Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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in die Stadt und zum Campo San Luca. An ihm gibt es ein Geschäft, dessen Decke von einer Säule getragen wird, die der Überlieferung zufolge den geografischen Mittelpunkt der Stadt bezeichnet. Die Kirche S. Luca, die 1832 völlig umgestaltet wurde, liegt ein wenig abseits. Von ihrer Ausstattung erwähnenswert sind Gemälde von Veronese (Hochaltar) und Carl Loth (1632–98), der den ersten Patriarchen der Stadt, den hl. Lorenzo Giustiniani, als Wunderheiler zeigt. Loth wurde in dieser Kirche bestattet, ebenso Pietro Aretino (1556), der beschrieben wird als homme des lettres und Lästermaul, das sogar von Fürstenhäusern gefürchtet war. Er war ein bedeutender Humanist und der beste Freund von Tizian und Sansovino. Sein Grab in der Kirche ist verschollen (mehr über ihn im Kapitel Canal Grande).

      Auf dem Weg zurück zum Campo San Luca umrundet der weitere Weg einen Neubau, dessen Architektur in dieser so konservativ bauenden Stadt überrascht. Es handelt um die Cassa di Risparmio, einen der umstrittensten Eingriffe in den Stadt­organismus. Sicher waren die Gebäude, die hier niedergelegt wurden, um Platz zu schaffen, weitgehend belanglos, aber sie waren immerhin stimmig und hatten einst die Werkstatt des berühmtesten Buchdruckers seiner Zeit, Aldo Manuzius, beherbergt. Die Architekten Nervi und Scattolin gehörten zwar zu den führenden ihrer Zeit, hatten aber wohl wenig von Wesen und Sensibilität Venedigs begriffen oder wollten bewusst einen Fremdkörper schaffen, damit sich dieser umso markanter von seiner Umgebung abheben würde.

      Der Campo Manin, der sich vor der Sparkasse bis zum Rio S. Luca erstreckt, entstand in der heutigen Form erst im 19. Jahrhundert. „Der Größenwahn Napoleons, das rücksichtslose Bedürfnis Österreichs nach Ordnung und Symmetrie und schließlich das blinde Vertrauen in die modernen Zeiten bei den Herrschern des Hauses Savoyen fügten dem alten Stadtbild schreckliche Wunden zu und zerstörten eine Unzahl historischer Denkmäler, deren die Menschheit für immer beraubt wurde“ (Giordani). So geschah es wohl auch hier, wo eine Kirche (S. Paternian) niedergerissen wurde, die als Besonderheit einen fünfeckigen campanile besaß, ein Unikum in der Stadt, „den einige venezianische Arbeiter als Dank dafür errichtet hatten, dass sie sich vor der Sklaverei der Sarazenen hatten retten können.“ In der Mitte des Platzes steht heute das Denkmal des Daniele Manin. Er war Advokat und ging in die Geschichte ein als Anführer des Aufstands gegen die Österreicher (1848–49). Die Aufständischen konnten sich erstaunlich lange gegen die Übermacht der Österreicher halten, wurden aber schließlich bezwungen. Manin musste emigrieren und starb 1857 im Exil in Paris. Seine letzte Ruhe fand er an der Nordseite von S. Marco in einem mächtigen Grabmal.

      An der linken Längsseite des campo (in Blickrichtung Manins) trifft man auf eine Wegweisung zur Scala del Bovolo bzw. zum Palazzo Contarini. Der Name bovolo ist venezianisch, bedeutet „Seeschnecke“ und beschreibt die sehr eigenwillige Gestalt der außen liegenden hohen Wendeltreppe recht genau. Sie wurde 1499 erbaut und verbindet den Palast mit einem winzigen Gärtchen, in dem heute eine Sammlung schöner pozzi zu sehen ist. Zwischen der Größe der Treppe und der des Gartens gibt es keine vernünftige Relation. Vielmehr verhalten sich beide geradezu umgekehrt proportional zueinander. Trotzdem ist das Ganze ein liebenswertes Detail der Stadt und ein architektonisches Kleinod, das heiter stimmt. Die Treppe kann (gegen Gebühr) bestiegen werden, was in jedem Fall ratsam ist, da es ja nur ganz wenige Möglichkeiten gibt, die Stadt von oben zu betrachten. Hier hat man nach allen Seiten einen freien Blick über eine vielfältige Dachlandschaft. Besonders gut ist von dort oben auch der Aufbau der eben besichtigten Kirche S. Salvatore mit ihren Kuppelkonstruktionen zu sehen, ebenso das Gran Teatro la Fenice, das das Niveau der Dächer deutlich überragt.

