Название | Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden |
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Автор произведения | Max R. Liebhart |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960180685 |
Die Bauten an der Piazza und der Piazzetta
Die Piazza vor der Markuskirche wird gefasst von den Alten Prokuratien rechts, den Neuen Prokuratien links und auf der Westseite begrenzt durch die sogenannte Ala Napoleonica, den später erbauten Napoleon-Flügel – hier stand bis zum Ende der Republik, korrespondierend mit S. Marco, die Kirche S. Geminiano von Sansovino, der ursprünglich in dieser Kirche auch begraben war.
Das Amt der Prokuratoren, das wohl auf das 11. Jahrhundert zurückgeht, war das begehrteste nach dem des Dogen und diente häufiger als Sprungbrett zur Dogenwürde. Zum Aufgabenbereich der Prokuratoren gehörten zunächst Verwaltung und Pflege von San Marco und seines immensen Schatzes. Später weiteten sich die Amtsbefugnisse auf einen großen Teil der Innenverwaltung des Staates, seines Immobilienbesitzes und seines sozialen Wohnungsbaus aus.
Der Bau der Procurazie Vecchie wurde um 1500 vermutlich nach Plänen von Mauro Codussi begonnen und seit 1517 von Bartolomeo Bon geleitet. Sie weisen auf einer Länge von 142 Metern eine fast unendlich erscheinende Reihung von fünfzig Arkaden im Erdgeschoss bzw. jeweils einhundert Bogenfenstern in den beiden Obergeschossen auf, wirken aber trotz dieser Ausmaße feingliedrig. Dieser Eindruck wird durch die konsequente Anwendung des für Venedig charakteristischen Motivs der Bogenarkade und durch die zarte Ausformung der Architekturglieder (Säulen, Bögen) erreicht.
Die Procurazie Nuove gegenüber wurden 1583 von Vincenzo Scamozzi begonnen und 1616–40 von Baldassare Longhena, dem Erbauer der Kirche Santa Maria della Salute, vollendet. Auch hier wurde das Motiv der Arkadenreihe übernommen, wobei das dritte Stockwerk einen Wechsel von Rund- und Giebelfenstern zeigt. Die Procuratie Nuove stellen eine Fortsetzung der an der Piazzetta gelegenen Markusbibliothek Sansovinos dar, deren Architektur sie übernehmen. In dem Flügel der Neuen Prokuratien ist heute das Museo Civico Correr zur Stadtgeschichte untergebracht.
Mit den beiden procuratie stehen sich zwei unterschiedliche architektonische Auffassungen gegenüber, die zu Zeiten der Republik an der Westseite der Piazza fast direkt aufeinandertrafen und nur durch die schlichte Renaissancefassade der Kirche S. Geminiano voneinander getrennt waren. Die Alten Prokuratien vertraten eine demonstrativ alt-venezianische Richtung, die Neuen Prokuratien waren dagegen alla romana gestaltet.
Ihr heutiges Aussehen erhielt die Piazza erst nach dem Ende der Republik ab 1807, als Napoleon die ursprüngliche Bebauung an ihrer Westseite mit der Kirche S. Geminiano niederlegen ließ, um einen neuen westlichen Flügel, die Ala Napoleonica, wie sie heute zu sehen ist, aufführen zu lassen. Das Gebäude beinhaltet ein monumentales Treppenhaus und einen großen Saal im Obergeschoss sowie den Zugang zu den für Napoleon bestimmten Privatgemächern, die in der Procurazie Nuove eingerichtet wurden. Napoleon hat die Fertigstellung der Räume aber nicht mehr erlebt – der österreichische Statthalter benutzte sie bis 1866.
Die Fassade des Bauwerks übernimmt in zwei Stockwerken die Architekturgedanken von Sansovino und Scamozzi. Darüber lastet schwer eine mächtige Attika, der auch der Statuenschmuck nur wenig von ihrer erdrückenden Wucht zu nehmen vermag. Gerade dieses architektonische Merkmal bringt ein der venezianischen Kunstauffassung zuwiderlaufendes Moment in die Stadt, und es ist ohne weiteres möglich zu studieren, wie empfindlich die architektonische Sensibilität Venedigs durch ein solches Bauwerk gestört wird. Ursprünglich war sogar an einen am Pariser Louvre orientierten Palast mit hohem Sockel oder an einen Durchgang zur Stadt mit riesiger Tempelfassade gegenüber der Staatskirche der besiegten Serenissima gedacht. Bei Betrachtung der entsprechenden Entwürfe bleibt nur zu konstatieren, dass Venedig letztlich noch einigermaßen gut weggekommen ist.
Die vielen Läden unter den Arkaden bestanden immer schon, doch gab es früher weit mehr Cafés als heute (es waren einmal mehr als zwanzig). Das älteste Café, das unverändert bis in die Gegenwart existiert, ist das Café Florian, gegründet 1720 von einem gewissen Floriano Francesconi, der es zunächst „Venezia trionfante“ nannte, ein Name, der sich jedoch nicht lange hielt. Illustre Geister verkehrten hier, so Goethe, Marcel Proust, Thomas Mann, Ernest Hemingway. Auch Mark Twain verbrachte hier viele seiner glücklichsten Stunden. Ebenso berühmt sind das Gran Café Quadri gegenüber und das Café Lavena, in dem Richard Wagner Stammgast war.
