretta, die Mütze). Das Handwerk war weit verbreitet und das Produkt wurde wegen seiner Feinheit und der Dauerhaftigkeit der Farben überallhin exportiert. In der Nähe der Brücke lagen mehrere Geschäfte, in denen die Mützen angeboten wurden.

      Steigt man von der Brücke gleich wieder rechts über einige Stufen zu einem Sottoportico hinunter, so kommt man zum Corte Lucatello. Der pozzo dieses Hofes wäre nicht weiter beachtenswert, wäre mit ihm nicht eine Legende verbunden, die der „Dame im weißen Kleide“: In einem Jahr mit ungewöhnlicher Trockenheit begann der Brunnen zu versiegen, was die Anwohner des Hofes mit großer Sorge verfolgten. Sie sahen sich veranlasst, sich Wasser heimlich zu besorgen, womit sie sich natürlich einigen Ärger einhandelten. Eines Abends, schon sehr spät, begab sich ein Schiffer, mit einem Kupfereimer versehen, zu dem Brunnen, wo er eine Frau fand, die ganz in Weiß gekleidet war. Überrascht wie er war, überliefen den armen Mann Schauer der Angst, da zu dieser Zeit Geschichten in der Stadt kursierten, dass zu einer bestimmten Stunde in dunklen Nächten die Gassen von bösartigen Hexen bevölkert seien. Die Frau erriet die Ängste des Mannes und sagte zu ihm: „Vor mir musst du keine Angst haben. Aber es könnte passieren, dass dein Blut auf diesem Boden fließt, wenn du nicht rasch nach Hause gehst.“ Der Schiffer, immer erstaunter, nahm sie nicht ernst und wollte sie wegschicken. Darauf begann sie, ihn anzuflehen, doch unbedingt ihrem Rat zu folgen. Während dieses Zwiegesprächs und während der Schiffer sich dem Brunnen nähern wollte, sprang plötzlich ein anderer Mann aus der Dunkelheit hervor und überfiel den Schiffer mit einem Messer in der Hand. Der Kampf dauerte nur kurz und der Schiffer fiel schwer verwundet zu Boden. Nun plötzlich besann sich der Attentäter, fiel wegen seiner Mordtat in Verzweiflung und flehte alle Heiligen um Hilfe an. Die weiß gekleidete Frau hingegen nahm das Messer und ließ von der noch verschmierten Klinge drei Blutstropfen in den Brunnen fallen. Im gleichen Augenblick füllte sich die Zisterne mit so viel Wasser, dass sie überfloss. Dann nahm die Frau ihr Taschentuch, tauchte es ins Wasser und wusch damit die Wunden des Schiffers, die sich sofort verschlossen und vernarbten. Darauf befahl sie den beiden Männern, nach Hause zu gehen, und versicherte ihnen, dass der Brunnen künftig Wasser im Überfluss haben werde. Im Gehen wollten die beiden der Frau danken, doch die hatte sich in Nichts aufgelöst. Auch heute noch, in dunklen Neumondnächten, erscheint die Dame in Weiß manchmal ganz flüchtig in dem Hof. Es heißt, dass ihr Körper dort begraben liege. Er sei in die Wände des pozzo eingemauert worden, als die zugehörige Zisterne angelegt wurde. Auf diese Weise sollte ein Mord verschleiert werden, den ein Adeliger, der Geliebte der Frau, an ihr begangen hatte.

      Am jenseitigen Fuß des Ponte dei Bareteri, etwas verborgen unter einer Arkadenstellung, liegt das Französische Kulturinstitut. Es ist in einem Casino aus der Zeit des Rokoko untergebracht, das im Grundriss einem Palazzo en miniature gleicht und kostbar ausgestattet ist. Zu diesem Casino gehört auch ein sogenannter liagò, ein erkerähnliches Gebilde, von denen es früher recht viele in der Stadt gab. Heute sind sie fast nur mehr an Gebäuden zu sehen, die am Canal Grande stehen. Solche casini wurden als Absteige benützt, u. a. um sich dort vor Ratssitzungen umzukleiden, aber auch um den gewaltigen Dimensionen der eigentlichen Paläste einmal entkommen zu können. Sie schossen nach 1774, als die Republik den Ridotto, das berühmte Spielcasino in der Calle Vallaresso schloss, wie Pilze aus dem Boden. 1797 gab es davon etwa 136, sie waren gewissermaßen Statussymbole geworden, und in manchen Familien besaßen die Ehepartner jeweils ein eigenes. Daneben dienten sie sicher auch noch anderen Zwecken – Corto Maltese bezeichnet sie als „luogi più frivoli“, geht dabei aber nur auf das Glücksspiel ein, dem man hier frönte. Doch trafen sich die Damen hier auch, um Konversation zu machen, die Leute auszurichten, sich die Zeit zu vertreiben – und natürlich, um Liebeshändel anzuzetteln. Denn hier war man weit weg von den ehelichen Verpflichtungen und außerdem geschützt vor indiskreten Blicken. Unliebsame Überraschungen brauchte die Besitzerin dieses Casinos nicht zu befürchten. Es gab nämlich ein Loch im Boden (es existiert heute noch), durch das man sehen konnte, wer am Tor Einlass begehrte. Daneben wird überliefert, dass das Casino einen geheimen Ausgang besessen haben soll, der sich unter der nahen Brücke mit einer versteckten Pforte zum Wasser öffnete.

      Geht man geradeaus bis zum Ende der calle, so bildet diese dort eine Nische, an deren Ende die Mauer einen sogenannten capitello, eine Art Tabernakel trägt. Er birgt, wie viele solcher capitelli, die überall in der Stadt anzutreffen sind, eine Madonna mit Kind.

      Der Capitello in der Merceria gilt seit langem als wundertätig, genauer seit dem Jahre 1492, als in der Nähe der Kirche San Giuliano ein riesiger Brand ausbrach. Der breitete sich mit rasender Geschwindigkeit in Richtung Rialto aus, und es wurde schon befürchtet, dass sich ein Großbrand wie im Jahre 1105 wiederholen könnte, durch den damals ein Drittel der Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Doch die lodernden Flammen, die scheinbar bereits die Herrschaft über alles gewonnen hatten, sanken in dem Augenblick, in dem sie den capitello erreicht hatten, plötzlich in sich zusammen und verloschen binnen kurzer Zeit vollkommen. Die Volksmeinung führte dieses rätselhafte Ereignis auf die göttliche Gnade zurück.

      Die Gasse biegt nun zuerst nach rechts und gleich wieder nach links, um sich nach etwa fünfzig Metern links in den Campo S. Salvatore zu öffnen. Die gleichnamige

      ► Kirche S. Salvatore

      ist mit Ausnahme ihrer Fassade vollständig von Gebäuden umgeben. Ein erster Kirchenbau entstand an dieser Stelle, die als humbilicus, als „Nabel“ der Stadt angesehen wurde, schon im 7. Jahrhundert (der Legende nach wurde sie vom hl. Magnus gegründet, nachdem diesem Christus selbst erschienen war und die Errichtung der Kirche von ihm gefordert hatte) und besaß möglicherweise stilistische Züge des Heiligen Grabes in Jerusalem. Im 12. Jahrhundert entstand eine erste Klosterkirche. 1257 wurden die Reliquien des hl. Theodor, des ersten Patrons der Stadt und somit des „Vorgängers“ des hl. Markus, hierher überführt, was für die Kirche eine starke Aufwertung bedeutete. Das jetzige Bauwerk