      Zurück am Campo Manin, überquert man den Ponte della Cortesia (der Höflichkeit) und gelangt in die gleichnamige Gasse, die in ihrem weiteren Verlauf in die Calle della Mandola übergeht, eine sehr belebte Gasse mit vielen zum Teil recht schönen Läden. An der Grenze zwischen den beiden Gassen weist ein etwas verblichenes Schild den Weg in die Salizada del Teatro und zum Palazzo Fortuny am Campo S. Benedetto (S. Beneto auf Venezianisch) mit der gleichnamigen, immer geschlossenen Kirche. Der eigentliche Name des Palastes ist Palazzo Pesaro degli Orfei. Der mächtige gotische Bau mit einer eindrucksvollen Fenstergruppe und einem wild bewachsenen, verwunschen wirkenden Garten hat seinen zweiten Namen von seinem letzten spanischen Besitzer Mariano Fortuny y Madrazo (1871–1949), den man ohne weiteres als universelles Genie bezeichnen kann. Er war Maler, „Designer“, Dichter, Ingenieur, Bühnenbildner, Fotograf und vieles mehr, lebte und arbeitete in dem Palast von 1899 bis zu seinem Tode. Es wird berichtet, er habe an einer Allergie gegen Pferde gelitten und sei aus diesem Grunde auf die Idee gekommen, in Venedig zu leben. Bekannt wurden besonders seine plissierten, von Gewändern der Antike inspirierten Kleider, von denen eines delphos heißt. Originale dieser Kleidungsstücke werden heute zu hohen Preisen gehandelt, und auch Nachahmungen sind nicht gerade billig. Deren Verkäuferinnen machen darauf aufmerksam, dass man sich nicht setzen und nicht anlehnen dürfe, da sonst das Plissée ruiniert würde. Die Methode zur Herstellung eines dauerhaften Plissées hat Fortuny mit ins Grab genommen. Seine Witwe hat den Palast, der heute ein Textilmuseum beherbergt, der Stadt vermacht. Das Atelier Fortunys ist erhalten geblieben.

      In der Nähe gibt es eine Calle dei Assassini, die ihren Namen von häufigen Morden hat, die auf einer hier früher existierenden Brücke begangen wurden. Die Täter waren dabei meist maskiert, weswegen schließlich 1128 das nächtliche Maskentragen verboten wurde.

      Über die Calle del Spezier führt der Weg zum ruhigen, wohltuend weiten Campo Sant’ Angelo bzw. Sant’ Anzolo (venezianisch für „Engel“), wo sich ein freier Blick auf den schiefsten Turm Venedigs bietet, den der Kirche S. Stefano. An der Fassade des gotischen Palazzo Duodo links erinnert eine Tafel an Domenico Cimarosa (1749–1801), der hier zahlreiche Opern schrieb und in diesem Haus starb. Weitere schöne Paläste säumen den campo, bei dem, wie auch an anderen Stellen der Stadt, das angehobene Niveau auffällt. Das diente der Wassergewinnung in der darunter gelegenen Zisterne. Die Venezianer erzählen allerdings gerne, die Anhebungen seien entstanden, weil auf den entsprechenden Plätzen zu Zeiten der großen Epidemien Massengräber angelegt worden seien. Die für den Platz namensgebende Kirche S. Angelo, in der auch der Komponist Cimarosa begraben lag, wurde 1837 demoliert.

      Man überquert den Platz bis zur Brücke in dessen rechter Ecke, der Ponte dei Frati. Von ihr aus kann man den 1532 entstandenen Kreuzgang des ehemaligen Klosters S. Stefano betreten. Das Architekturschema weicht von den für Venedig typischen Säulenarkaden zu Gunsten einer Kolonnade ab, ein Motiv, das eher römisch anmutet und an Bramantes Kreuzgang von S. Maria della Pace denken lässt. Der Kreuzgang war mit Fresken von Pordenone ausgemalt, deren Reste in der > Galleria Franchetti in der Ca’ d’Oro zu sehen sind.

      Die Legende berichtet von einer heftigen Rivalität zwischen diesem Maler und Tizian. Sie soll emotional so sehr aufgeladen gewesen sein, dass Pordenone angeblich nur bewaffnet an die Arbeit gegangen sei, um entsprechend gerüstet zu sein, sollte Tizian einmal unvermutet auftauchen.

      In diesem Kreuzgang wurde Pietro Lombardo begraben, daneben auch die Angehörigen des Hauses Carrara, die früheren Herren von Padua, die die Signoria als unliebsame Gegenspieler und Störenfriede im Gefängnis hatte erdrosseln lassen.

      Am Ende der folgenden Gasse, an der Stelle, die sich zum Campo S. Stefano öffnet, biegt nach rechts die Calle delle Botteghe ab, in der einige sehr edle Antiquitätengeschäfte und Galerien zu finden sind. Deren Reihe setzt sich in der Salizzada S. Samuele fort, die man am Ende der calle erreicht. Hier steht unter der Hausnummer 3328 das bescheidene Wohnhaus Paolo Veroneses. Der Weg erreicht schließlich am Campo S. Samuele (die gleichnamige Kirche ist profaniert) wieder den Canal Grande. Das von dieser Stelle aus zu überblickende Ensemble mit den flankierenden Palästen ist sehr stimmungsvoll und bietet einen hinreißenden Blick auf die gegenüberliegenden Gebäude (Ca’ Rezzonico, weiter rechts der Doppelpalast der Giustiniani, unmittelbar daran angrenzend die Ca’ Foscari, schließlich auf der anderen Seite des hier mündenden Kanals die Ca’ Balbi). Am campo selbst ragt rechts die Seitenfront des Palazzo Grassi auf, der 1718 von Giorgio Massari erbaut wurde (> Kapitel Canal Grande).

      Mehrere Gassen – in einer von ihnen wurde 1725 Casanova geboren – führen in Richtung Osten zum Campo S. Stefano (auch Campo Morosini genannt).

      Das ganze Viertel hatte zu Zeiten der Republik keinen guten Ruf, wie ein Spottgedicht zeigt: „San Samuele / Contrada Picola / Grande Bordel /