Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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einen Giulio Contarini auf der linken Seite eine sehr schöne Portraitbüste von Vittoria besitzt.

      Von der Kirche aus führt ein kurzer Weg zum Canal Grande. Eine schöne Aussicht bietet die Terrasse des Hotel Gritti, das auf der linken Seite des campo liegt.

      Vom Campo S. Maria del Giglio zog sich im 10. Jahrhundert eine lange Mauer bis hin nach S. Pietro di Castello, die unter dem Dogen Pietro Tribuno (888–912) errichtet wurde. Vom Eckpunkt der Mauer konnte bedarfsweise eine Kette hinüber nach S. Gregorio auf dem Dorsoduro gespannt werden, durch die der Canal Grande gegebenenfalls abgesperrt und geschützt werden konnte. Diese Befestigungsanlagen, von denen heute nichts mehr erhalten ist, wurden letztmals 1380 im Krieg gegen die Genuesen eingesetzt. Es existiert hier seit Jahrhunderten eine Fährstation, ein traghetto, das zum Dorsoduro übersetzt. Es heißt auch, dass früher hier einmal eine Jungfrau lebte, die den Dienst der Fährleute verschmähte, weil sie einfach über den Canal Grande hinwegzuschreiten vermochte.

      In der Pfarrei von S. Maria del Giglio lebte einst der Patrizier Michele Steno, dem die Legende eine wesentliche Rolle im Drama um den Dogen Marino Falier zuschreibt. Die Geschichte dieses Dogen ist bekannt, weniger sind es jedoch die Hintergründe, die zu dessen Verschwörung und damit zu seiner Hinrichtung geführt haben sollen. Es wird erzählt, dass Steno 1355 an einem vom Dogen veranstalteten Ball teilnahm. Bei dieser Gelegenheit machte er einen Scherz, den ihm der Doge so übel nahm, dass er ihn des Festes verwies. Steno rächte sich für diesen Eklat mit einem Spottvers: „Marin Falier mit der schönen Frau, andere genießen ihre Gunst, aber er kommt für sie auf“ (zum besseren Verständnis sei gesagt, dass die Dogaressa wesentlich jünger als der Doge war). Verständlicherweise war Falier wegen dieses seine Ehre beleidigenden Verses aufgebracht. Er strengte deshalb ein Verfahren gegen Steno an und wollte auf diese Weise eine strenge Bestrafung erreichen, konnte sich aber bei der Signoria nicht durchsetzen. Da sich Falier somit auf legalem Weg nicht an Steno rächen konnte, verfiel er auf die Idee, die unumschränkte Macht im Staate an sich zu reißen, um dann freie Hand zu haben. So zettelte er eine Verschwörung an, die aber entdeckt und derentwegen der Doge nach kurzem Prozess hingerichtet wurde. – Michele Steno wurde viel später selbst Doge (1400–13).

      Nach der nächsten Brücke biegt der Weg nach links ab, um sich dann nach rechts zur breiten Calle Larga XXII Marzo zu erweitern. Deren gänzlich unvenezianischer Stil lässt erkennen, dass sie erst nach der Zeit der Republik entstanden ist. Am 22. März 1848 wurde der Kommandant des Arsenals von den Werftarbeitern ermordet, eine Tat, die der entscheidende Anlass zum Ausbruch der Revolution war, die noch am gleichen Tag zur Kapitulation der Österreicher und zur Ausrufung einer provisorischen Regierung Venedigs führte. Von hier leitet die erste Gasse links (Calle del Sartor da Veste) zu der gleichnamigen Brücke in die Calle del Caffetier und weiter auf den Campo S. Fantin mit der gleichnamigen Renaissancekirche und dem weltberühmten

      ► Teatro la Fenice

      Das Fenice stammt aus den letzten Jahren der Republik und wurde 1792 nach einem ersten Brand des Vorgängerbaus eingeweiht. Neben der Mailänder Scala und dem Teatro San Carlo in Neapel gehört es zu den drei bedeutendsten Häusern Italiens. Zahlreiche Komponisten führten hier ihre Werke auf, unter ihnen Donizetti und Rossini, und es gab nicht weniger als fünf Uraufführungen von Opern Giuseppe Verdis.

      In diesem Zusammenhang gibt es die hübsche Geschichte von der Arie „La donna è mobile“ aus dem Rigoletto. Verdi hielt sie bis zur Uraufführung geheim, auch vor den Musikern, um sie nicht vorzeitig zum Gassenhauer der Gondolieri werden zu lassen, wie es später dann geschah.

      1836 brannte das Theater zum zweiten Male ab, um alsbald in erstaunlich kurzer Zeit, genauer in nur einem Jahr, wieder zu erstehen – wie der „Phönix aus der Asche“, wovon sich der Name Fenice ableitet. Nach dem letzten Brand vom 29. Januar 1996 geschah außer der Errichtung gewaltiger Gerüste und reichlichen Streitigkeiten über Jahre nichts, obwohl der damalige Bürgermeister die Wiedereröffnung „zur Jahrtausendwende“ zugesagt hatte. Böse Zungen spotteten, er habe nicht gesagt, welche Jahrtausendwende er denn damit gemeint habe. Im Dezember 2003 waren die Arbeiten dann aber soweit fortgeschritten, dass eine inaugurazione, eine Eröffnung, stattfinden konnte, allerdings nur mit einem Orchesterkonzert, da das Haus noch lange nicht fertig war. Eine erste Opernaufführung fand im November 2004 statt.

