Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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Verkürzung die östliche Rückseite des Dogenpalastes zu überblicken. Es fällt immer recht schwer, sich diese insgesamt wenig systematisch gegliederte Renaissancefassade zu vergegenwärtigen, die in der Sockelzone der langgestreckten Diamantenwand zwei gewaltige Wassertore besitzt. Von der Brücke aus fällt der Blick auch auf den Ponte dei Sospiri (Seufzerbrücke), die den Palast mit dem gegenüberliegenden Palazzo dei Prigioni (Staatsgefängnis) verbindet und 1603 nach Plänen Antonio Contins errichtet wurde. Ob immer gemäß dem Symbol der Justitia, deren Figur dort zu sehen ist, gehandelt wurde, mag dahingestellt bleiben. Der Blick vom Ponte di Paglia aus in das gesamte Ensemble wirkt wie der in eine Schlucht und ist ein wenig unheimlich und beklemmend, da alles, was über die lautlose Willkür venezianischer Justiz und Staatsinquisition zu hören und zu lesen war, hier baulich verkörpert ist. Anzumerken bleibt, dass die berühmten Bleidächer, unter denen Casanova gefangen gehalten wurde, die des Dogenpalastes selbst und nicht die des benachbarten Gefängnisses, der Prigioni, sind.

      Links der Westfassade, zwischen dem Palast und S. Marco, erhebt sich die sog. Porta della Carta (Papiertor), ein Name, der vermutlich von den hier früher angrenzenden Staatsarchiven abgeleitet wurde. Sie war früher reich vergoldet, weswegen sie auch Porta aurea genannt wurde. Entstanden ist sie 1438–42 unter Leitung von Giovanni Bon und dessen Sohn Bartolomeo, vermutlich waren aber auch Kräfte aus der Lombardei und der Toskana beteiligt. Polygonale Strebepfeiler flankieren eine mächtige hochrechteckige Tür mit darüber liegendem Großfenster. Über diesem halten drei schwebende Engel einen Tondo mit dem segnenden hl. Markus, ein Motiv, das auf die Spätantike zurückgeht. Auf den Rändern des Wimpergs turnen Putti und auf seiner Spitze thront Justitia. In den Nischen der Strebepfeiler stehen Personifikationen der Kardinaltugenden. Vor dem Fenster kniet (als Rekonstruktion) der Doge Francesco Foscari vor dem Markuslöwen. Stilistisch gehört die Porta della Carta dem sogenannten Übergangsstil zwischen Spätgotik und Frührenaissance an. Die unteren Tugendfiguren werden mit Antonio Bregno, dem Schöpfer des Foscari-Grabmals in der Frari-Kirche, in Verbindung gebracht. Die Porta della Carta korrespondiert mit der ihr zu Füßen des campanile gegenüberliegenden Loggetta. Sie führt in einen tunnelartigen Gang, den Porticato Foscari und weiter in den Hof des Dogenpalastes, den man durch den Arco Foscari betrat, um der Scala dei Giganti gegenüber zu stehen. Heute liegt hier der Ausgang aus dem Dogenpalast.

      Innenhof: Der Eingang zum Dogenpalast bzw. zu seinem Innenhof liegt heute an dessen Südfront. Im Inneren des Hofes hat man rechts die Renaissancefassade des Ostflügels, links die gotische Fassade des Westflügels vor sich, die stilistisch der Fassade des Südflügels entspricht. Im Hintergrund erhebt sich die Seitenfront der Markuskirche. Davor steigt feierlich die Scala dei Giganti nach rechts zum ersten Geschoss des Palastes empor. In der linken Hälfte der weiten Fläche des Hofes stehen zwei wundervolle pozzi (Brunnenköpfe) aus Bronze, die Alfonso Alberghetti und Niccolò dei Conti 1554–59 gegossen haben. Die drei Palastfassaden nehmen in den beiden unteren Geschossen die große Gliederung der gotischen Außenfassaden mit zwei übereinander gestellten Loggien auf, sind aber in ihrer Ausführung weit schlichter. Auch die einhundert Meter lange Front des Ostflügels behält diese Gliederung bei, ist jedoch im oberen Abschnitt in der Formensprache der venezianischen Frührenaissance gestaltet. Dabei erscheint die Verteilung der Fenster in den beiden Obergeschossen der Ostfront unsystematisch und willkürlich, was sich durch die Anordnung der dahinterliegenden Räume erklärt, auf die Rücksicht genommen werden musste. Die Fassade trägt reichen ornamentalen Schmuck.

      Ein Werk von großer historischer und kunstgeschichtlicher Bedeutung ist die zu der Ostfassade emporsteigende Prachttreppe, die Scala dei Giganti (Gigantentreppe), so genannt nach den beiden Großstatuen von Jacopo Sansovino am oberen Absatz, die Mars und Neptun darstellen und somit die Macht Venedigs zu Lande und auf dem Meere symbolisieren. Die Treppe selbst ist das Werk Antonio Rizzos von 1483, der auch die Pläne lieferte, nach denen die Fassade des Ostflügels entstand. 1485 fand auf dem oberen Podest der Treppe erstmals eine Dogenkrönung statt, woraus eine Tradition entstand, die bis zum Ende der Republik beibehalten wurde. Auf einem Vorgängerbau hat man allerdings 1355 den Dogen Marino Falier, der einen Staatsstreich plante, enthauptet. Es ist in jedem Falle lohnend, die feinen Details der Treppe zu betrachten, so die dekorative Ausgestaltung der gliedernden Pilaster und Gesimse und die Einlegearbeiten in den Setzstufen. Die Treppe grenzt links einen kleinen Bezirk vom Innenhof des Dogenpalastes ab, den sogenannten Cortile dei Senatori. Unter den dahinter gelegenen Arkaden wird die Originalstatue des hl. Theodor aufbewahrt, die früher auf der rechten Monumentalsäule der Piazzetta stand, auf der heute eine Kopie zu sehen ist.

