Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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Kreuzigung Christi und zugleich der Gründungstag Venedigs.“ (Concina) Die Bauleitung lag zunächst bei Giorgio Spavento, eigentlicher Architekt war aber Tullio Lombardo, in der Schlussphase betreute dann Sansovino den Bau.

      Fassade: Diese entstand erst in den Jahren 1663–1700, was für italienische Kirchen nicht ungewöhnlich ist: Die Kirchenfassade wurde immer zuletzt gebaut – falls die Gemeinde noch oder wieder genug Geld zur Verfügung hatte – selbst wenn sie dann in einem völlig anderen Baustil entstand. Man findet aber auch viele Kirchen, die ohne Schaufassade geblieben sind. Vom campo aus ist die barocke Fassade nur im steilen Aufblick zu betrachten und deshalb schwer zu erfassen. Sie ist horizontal zweigeteilt, wobei der untere Abschnitt doppelt so hoch ist wie der obere, vertikal ist sie in drei Abschnitte gegliedert. Das Mittelintervall wird von einem kleinen Dreiecksgiebel überfangen. Im Erdgeschoss stehen in der Mitte auf hohen Sockeln Säulen, die ein kräftiges Gebälk tragen, ein Motiv, das im Innenraum in modifizierter Form aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Das Obergeschoss wird dagegen durch Pilaster gegliedert. Dem von einer Säulenädikula gefassten Portal antwortet oben ein Fenster mit einem Doppelbogen.

      Inneres: „Das Innere ist von großartiger und freier Wirkung, von monumentaler Ruhe und Klarheit des Aufbaus, von schönen, unmittelbar wirksamen Proportionen und einer Lichtsituation, die in Venedig einzig dasteht.“ (Hubala) Wesentlichen Anteil an der Lichtfülle haben die Laternen der drei großen Kuppeln, die erst 1574 unter Scamozzi dazukamen. Es wird in diesem Bauwerk das Lieblingsthema der venezianischen Sakralarchitektur, das des Zentralkuppelraumes, erneut vorgetragen. Dabei ist S. Salvatore nichts anderes als die Übersetzung der Architektur von S. Marco in die Formensprache der Renaissance, worauf schon Francesco Sansovino, der Sohn des großen Architekten und Bildhauers hingewiesen hat. Ungewöhnlich für Venedig war bei dieser Neuinterpretation des Innenraumes von S. Marco die Gliederung der weißen Flächen und Gewölbe mit Architekturelementen aus grauem Gestein, ein Motiv, das aus der Toskana stammt. Der grundlegende architektonische Gedanke ist der einer Kuppel über quadratischem Grundriss mit vier kleinen seitlichen Kuppelräumen, die wie die „5“ des Spielwürfels (quincunx) angeordnet sind, wobei weitgespannte Tonnen den Raum zwischen den kleinen Kuppeln übergreifen, diese verbinden und gleichzeitig die Zentralkuppel an vier Seiten flankieren. Hier sind – wie in S. Marco – drei dieser Systeme so ineinander gehängt, dass eine Tonne zwischen zwei Hauptkuppeln zu jeweils zwei Systemen gehört. In der Längsachse wird der Raum durch die Dreiergruppe der Apsiden abgeschlossen. Das Querhaus lädt nur wenig aus und ist glatt geschlossen. Wesentlich für die Raumwirkung ist die horizontale Gliederung durch die gleichgeformten Sockel der Pfeiler und insbesondere durch die mächtige Attikazone, die über den ganzen Raum rundum hinwegläuft und ihn so wie ein Gürtel zusammenfasst. Der Fußboden wiederholt und erklärt den Grundriss des Bauwerks und bringt gleichzeitig Farbe und Wärme in den Raum.

      Ausstattung: Im ersten weiten Intervall rechts steht das Grabmal für den Prokurator Andrea Dolfin und dessen Ehefrau Benedetta (um 1600), deren Portraitbüsten Campagna schuf. Von ihm stammen auch die Skulpturen (Muttergottes mit Kind und Engeln) auf dem zweiten Seitenaltar. Rechts neben der zweiten Hauptkuppel befindet sich das Grabmal des Dogen Francesco Venier (1554–56), der ursprünglich in S. Francesco della Vigna „con poca pompa“ („mit geringem Pomp“) bestattet werden wollte. Doch hat er später dann doch den Wunsch nach einem repräsentativen Grabmal in San Salvatore geäußert. Seine Familie hat Sansovino, den in dieser Zeit sicherlich bedeutendsten Architekten der Stadt, mit der Ausführung beauftragt. Es wurde eines seiner Hauptwerke, das er in den Jahren 1557/58 schuf. Sansovino griff hier auf Tullio Lombardos Architekturgedanken des Grabmals für Giovanni Mocenigo in SS. Giovanni e Paolo (venezianisch Zanipolo) zurück und entwickelte ihn weiter. Die Architektur leitet sich vom Triumphbogen-Schema ab und ist hier in ein vollkommenes Gleichgewicht gebracht. Das Grabmal ist zwischen die seitlich angrenzenden Nebenkuppeljoche gespannt und steht mit seiner schlichten Sockelzone fest auf dem Boden des Kuppeljoches – eine Beobachtung, die relativiert wird durch die von zierlichen Konsolen getragenen Sitzbank, wodurch der Eindruck eines „Schwebens“ entsteht. Die Gliederung des Grabmals ist an die Raumarchitektur angepasst, sie berücksichtigt sowohl die Höhe der Piedestale der Raumpfeiler als auch die der Attika. Die Architektur erscheint durch die Säulenstellung (das mittlere Interkolumnium hat dieselbe Breite wie das Fenster über dem Grabmal) und die leicht vorspringende Bogenstellung elastisch, atmend, fast lebendig. Sie ist in verschiedenfarbigen Marmorsorten ausgeführt, wodurch das Werk, das außerdem reich mit Ornamenten versehen ist, polychrom wirkt. Das Figurenprogramm ist dagegen relativ sparsam. Es beschränkt sich auf die Liegefigur des Dogen, auf zwei Tugendpersonifikationen (Caritas und Glaube) in den seitlichen Interkolumnien sowie auf die Pietà in der Lünette, die von Vittoria gearbeitet wurde und ein fast wörtliches Zitat von Michelangelos Pietà in Sankt Peter in Rom ist. Eigenhändig hat Sansovino die Statue „Glaube“ rechts ausgeführt, deren Gestaltung unmittelbar von antiken römischen Gewandfiguren abgeleitet ist, „vielleicht die schönste Frauenstatue der venezianischen Renaissance-Skulptur“ (Hubala).