      Immerhin sollen die geleisteten Arbeiten mit der Wiedergabe einiger Zahlen gewürdigt werden: Gekostet hat der Wiederaufbau 89 Millionen Euro. Es wurden 4.700 qm Marmor verlegt, 3.225 qm in Gips ausgeführte Rahmen angebracht, von denen 1.300 qm mit 12.000 Blattgoldblättern vergoldet wurden. Weiterhin wurden 700 qm Schnitzarbeiten ausgeführt, 600 qm Papiermaché und 4.000 m Stoff verarbeitet, 172 km elektrische Kabel und 2.500 qm Steinfußboden verlegt. Insgesamt waren 8.000 Bootstransporte erforderlich, um die Materialien anzuliefern. Bei der Restaurierung fanden nur alte handwerkliche Techniken Anwendung. Der Besuch des Innenraums ist lohnend.

      Dem Theater gegenüber liegt der schwer überschaubare, fast abweisende Bau der Kirche S. Fantin mit strenger Fassade und glatten, grauschwarzen Steinflächen, „wie ein in die Stadt hineingesprengter Meteor“ (Hubala). Er wurde 1507–49 von Scarpagnino begonnen und bis 1564 von Sansovino vollendet, der das Presbyterium errichtete. Leider ist eine Besichtigung kaum möglich. Der Innenraum stellt eine Variante der venezianischen Kreuzkuppelkirchen-Architektur dar, die hier um ein Presbyterium mit vier schönen korinthischen Freisäulen in den Ecken sowie einer Apsis mit fünf Fenstern erweitert ist. Diese sind von außen weitgehend verstellt, so dass die vom Architekten gewünschte Lichtsituation verändert und das Innere recht dunkel ist. Interessant ist das Motiv der Freisäulen in den Ecken des Presbyteriums, das ursprünglich aus antiken römischen Bauten stammt. Erstmals taucht es in Venedig in S. Marco (im tesoro) auf. Später greift es Palladio wieder auf, beispielsweise in S. Giorgio Maggiore und im Redentore.

      Neben der Kirche erhebt sich die weiße Fassade der ehemaligen Scuola di S. Fantin, die früher auch Scuola dei Picai (der „Gehenkten“) hieß. Ein weiterer Name ist überliefert mit Scuola della buona Morte o della Giustizia. Die Bruderschaft versah nämlich die Aufgabe, die zum Tode Verurteilten zur Hinrichtung zu begleiten, sie dabei seelsorgerisch zu betreuen und dann für ihre Beerdigung zu sorgen. Die Fassade entstand 1592–1604 unter den Brüdern Antonio und Tommaso Contin (ersterer ist Architekt der Seufzerbrücke) sowie unter Vittoria. In dem Gebäude finden heute Ausstellungen und Vorträge zur Förderung lokaler Kunst statt.

      Zurück auf der Via Larga XXII Marzo führt der weitere Weg nach links zur

      ► Kirche S. Moisè

      Die Kirche ist Moses, also alttestamentlich geweiht, woran das Alter der Kirchengründung, die 797 stattfand, zu erkennen ist. Es ist eine Verbindung zu den in Venedig lebenden Byzantinern zu vermuten, da die Dedikation einer Kirche an Moses im westlichen Bereich der damaligen Welt völlig ungewöhnlich gewesen wäre. Die Legende berichtet, dass zwei Tribunenfamilien, die der Chorii und der Vidilicii, die Kirche auf einem unbebauten Grundstück am Ufer des Canal Grande gegründet hatten. Die heutige Fassade entstand seit 1668 und wurde von einem Vincenzo Fini mit der gewaltigen Summe von 30.000 Dukaten finanziert. Dieser war erst kurz zuvor in den venezianischen Adel aufgenommen worden (was ihn noch einmal 100.000 Dukaten gekostet hatte) und wurde 1667 zum Prokurator von S. Marco ernannt. Der Kirchenbau wurde 1632 begonnen, also kurz nach der großen Pestepidemie von 1630/31. Ganz sicher gibt es bei dem Neubau einen Bezug zu den Bibelworten: „Moses beschützte sein Volk vor dem Biß glühender Schlangen – möglicherweise eine Metapher für die Pest.“ (Concina)

      Immer wieder überrascht die Fassade mit ihrer Überladenheit. Dabei wirkt sich sicher auch der Umstand ungünstig aus, dass heute die Fassade schon aus größerer Entfernung betrachtet werden kann, während sich früher der Blick wohl erst auf der Brücke geöffnet hatte. Kretschmayr meint, sie sei „im ganzen eher als Gipfel phantastischer Verwirrung denn als köstliches Barockstück“ beurteilt worden. Im 19. Jahrhundert wurde von einem „Gipfel aller architektonischen Tollheit“ gesprochen und sogar der Abriss erwogen. Dabei war sie ursprünglich noch üppiger verziert, bevor 1878 aus statischen Gründen einige Statuen entfernt wurden. Architekt war Alessandro Tremignon, die Skulpturen schuf A. Meyring. Hubala bezeichnet das Ganze als „eine in Stein verewigte Bühnendekoration der Fini“, die sich hier ein Denkmal gesetzt haben.

      Das