Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

Читать онлайн.
Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



Скачать книгу

54 Bestandteile erweitern. Als Pompeius der Große Pontos erobert hatte, fand er das von Mithridates eigenhändig aufgezeichnete Rezept und brachte es mit nach Rom. Andromachus der Ältere, der Leibarzt des Kaisers Nero, erweiterte die Rezeptur erneut, diesmal auf 64 Zutaten, zu denen als wichtiger Bestandteil Vipernfleisch gehörte. Die teriaca wurde auf diese Weise zu einem Allheilmittel. Es enthielt u. a. Rosen, Schwertlilien, Zimt, Ingwer, Myrrhe, Safran, schwarzen Pfeffer, Baldrian, alten Wein, Honig, Erde von der Insel Lemnos, eine immergrüne kretische Pflanze (dictamus) und Opium. Und außerdem, wie gesagt, das Fleisch von Vipern, die aus den Euganeischen Hügeln stammen und in den Monaten Juli und August gefangen worden sein mussten. Mit steigenden Umsätzen wurde es erforderlich, mehr und mehr auch auf andere Herkunftsorte, wie Vicenza, Verona, Trient, Treviso, das Friaul, schließlich sogar auf Istrien zurückzugreifen. Denn immerhin benötigten die Apotheken der Stadt bis zu 800 Schlangen pro Monat, deren Verarbeitung natürlich genau festgelegt war und auch überwacht wurde. Mit der teriaca wurde schwunghafter Handel betrieben, nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch über die Fernhandelswege Venedigs. Die Herstellung des Präparates erlosch mitnichten mit dem Untergang der Republik, sondern wurde noch bis weit ins 20. Jahrhundert gepflegt, allerdings mit einer vereinfachten Rezeptur. In den 1940er Jahren wurde die Beigabe von Opium verboten, wodurch die teriaca ihre schmerzstillende Wirkung einbüßte. 1904–57 wurde teriaca für die Firma Branca hergestellt, deren bekanntestes Produkt der „Fernet-Branca“ ist.

      Am Ende des campo ragt links mit einer Ecke der Fondaco dei Tedeschi herein. Der Ausdruck fondaco kommt vermutlich aus dem Arabischen, hat aber seine ursprüngliche Wurzel im griechischen Wort pandocheion, was mit Herberge, Karawanserei oder auch mit „man nimmt alles“ übersetzt werden kann. Die Araber übernahmen den Begriff und machten funduq („Hotel“) daraus, ein Wort, das in verschiedene europäische Sprachen eingegangen ist (ital. fondaco, franz. fondigues, katalanisch fondech). Der Fondaco, vor dem man hier steht, diente den Kaufleuten aus den nördlich der Alpen gelegenen Ländern als Handelshaus und Herberge. Vorzugsweise stammten die Gäste natürlich aus dem Deutschen Reich, und die Vorstände dieser Einrichtung kamen meist aus Augsburg, Nürnberg und Regensburg. – Die Einrichtung von nationalen Handelshäusern durch die Republik hatte auch den Nutzen, den Handel bestimmter Volksgruppen zu überwachen und insbesondere das Eintreiben der Steuern zu kontrollieren. Neben dem Fondaco dei Tedeschi gab es flussaufwärts noch den Fondaco dei Turci. – Ein Fondaco ist hier erstmals im Jahre 1228 erwähnt. Dieses Gebäude brannte 1505 ab, wurde aber umgehend wiederhergestellt. Die Architektur wurde zunächst Pietro Lombardi zugeschrieben, bis ein Dokument gefunden wurde, das Giovanni Spavento und Antonio Abbondio, genannt Scarpagnino, als Baumeister nannte. Wie viele Paläste am Canal Grande, so war auch der Fondaco außen bemalt, und zwar von Giorgione (an der Wasserfront) und Tizian (an den Seitenfassaden). Die wenigen Reste, die sich davon erhalten haben, sind in der Galleria Franchetti in der Cà d’Oro und in der Accademia zu sehen. Der Bau hat, von außen betrachtet, etwas Klösterliches. Die Bruderschaft der Kaufleute war klösterlich organisiert, Frauen waren nicht zugelassen. Lebenswandel und insbesondere der Handel, den die Insassen trieben, wurden von Organen der Republik strikt überwacht. Handelsgeschäfte durften nur über venezianische Makler abgewickelt werden (das war ein recht einträgliches und deshalb sehr begehrtes Geschäft, auch Tizian hatte einen Maklerposten inne). Auch hatte der Fondaco eine eigene Zollstation. Interessant ist der große, früher offene Innenhof mit Brunnenkopf (pozzo) und in vier Reihen übereinandergestellten Pfeilerarkaden. Früher wurde das Gebäude als Hauptpostamt genutzt und es war möglich, die Etagen zu ersteigen und die wahrlich klösterliche Architektur mit zellenartigen Gemächern zu studieren. Nach jahrelangen Renovierungsarbeiten befinden sich in dem Gebäude nunmehr zahlreiche Luxusgeschäfte. Von größtem Reiz ist eine Dachterrasse, von der man einen hinreißenden Blick über den Canal Grande hat, der zu Füßen des Fondaco eine scharfe Kurve beschreibt.