      Einen absoluten Höhepunkt, – dies betrifft nicht nur die Kirche, sondern die Kunst der Stadt insgesamt – stellt die Verkündigung dar, ein Spätwerk Tizians aus den Jahren 1560–66, das über dem nächsten Altar im originalen, herrlichen Rahmen hängt, den Sansovino selbst gearbeitet hat. Es fällt auf, dass das Geschehen auf einer um zwei Stufen erhöhten Fläche stattfindet. Diese Stufen beziehen sich exakt auf die Architektur des umgebenden Raumes (die erste Stufe entspricht der Oberkante des Postaments der Pilaster, die zweite Stufe deren Basis). Es ist nicht ganz einfach, sich mit diesem Bild zu arrangieren und sich in ihm zurechtzufinden, da das Auge keinen rechten Ruhepunkt findet und unstet zwischen den beiden Protagonisten und der Wolke der Engel hin und her wandert. Alles ist so geheimnisvoll dargestellt, wie es das Thema selbst ist. Die Figuren treten aus einem dichten Geflecht von Farben hervor, sind eingetaucht in helles Licht, das vom Himmel niederschießt gleich der Taube, die sich Maria nähert. Diese sitzt rechts und weicht vor dem Sturm, der da auf sie zubraust, etwas zur Seite hin aus. Farblich ist Maria stark zurückgenommen und in das traditionelle Rot und Blau gekleidet. Sie lüftet mit ihrer rechten Hand einen hauchzarten Schleier, „denn es geschah – nach Gregorios von Nyssa, der das Mysterium der Inkarnation verständlich zu machen suchte – durch das Wort, dass Gott durch das Gehör in den Mutterleib eindrang, aus dem sodann in Reinheit der Sohn Gottes hervorging.“ (Pedrocco) Freudigkeit und Bereitschaft liegen in Miene und Haltung Marias. In ihrer Linken hält sie ein halb geöffnetes Buch, in dem man das Wort „signu(m)“ erkennen kann, ein Hinweis auf Jesaja 7,14, wo es heißt: „Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Gabriel dagegen tritt mit schimmernden Flügeln und wie von Licht erfüllt auf, von dem unklar ist, wovon es ausgeht (es scheint von vorne und links zu kommen). Er hält die Arme gekreuzt, was als Zeichen der Anbetung zu verstehen ist, und schreitet kraftvoll und gleichzeitig werbend auf Maria zu, um unwiderstehlich vom Willen Gottes und dessen Beschluss zu künden. Schräg rechts oben findet sich die wesentliche Lichtquelle in diesem Bild, die noch heller leuchtet als Gabriel. Es ist die Taube, von der die Gloriole der Engel, die den Himmel über dem Geschehen erfüllt, ihr Licht erhält. Alles außerhalb dieser Lichtpunkte ist undeutlich, ist erfüllt von webenden Farben und Farbnebeln (wobei dieser Eindruck durch die Maltechnik von Tizians Spätstil, in dem er pastose Farbe in immer neuen Lagen über- und gegeneinandersetzt, noch zusätzlich verstärkt wird). Rätselhaft ist das glühende Rot im Hintergrund neben der Säulenstellung, das als brennender Dornbusch gedeutet wird, auf den sich auch die Worte beziehen, die rechts auf der zweiten Treppenstufe stehen: „IGNIS ARDENS NON COMBURENS – Feuer, das brennt, aber nicht verzehrt“. Ein schönes Detail ist die Vase am rechten unteren Bildrand mit einem trockenen Zweig, der durch göttliche Intervention aufblüht – ein Symbol für die ewige Jungfräulichkeit. Das Bild hat weit über seine Zeit hinaus gewirkt und den Barock beeinflusst.

      Es bleibt zu erwähnen, dass einigen Zeitgenossen der Stil von Tizians Verkündigung etwas zu unkonventionell erschien, dies so sehr, dass sie es einfach für unvollendet erklärten und sogar die Autorschaft Tizians in Zweifel zogen. Diesbezüglich berichtete 1648 Ridolfi, dass der alte Künstler darüber beträchtlich verstimmt gewesen sei und deswegen seine Signatur„Tizianus fecit“ mit einem zweiten „fecit“ ergänzt habe, um die Eigenhändigkeit zu betonen. Diese Interpretation ist praktisch in allen Werken