      Der Treppe gegenüber und an der Mündung des Porticato Foscari, des Ganges, der von der Piazzetta in den Hof des Dogenpalastes führt, steht mit reicher Architektur der sogenannte Arco Foscari, der 1462–71 unter dem Dogen Cristoforo Moro errichtet wurde. Neben dem großen Bogen des Untergeschosses stehen in Nischen Kopien der Figuren von Adam und Eva (die Originale befinden sich im Dogenpalast), die Antonio Rizzo ausgeführt hat. Eine Figurengruppe über der Tür im zweiten Stockwerk mit einer Darstellung des vor dem Markuslöwen knienden Dogen Moro (in Analogie zur Porta della Carta) wurde 1797 zerstört. Das mittlere Intervall der Architektur wird von Strebepfeilern flankiert, die in hohen, mit Statuen bekrönten Fialen auslaufen. Auf der Spitze der Bekrönung der Mittelachse steht die Figur des segnenden hl. Markus. Der gesamte Aufbau erinnert an den der Fassade von S. Marco, „der Dogentreppe sollte eine reduzierte Erinnerung an San Marco entgegengestellt werden ... Der Segen des hl. Markus gilt dem Dogen, ihm wird die Bindung weltlicher Macht an überirdische Maßstäbe vor Augen gestellt, er wird ermahnt, als Herrscher zu dienen, tugendhaft zu handeln und sich der Grenzen irdischer Menschennatur bewußt zu bleiben. Es umschließt also das Gegenüber von Scala dei Giganti und Arco Foscari die Quintessenz venezianischer Staatslehre.“ (Hubala).

      Inneres: Zur Loggia des ersten Geschosses führt eine Treppe rechts unter den Arkaden des Ostflügels empor. Dort ist im ersten Stock rechts an der Wand eine sogenannte Bocca della verità zu sehen, ein in die Wand eingelassener Briefkasten, der hinter einer Löwenmaske liegt. Sie war Denunziationen vorbehalten, die entgegen weitverbreiteter Meinung nicht anonym waren – Anzeigen „ohne Unterschrift oder Nennung von mehreren Zeugen wurden folgenlos vernichtet, es sei denn, der Rat der Zehn erklärte mit einer überwältigenden Mehrheit von fünf Sechsteln, dass es sich um eine Staatsaffäre handle.“ (Wolters) Der Weg weiter nach oben führt über die Scala d’Oro (Goldene Treppe), benannt nach der vergoldeten Dekoration ihres Gewölbes, zu der Dogenwohnung im zweiten und zu den Prunkräumen im dritten Geschoss. Im ersten Abschnitt besitzt die Treppenanlage zwei Läufe, die sich am oberen Treppenansatz zu einem einzigen vereinigen. Der Entwurf der Anlage, der 1557–59 ausgeführt wurde, ist vermutlich ein Gemeinschaftsprodukt von Sanmicheli und Sansovino. Das System der Gewölbedekoration entwarf Alessandro Vittoria, während die Malerei, deren Programm bis heute nicht befriedigend interpretiert werden konnte, Battista Franco schuf. Laut örtlicher Beschriftung ist die Thematik der Bilder der ersten Treppenhausrampe Aphrodite gewidmet und spielt auf diese Weise auf die Eroberung Zyperns, der Geburtsinsel der Göttin, an. Die Malerei im rechten Aufgang zeigt Neptun und stellt somit die Herrschaft Venedigs über das Meer dar.

      Die Treppe führt mit ihrem ersten Lauf zum zweiten Stockwerk, in dem die Dogenwohnung liegt.

      Nicht alle Dogen waren mit der ihnen zugewiesenen Wohnung zufrieden. So wollte Agostino Barbarigo (1486–1501) sich einen eigenen, jenseits des Rio della Canonica gelegenen Dogenpalast errichten lassen. Auch Andrea Gritti (1523–38) hatte solche Pläne und hatte bereits einen Entwurf von Sansovino ausarbeiten lassen. Die zur Verfügung stehenden Räume reichten schließlich nicht mehr aus, so dass 1618 weitere Räumlichkeiten im Bereich der Canonica (heutiger Bischofspalast neben S. Marco) geschaffen wurden. „Alvise Mocenigo (1763–78) und seine Gemahlin hatten 19 Räume zu ihrer Verfügung, darunter die riesige Sala dei Banchetti – heute Teil des Museo di San Marco –, zwei Oratorien und eine Bibliothek“ (Wolters).

      Man biegt am oberen Treppenabsatz im zweiten Stockwerk nach rechts ab und kommt über den Corridoio in die Sala degli Scarlatti, deren wunderschöner soffitto (Holzdecke) mit geschnitzter, vergoldeter Dekoration auf blauem Grund aus dem Jahr 1507 stammt. Den prachtvollen Marmorkamin schufen Antonio und Tullio Lombardo, das Relief über dem Eingang hat deren Vater Pietro gearbeitet. Seit Ende des Jahres 2006 ist hier ein kürzlich wiederentdecktes Gemälde Carpaccios ausgestellt, eine Madonna, die