Am östlichen Ende der Procuratie Vecchie, schräg gegenüber der Fassade von S. Marco, befindet sich der Torre dell’Orologio, der aus einem Turm sowie zwei Flügelbauten besteht und der 1496–1506 vermutlich nach einem Entwurf von Codussi errichtet wurde. In der Zeit des Baubeginns an diesem Uhrturm stand die Serenissima eigentlich vor dem Bankrott. Doch sollten die feindlichen Spione mit der Errichtung eines so aufwendigen Bauwerks über diese Tatsache hinweggetäuscht werden. Der Turm hat zwei Funktionen: Mit ihm beginnt, wie schon beschrieben, die nach Süden gerichtete Bahn zum molo hin, und außerdem mündet hier die belebteste Geschäftsstraße der Stadt, die Merceria auf die Piazza. Von großer Bedeutung ist das alte Uhrwerk, das der Turm birgt und das die Zeit auf zwei Uhrblättern anzeigt. Das zur Merceria hin gelegene Blatt ist einfacher und zeigt nur die Stunden an. Weitaus aufwendiger ist die Anlage, die auf die Piazza zeigt. Im Zentrum findet man die Erde, was dem geozentrischen Weltbild der Entstehungszeit entspricht. Sie wird umkreist vom Mond, der die jeweiligen Phasen anzeigt, sowie von der Sonne. Diese ist am Uhrzeiger angebracht, der auf die Stundenzahlen weist und außerdem mit dem Zodiacus korrespondiert. Die Anlage ist in ziemlich reduzierter Form auf uns gekommen. Ursprünglich umkreisten die Erde auch noch die fünf damals bekannten Planeten, wobei ihre jeweiligen Umlaufzeiten exakt den tatsächlichen astronomischen entsprachen. Zum alten Bestand gehörten auch die Heiligen Drei Könige, die ursprünglich jede Stunde um die Sitzfigur der Madonna kreisten und sich vor ihr verneigten. Sie wichen im 17. Jahrhundert der „digitalen“ Anzeige der Zeit, die heute zu Seiten der Madonna zu sehen ist. Die Statue der Madonna im dritten Stockwerk stammt vermutlich von Pietro Lombardo und seiner Werkstatt. Darüber steht vor blauem, bestirntem Hintergrund der Markuslöwe, vor dem bis 1797 in Analogie zur Porta della Carta die Statue des Dogen Agostino Barbarigo kniete, der den Uhrturm errichten ließ. Ein besonderer Akzent für das Gesamtbild der Piazza sind die beiden mori von 1497, zwei kolossale Bronzefiguren auf der Terrasse des Turms, die mit Hämmern auf einer Glocke die Stunden schlagen. Es handelt sich um zwei Männer verschiedenen Alters, die der Legende nach Kain und Abel sein sollen.
Die Mori verursachten eines Tages einen Unfall, von dem Thomas Coryate (1577–1617) berichtet: „Ganz oben stehen neben einer Uhr die sehr kunstvoll und naturgetreu ausgeführten Bronzefiguren von zwei Wilden. Bei dieser Uhr ereignete sich am 25. Juli, einem Montag, um etwa neun Uhr morgens, ein tragischer und beklagenswerter Unfall. Ein Mann, dem die Sorge für diese Uhr oblag, war mit der Glocke beschäftigt, um bei seiner täglichen Gewohnheit das, was fehlerhaft sein sollte, in Ordnung zu bringen. Da traf ihn plötzlich einer der beiden wilden Männer, die jede Viertelstunde ausholen, um die große Glocke anzuschlagen, mit seinem bronzenen Hammer so heftig auf den Kopf, dass er auf den Platz hinunterfiel und tot liegenblieb und keinen Laut mehr von sich gab.“ Ferner berichtet eine Legende, dass die beiden Männer, die die berühmte Uhr mit den komplizierten Tierkreiszeichen auf dem Markusplatz konstruiert hatten, später auf Anordnung des Staates hin geblendet wurden, damit sie nicht noch einmal eine solche Uhr für einen anderen Auftraggeber bauen konnten (nach Morris).
Ein paar Schritte vom Uhrturm nach rechts steht an der Piazzetta dei Leoncini die kleine, profanierte Kirche S. Basso. Das Bauwerk besitzt keine große Bedeutung, ist aber eine liebenswürdige „Nebenstimme“ im Architektur-Konzert der Stadt. Die kleine Piazzetta dei Leoncini hat ihren Namen von den beiden Löwen aus rotem Veroneser Marmor, die schon von unzähligen Kindern beritten wurden und deren Rücken dadurch blankpoliert sind. Auf dieser Piazzetta fand früher der mercato delle erbe (Kräutermarkt) statt. Ihre Stirnseite wird durch den klassizistischen Patriarchen-Palast