      Seitlich am Fondaco entlang verläuft die Calle del Fontego, die in ihrem letzten Stück Traghetto del Buso heißt, ein Name, der von der Lage dieses Abschnitts der calle kommen soll, die hier wie in einem Loch (buco) unter der Brücke eingeklemmt ist. Eine andere Erklärung ist interessanter. Einst wurden alle Prostituierten aus der Stadt verbannt, eine Anordnung, die aber auf Grund von Unruhen im Volk rasch widerrufen werden musste. „Als die Prostituierten wieder zurückkehrten, setzten viele an dieser Stelle über den Canal Grande, um wieder ihre Quartiere beim Rialto zu beziehen. So kam das Traghetto zu seinem Namen.“ (Giordani) Früher hieß es auch einmal Traghetto dei Ruffiani (das sind die Zuhälter – aber wer will in einer Straße mit diesem Namen heute wohnen?).

      Am Seitenportal des Fondaco vorbei erreicht man den Canal Grande am Fuß des

      ► Ponte di Rialto (Rialto-Brücke)

      Eine Brücke an dieser Stelle wurde erst relativ spät in der Geschichte der Stadt errichtet, anscheinend erstmals Ende des 12. Jahrhunderts, und zwar zunächst nur als Schiffsbrücke. Sie wurde Ponte del Quartarolo oder auch Ponte de la Moneta genannt, weil sie nur gegen Gebühren benützt werden konnte. 1265 hat man sie neu und diesmal schon auf Pfählen erbaut. 1310 durch die Kämpfe beim Bajamonte-Tiepolo-Aufstand schwer beschädigt, wurde sie umgehend restauriert. 1444 brach sie unter der Last der Schaulustigen, die auf ihr den Besuch der Herzogin von Ferrara verfolgten, zusammen. Der Neubau musste 1523 renoviert werden. Seine Konstruktion ist von zeitgenössischen Gemälden, vor allem von einem Bilderzyklus in der Accademia (Saal 20), bekannt. Der Mittelteil der Brücke konnte geöffnet werden, um größeren Schiffen, so auch dem bucintoro, die Durchfahrt zum Gästehaus der Republik, dem jetzigen Fondaco dei Turchi zu ermöglichen. In dieser Zeit wurden erste Überlegungen angestellt, hier eine Brücke aus Stein zu errichten. Es wurde deshalb ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich die herausragenden Architekten der damaligen Zeit wie Fra Giocondo da Verona, Michelangelo Buonarotti, Andrea Palladio, Giacomo Barozzi, genannt il Vignola, Jacopo Sansovino und Vincenzo Scamozzi beteiligten. Zwei Entwürfe Palladios sind überliefert. Der erste sah fünf Bögen sowie einen von vier Säulen getragenen, mittig angeordneten Pavillon vor. Der zweite sollte einen horizontalen Brückenverlauf bekommen, der von drei Bögen getragen wurde. Auch bei diesem Projekt sollte in der Mitte der Brücke ein großer, tempelartiger Pavillon entstehen, zusätzlich zwei weitere kleinere jeweils an den Seiten. Mit der Verwirklichung dieses Entwurfes hätte man die Tradition des venezianischen Brückenbaus verlassen, außerdem wären dabei erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz der Umgebung erforderlich gewesen. Zunächst erhielt Sansovinos Plan den Zuschlag. Doch der Beginn der Bauarbeiten verzögerte sich, dann kamen die Türkenkriege dazwischen, und schließlich starb Sansovino im Jahre 1570. Erst 1587 wurde das Projekt wieder ernsthaft in Angriff genommen. Schließlich erhielt ein Mann den Auftrag, der eher der zweiten Riege der Architekten angehörte, nämlich Antonio da Ponte, der 1588 mit dem Bau begann und ihn 1591 fertigstellte. Es wird überliefert, dass da Ponte sich stark an den verlorenen Entwurf Michelangelos angelehnt habe. Erwähnt sei, dass sich die Baukosten auf die astronomische Summe von 245.537 Dukaten beliefen. Um eine Vorstellung von der Höhe dieses Betrages zu bekommen, muss man sich vergegenwärtigen, dass 1.000 Dukaten für eine Familie ausreichend waren, um ein Jahr lang einen Palast zu unterhalten und üppig zu leben; ein normaler Arbeiter verdiente etwa 12 Dukaten im Jahr. Die Brücke hat eine Spannweite von mehr als 28 m und ist etwa 7,5 m hoch. Um das große Gewicht und den gewaltigen Schub auffangen zu können, war es erforderlich, mehr als 12.000 Stämme in den Boden zu rammen.

      Man kann die Brücke sowohl von der Ecke des Fondaco dei Tedeschi als auch von der nach links gelegenen Riva del Ferro gut betrachten. Sicher gibt es kaum ein Bauwerk der Stadt, das einen derartigen Bekanntheitsgrad erreicht hat wie die Rialtobrücke, sie ist das Symbol Venedigs schlechthin geworden. Dabei ist sie eigentlich ein ganz einfacher Zweckbau, der nicht nur dem Verkehr zu Lande und auf dem Wasser, sondern sehr wesentlich auch dem Handel diente. Wie der Ponte Vecchio in Florenz, so ist auch der Ponte di Rialto mit einer ununterbrochenen Reihe von Läden zu beiden Seiten der mittleren Haupttreppe besetzt, und zwar mit jeweils zwölf Kaufläden. An den Rückseiten dieser Läden verlaufen beidseits weitere Treppenrampen, die von kräftigen Balustraden gesäumt sind. Von diesen aus öffnet sich der Blick über die Wasserbahn des Canal Grande. Wie viele andere Brücken der Stadt besitzt auch die Rialtobrücke in ihrer Mitte eine ebene Plattform, die hier durch rustizierte Rundbögen und einen Dreiecksgiebel herausgehoben ist. Die Brücke entstand unter dem Dogen Pasquale Cicogna, dessen Wappen auf beiden Seiten in den Bogenzwickeln